alternative Energie
Zu schade für den Gully
Büros auf einer Fläche von 22.000 m², wo ca. 1.250 Menschen arbeiten werden, Shopping auf drei Etagen mit insgesamt 10.000 m², rund 265 Hotelzimmer, 166 Mietwohnungen und ein Fitnesscenter mit ca. 3.000 m². Das im Bau befindliche Vio-Plaza am Schnittpunkt der Wiener Bezirke Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus ist ein europäisches Vorzeigeprojekt. Erstmals wird in einem Komplex dieser Dimension ein innovatives und nachhaltiges Wärme- und Kühlsystem eingesetzt. Heizen und Kühlen kommt vom Abwasser.
Abwasser – das ist alles, was täglich in den Kanal geleitet wird und dort, aus Sicht der Verbraucher, auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Dort im Kanal beginnt für Ulrike Rabmer-Koller das Heizsystem eines Gebäudes. „Wir machen aus schmutzigem Abwasser saubere Energie“, sagt die Geschäftsführerin der Rabmer-Gruppe, einem Familienunternehmen, das sie in zweiter Generation führt. Das Unternehmen engagiert sich in Umwelttechnologie, Hoch- und Tiefbau, Altbausanierung ... und eben in Energiegewinnung aus Abwasser. „Seit der Firmengründung im Jahr 1963 beschäftigen wir uns mit Abwasser; wir sind quasi im Kanal zu Hause“, lacht Rabmer-Koller, „wir waren Pioniere bei der grabungsfreien Rohrsanierung.“ Und jetzt treibt das Unternehmen federführend eine neue Technologie voran, denn „dass die Wärme von Abwasser einfach verpufft oder man es teilweise sogar mit zusätzlichem Energieaufwand herunterkühlen muss, damit es in einen Fluss eingeleitet werden kann, hat mich schon immer gestört.“ Daher holt Rabmer mittels doppelwandigen Wärmetauschern die Wärme aus dem Abwasser. Im Wärmetauscher fließt ein Trägermedium – meist ebenfalls Wasser. Es nimmt die Wärme auf, wird zu einer Wärmepumpe geleitet und die kann dann Innenräume beheizen. Oder auch kühlen. „Dreiundsiebzig Prozent des Energiebedarfs im Wohnsektor werden für Heizen, Warmwasser und Kühlen verwendet“, erläutert Rabmer-Koller, „wobei Kühlung aufgrund der Klimaveränderung tendenziell immer mehr wird.“
Geringe Volatilität, hohe Ausbeute
Der große Vorteil von Abwasser ist, dass es das ganze Jahr rund um die Uhr mit einer Temperatur von 12 bis 20 Grad zur Verfügung steht, einfach weil Duschwasser, Abwasser von Waschmaschinen und Geschirrspülern über den Kanal entsorgt werden. Wenn ein Gewerbe- oder Industriebetrieb in der Nähe ist, kann die Temperatur auch bis zu 30 Grad betragen. Damit ist die benötigte Wärme dauerhaft vorhanden, anders als bei Windenergie oder Photovoltaik. Die Energie-Ausbeute ist enorm. Die Durchschnittstemperatur im Kanal-Umfeld des Vio Plaza beträgt selbst im Winter 16 Grad.
„Damit könnten wir das gesamte Objekt heizen und kühlen“, sagt Rabmer und verwendet den Konjunktiv nur, weil bei der Genehmigung des Projektes bereits ein Fernwärmeanschluss vorgesehen war und deshalb nur ein Teil der Heizung aus dem Kanal geliefert wird. Ein großer Vorteil der Kühlung aus dem Kanal ist, dass auf dem Dach der Immobilie die üblichen Klimatürme nicht gebraucht werden. Jetzt konnte für das ganze Dach Photovoltaik eingeplant werden. Aus den beiden Wärmetauscher-Strängen werden insgesamt 1,2 MW Heizung und bis zu 6 MW Kühlung entzogen, ohne dass der Kanalbetrieb nachteilig beeinflusst wird. Mit einem innovativen Monitoringsystem wird sichergestellt, dass die Entnahme von Wärme aus dem Abwasser die Temperatur nicht zu weit absenkt. Dann könnten die Bakterien in der Kläranlage nicht mehr optimal ihren Dienst versehen. „Wir beschäftigen uns schon seit über zehn Jahren mit dem Thema, aus Abwasser Energie zu gewinnen, und sind einfach drangeblieben“, sagt Rabmer-Koller. Und das zu einer Zeit, wo „niemand an diese Technologie geglaubt hat", sagt Rabmer-Koller. Die fossilen Brennstoffe waren einfach und kostengünstig zu haben. Wozu also das Abwasser nutzen? „Für mich war aber immer klar, die Zeit wird kommen. Es braucht innovative Lösungen für die Energiewende.“ Zur Erreichung der Klimaziele wird es einen Mix an Technologien brauchen und diese Abwasserenergie-Technologie kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Entscheidend ist, dass dort, wo das Energiepotenzial besteht, auch die Abnehmer zu Hause sind. Ein Kanal, der im Umkreis das Abwasser von mehr als 5.000 Menschen oder warme Industrieabwässer entsorgt, ist Minimalvoraussetzung. Es ist keine Technologie von der Stange, sondern braucht als Basis eine detailliere Erhebung und Analyse. „Im städtischen Raum gibt es viel Potenzial und auch entsprechende Abnehmer“, erklärt Rabmer-Koller, „im ländlichen Bereich schauen wir, ob eine Kläranlage oder ein Entsorgungskanal in der Nähe ist.“
Teures Gas, hohe Nachfrage
So ein Neubau wie das Vio Plaza ist ideal für Energie aus Abwasser, es lassen sich aber auch bestehende Gebäude nachrüsten. „Wir haben seit einiger Zeit viele Anfragen, weil jetzt alle raus wollen aus Gas“, so Rabmer-Koller, „und zwar schnell.“ Erstaunlich genug, dass das sogar relativ rasch geht, wenn die Bedingungen passen. Innerhalb von sechs Monaten ist ein Projekt realisierbar. Die Anfragen kommen von Kommunen, Industrie und Immobilienentwicklern. Frau Rabmer freut sich, dass es für diese Technologie jetzt auch Fördermittel gibt, hat aber einen kleinen Zusatzwunsch. Ideal wäre eine Abwasserwärmelandkarte, aus der das jeweilige Abwasserenergie-Potenzial ersichtlich ist. Würde dann jemand eine Immobilie entwickeln oder eine Heizung umstellen wollen, könnte man bereits auf diese Daten zugreifen. Das wäre mit dem ohnehin vorhandenen Kanalkataster einfach zu koppeln. Technik und Innovation liegen der Unternehmerin generell sehr am Herzen. „Ich war schon als Kind interessiert an Technik“, erklärt Rabmer-Koller, „und war oft mit meinem Vater auf Baustellen unterwegs.“ Um mehr Kinder für Bau- und Umwelttechnik zu interessieren, gibt es am Standort von Rabmer im Mühlviertel auch einmal im Jahr einen Kinderbautag für Sechs- bis Vierzehnjährige. Da kann man Rohrleitungen mit Robotern inspizieren und dort vielleicht ein Stofftier finden, Ziegel- und Holzhäuser bauen und natürlich mit dem Bagger fahren. „Wir müssen das Technikinteresse schon bei Kindern und vor allem auch bei Mädchen wecken“, sagt Rabmer-Koller, „wir brauchen auch die Fachkräfte für neue zukunftstaugliche Technologien.“