Wenn’s passt, dann passt’s

Weiterbildung
07.02.2021

Die Ausbildung beziehungsweise Einstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen kann dazu beitragen, den Fachkräftemangel in manchen Branchen zu entschärfen. Welches Mindset man dafür braucht und warum sich die Integration auch wirtschaftlich lohnt – ein Überblick.
Inklusion

"Arbeitsmarkt: Das große Gerangel um die Lehrlinge“ – Schlagzeilen wie diese tauchen in Österreichs Medien immer häufiger auf. Die Covid-19-Krise hat die Situation noch verschärft, heißt es in einem Bericht des ORF OÖ: „Corona war vor allem der Grund dafür, dass ganz viele Vorstellungsgespräche, ganz viele Schnuppertage nicht stattgefunden haben“, wird die OÖ Wirtschaftskammerpräsidentin Doris Hummer darin zitiert. In manchen Branchen ist der Fachkräfte- bzw. Lehrlingsmangel mittlerweile so eklatant, dass er zu einem Rückstau bei der Abarbeitung von Aufträgen führt.

Auch der Kärntner Unternehmer Christian Stückler, Geschäftsführer der Wolfsberger Fliesen Stückler KG, weiß davon ein Lied zu singen: „Manchmal wissen wir gar nicht, wie wir die Aufträge abarbeiten sollen und müssen auf die Hilfe von befreundeten Betrieben zurückgreifen oder Aufträge ablehnen, die sich zeitlich nicht verschieben lassen.“ Speziell in seinem Gewerbe gibt es einen extremen Mangel an Lehrlingen und Facharbeitern. „Jammern hilft aber nix“, sagt Stückler und beschreitet in puncto Lehrlingsausbildung einen „etwas anderen Weg“. Er beschäftigt in seinem Betrieb zwei Jugendliche, die es aufgrund einer Beeinträchtigung im Leben nicht immer leicht hatten. Eigentlich wollte er ja nur einen Lehrling ausbilden, erzählt der Firmenchef. Der zweite Lehrling, der im September 2020 zum Team gestoßen ist, hat ihn aber im Rahmen mehrerer Schnuppertage so überzeugt, dass er sein ursprüngliches Ansinnen über Bord geworfen hat. „Ein Mitarbeiter, der mit ihm im Einsatz war, hat mir erzählt, dass der junge Mann meinte, er wolle der beste Fliesenleger der Welt werden“, erzählt der Firmenchef: „Das hat mir so gefallen, dass ich ihn genommen habe, obwohl ich ursprünglich eigentlich immer nur einen Lehrling zur gleichen Zeit ausbilden wollte.“ Zu tun gibt es jedenfalls genug – trotz Covid-Krise, die anderen Betrieben schwer zusetzt. Stückler auf die Frage, ob er anderen Unternehmen raten kann, seinem Beispiel zu folgen und ebenfalls Jugendliche mit einer Lernschwäche zu beschäftigen? „Ja auf alle Fälle. Das ist aus meiner Sicht einer von mehreren Wegen, um dem Fachkräfte- bzw. Lehrlingsmangel entgegenzusteuern.“

Professionelle Unterstützung nützen

Unterstützt wird Stückler vom Kärntner Unternehmen Autark, das 1996 gegründet wurde. Autark betreut in Kärnten im Auftrag des Sozialministeriumsservice unter anderem das Netzwerk „Berufliche Assistenz“ – kurz NEBA. Dieses österreichweite Netzwerk soll Menschen mit Benachteiligungen und/oder Behinderungen und ausgrenzungsgefährdete Jugendliche unterstützen.

Im Rahmen des Programmes zur Berufsausbildungsassistenz werden in Kärnten derzeit 600 Jugendliche betreut und bis zum Lehrabschluss begleitet. Geschäftsführer Andreas Jesse erzählt: „Wir haben eine enge Vernetzung mit den Pflichtschulen. Für Jugendliche, die zum Beispiel eine Lernschwäche oder eine andere Beeinträchtigung haben, können die Schule, aber auch die Eltern oder der Jugendliche selbst ein Jugendcoaching anfordern. Die Teilnahme an dem Programm ist natürlich freiwillig. Während des Jugendcoachings werden Stärken und Schwächen analysiert, ein Perspektivenplan erstellt und nach einem geeigneten Beruf gesucht. Es kann auch sein, dass eine weitere schulische Ausbildung folgt. Wenn der Jugendliche die Pflichtschule beendet hat, können wir im Rahmen des Arbeitsassistenzprogrammes gemeinsam einen Lehrplatz suchen und ihn weiter begleiten.“

Autark unterstützt den Jugendlichen während der Ausbildung, hält unter anderem Kontakt zur Berufsschule und organisiert bei Bedarf auch eine Nachhilfe, erzählt Christian Stückler und schließt: „Autark ist ein Traum.“ Eine Aussage, die Andreas Jesse natürlich freut: „Wir halten engen Kontakt zur Wirtschaft und haben ein breites Netzwerk. Wenn ein Unternehmen einen von uns betreuten Lehrling ausgebildet hat, kommt es häufig wieder, wenn dieser die Ausbildung abgeschlossen hat.“

„Natürlich braucht man manchmal Zeit und Geduld, aber am Ende wird jeder Betrieb, der sich über dieses Thema drüber traut, reich beschenkt.“

Ulrike Retter, Bio-Natur-Resort Retter

Bei der Frage, ob Menschen mit Beeinträchtigungen dazu beitragen können, den Mangel an Fachkräften und Lehrlingen zu beenden, gibt sich Jesse zurückhaltend. „Man kann das nicht generalisieren“, meint er: „In manchen Branchen können diese Mitarbeiter aber sicher ein Teil der Problemlösung sein.“ Was die Ausbildung von Lehrlingen betrifft, verweist Jesse unter anderem auf die Möglichkeit der Verlängerung der Ausbildungszeit, die etwa Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten helfen kann, ihre Lehrausbildung auch tatsächlich abzuschließen. Die normalerweise drei Jahre dauernde Ausbildung kann bis auf fünf Jahre ausgedehnt werden.

Auch Ulrike Retter, die gemeinsam mit ihrem Mann Hermann Retter das Bio-Natur-Resort Retter im steirischen Pöllauberg leitet, beschäftigt in ihrem Betrieb Menschen mit Beeinträchtigungen. Von den 20 Lehrlingen, die im Schnitt im Unternehmen ausgebildet werden, sind vier bis fünf Jugendliche, die möglicherweise sonst nicht die Chance gehabt hätten, einen Lehrplatz zu finden. „Als Unternehmer ist es unsere Verpflichtung, diese Menschen zu integrieren“, meint Ulrike Retter und betont, dass sie noch nie enttäuscht wurde. Vor allem, was den sozialen Zusammenhalt im Unternehmen betrifft, ist die Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigungen ein Vorteil, meint sie: „Natürlich braucht man manchmal Zeit und Geduld, aber am Ende wird jeder Betrieb, der sich über dieses Thema drüber traut, reich beschenkt.“

Loyale Mitarbeiter binden

Ähnlich auch Autark Geschäftsführer Andreas Jesse: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Mitarbeiter extrem loyal dem Unternehmen gegenüber sind.“ Was die wirtschaftliche Seite betrifft, ist die Beschäftigung von „begünstigten Behinderten“, wie es das Behinderteneinstellungsgesetz formuliert, jedenfalls kein Nachteil. Ab einer Mitarbeiteranzahl von 25 muss jedes Unternehmen einen „begünstigt Behinderten“ je 25 Mitarbeiter beschäftigen. Tut es das nicht, ist eine Ausgleichstaxe von 271 Euro monatlich für jede Person, die zu beschäftigen wäre, zu bezahlen. Ab 100 Arbeitnehmern steigt die Ausgleichstaxe auf 381 Euro/Monat, und ab 400 Beschäftigten liegt die Ausgleichstaxe bei 404 Euro. Wer hingegen einen „begünstigt Behinderten“ ausbildet, kann eine Prämie von monatlich 271 Euro in Anspruch nehmen. Dazu kommen unter Umständen noch andere Förderungen. Trotzdem sollte niemand nur wegen eventueller Förderungen einen „begünstigt Behinderten“ einstellen, meint Andreas Jesse: „Natürlich braucht es Engagement von allen Seiten. Wer mit Herzblut zur Sache geht, wird am Ende die Erfahrung machen, dass es sich allemal rechnet.“ „Wenn’s passt, dann passt’s“, bringt es Jesse kärntnerisch auf den Punkt.