Sicher aufgestellt

WU Executive Academy
02.05.2021

 
Was resiliente Unternehmen auszeichnet und welche Rolle digitale Technologien spielen, analysieren Christof Stögerer, Lead Continuing Education der WU Executive Academy, und Vladimir Preveden, strategischer Berater und Interimsmanager von Wachstumsunternehmen.
"Die Corona-Krise hat zu einem vorher unvorstellbaren Digitalisierungsschub geführt“, sagt Vladimir Preveden.

In der Regel kündigen sich Krisen durch leichtere Vorbeben an, doch allzu oft erwischen sie ihre Opfer unvorbereitet. Ob eine Finanzkrise, die die Märkte erschüttert, oder ein Virus, das die Wirtschaft lahmlegt, oder eine Flüchtlingskrise, die politisches Handeln erfordert: „Gemein haben solche Disruptionen, dass sie mit ihrem exponentiellen Wachstum, ihrer Durchdringungskraft und Schnelligkeit der Wirksamkeitsentfaltung unvorstellbare Ausmaße annehmen können. Unternehmen müssen in der Lage sein, solche unerwarteten Umstände zu verkraften und schnell – oft mit unklaren Annahmen – Entscheidungen zu treffen und sich anzupassen und manchmal neu auszurichten“, sagt der Strategie-Berater Vladimir Preveden. „Was die Corona-Krise vor allem zeigt, ist, dass es nicht reicht, sich auf resiliente Führungskräfte zu fokussieren, wie wir es die letzten Jahre häufig getan haben“, meint Christof Stögerer von der WU Executive Academy. Ein Versäumnis, denn: „Das gesamte Unternehmen muss auf seine Resilienz hin betrachtet werden: die Organisation, die Struktur, die Produkte, die Partnerschaften und Kooperationen. Gerade in der Krise werden die Schwachstellen eines Unternehmens evident“, so Stögerer.

DIE EXPONENTIELLE KURVE DER DISRUPTION

Die meisten Unternehmen wurden in einer Welt sozialisiert, in denen die Prämisse lineares Wachstum war. Disruptionen sind allerdings nicht linear, sondern funktionieren exponentiell, so Preveden: „Das Wachstum der Disruption beschleunigt sich nach anfänglich kaum merkbaren Entwicklungen explosionsartig. Dies ist in unserem linearen Denksystem oft schwer zu verstehen und noch schwerer zu antizipieren. Das gilt im Übrigen für Finanzkrisen, die globale Erwärmung oder die Vorbereitung auf eine Pandemie gleichermaßen.“ Unbeschadet überstehen Unternehmen solche Disruptionen von außen nur dann, wenn sie schnell und möglichst ohne Reibungsverlust mit ihnen umgehen können und die Widerstandsfähigkeit zu einem zentralen Bestandteil der Strategie wird. Wer eine Krise zum Anlass nimmt, um sich stabiler und resilienter für die Zukunft aufzustellen, ist zu spät dran. Schon in krisenfreien, ruhigeren Zeiten sollten Unternehmen darauf achten. „Eine derart umfangreiche Umstellung unter hohem Zeit- und Finanzdruck ist per se sehr herausfordernd und in der Krise kaum bewältigbar“, gibt Vladimir Preveden zu bedenken. Diese fünf Eigenschaften zeichnen resiliente Unternehmen aus:

1 LIQUIDITÄT ALS STARKES FUNDAMENT

  • Strategisch: Resiliente Unternehmen haben Kapitalreserven, die es ihnen ermöglichen, eine längere Durststrecke zu überbrücken. „Es muss nicht immer maximales Wachstum sein, empfehlenswerter ist organisches Wachstum sowie die Schulden und Kosten zu senken“, so Preveden. Für den Aufbau von Kapitalreserven gebe es drei Hebel: „Erstens: Man legt die Kapitalreserven nicht mehr nur auf das operative Geschäft aus und schüttet Überschüsse durch Dividenden an Aktionäre aus, sondern legt Reserven an. Diese Reserven werden sinngemäß etwa am Finanzmarkt angelegt. Zweitens: Das Eigenkapital wird erhöht. Drittens: Man reduziert die Schulden strukturell und ist auf dem Weg zum ‚schuldenfreien‘ Unternehmen, das sich größtenteils selber finanziert.“
  • Operativ: Alle cashrelevanten Prozesse sind optimiert. Cash-in läuft zentralisiert und ist nach Fristigkeit getaktet. Cash-out ebenfalls. Zusätzlich optimieren resiliente Unternehmen ihren Investitionsplan laufend im Hinblick auf Vorhaben, die den maximalen Return liefern und vermeiden weniger relevante Investitionen.

2 FLEXIBLE STRUKTUREN UND NEUAUSRICHTUNG

„Das Konsumverhalten verändert sich rasch: Die Menschen kaufen etwa zunehmend regional, digital und kontaktlos“, so Stögerer. Unternehmen müssten rasch auf Kundenbedürfnis se reagieren und gleichzeitig versuchen, möglichst autonom und unabhängig von globalen Märkten zu agieren:  

  • Ein schlankes Headquarter mit zentralen Funktionen, die hocheffizient arbeiten, Führungsfunktionen wahrnehmen und Entwicklungsrichtlinien vorgeben, sorgt für innerbetriebliche Synergien und wirkt als Katalysator für funktionsübergreifende Plattforminnovationen.
  • Hocheffiziente und günstige Shared Services sparen Kosten.
  • Eine dezentrale, in Zielmärkten zunehmend autonomer agierende Supply-Chain sorgt für Versorgungssicherheit und Umsatzgenerierungsfähigkeit – auch bei geschlossenen Grenzen.
  • Ressourcensicherheit für die Produktion ist zu gewährleisten.
  • Zentralisierte Datenhoheit in Echtzeit schafft einen permanenten Überblick.
  • Fixe Strukturen und Kapazitäten sollten auf maximale kontinuierliche Auslastung anstatt auf Spitzenabdeckung ausgelegt werden. Ein modularer Aufbau, der es ermöglicht, Fixkostenmodule je nach Bedarf ein- oder auszuschalten, hilft dabei.
  • Die Organisation der Mitarbeiter sollte nach Aufgabengebieten erfolgen und Selbstorganisation fördern.

3 CHANCENERGREIFENDE GESCHÄFTSPROZESSE

  • Fokus auf Kunden: Durch kundenzentriertes Vorgehen mittels Design-Thinking können neue und aufkommende Kundensegmente bzw. -gewohnheiten frühzeitig entdeckt und besetzt werden.
  • Fokus auf Vertrieb: Digitaler sowie kontaktloser stationärer Vertrieb müssen gestärkt werden. Dabei gilt es, den Fokus auf profitable Kundensegmente zu legen und gleichzeitig die Komplexität quer durch die gesamte Supply-Chain zu reduzieren.
  • Fokus auf Service: Empfehlenswert ist die Schaffung von zentralen, digitalen, kundenorientierten Serviceplattformen für Kunden und Lieferanten.
  • Fokus auf Digitalisierung: Es gilt, das digitale Unternehmen quer durch alle Bereiche zu etablieren – mit dem Ziel der Effizienzsteigerung.
  • Fokus auf Mitarbeiter: Unternehmen müssen gezielt Knowhow zu neuen Technologien aufbauen und die Anpassung der Jobbeschreibungen vornehmen.
  • Fokus auf Innovationen: Wichtig ist ein systematischer Approach, um organische wie auch disruptive Innovationen zu entwickeln.

4 UNTERNEHMENSSINN ETABLIEREN

  • Ist der Purpose definiert und gelebt?
  • Sind die Themen Diversität und Nachhaltigkeit verankert?
  • Hat man sich erfolgreich als Arbeitgeber positioniert?

5 GELEBTES LEADERSHIP

Um Mitarbeiter auch in schwierigen Phasen nicht zu verlieren, ist Authentizität, Empathie, Transparenz und klare, unmittelbare Kommunikation gefragt. Leadership lebt aber auch von Weitsichtigkeit, Verständnis und der Fähigkeit, exponentiell zu denken. Besonders in Krisen sind schnelle Entscheidungen durch dezentrales Empowerment der Mitarbeiter und hohes Maß an funktionsübergreifender Interaktivität gefragt.

DIE ROLLE DIGITALER TECHNOLOGIEN FÜR RESILIENZ

„Die aktuelle Corona-Krise hat nicht nur mit der Forcierung von Homeoffice-Lösungen bei Unternehmen zu einem vorher unvorstellbaren Digitalisierungsschub geführt“, sagt Vladimir Preveden. „Dass die Digitalisierung mit dem Erfolg des Homeoffice nun abgeschlossen ist, ist allerdings eine Illusion“, ergänzt Christof Stögerer. Einerseits ermöglicht sie eine digitale Kundenschnittstelle, andererseits Effizienzsteigerungen quer durch das Unternehmen sowie funktionsübergreifende Kollaborations- Plattformen für Mitarbeiter. Es entstehen neue Geschäftsmodelle, vor allem auch unter Einbezug von disruptiven Innovationen über Start-ups. Zusätzlich dazu bedingt die digitale Durchdringung eines Unternehmens einen gesunden Bruch mit etablierten, althergebrachten Denk- und Arbeitsweisen: „Damit trägt sie unmittelbar auch zu einem Kulturwandel in Richtung einer agilen, offenen und kollaborativen Kultur bei“, so Preveden. Wichtig sei zudem, „neue technologische Skills wie Datenanalytik, aber auch neue Methoden-Skills wie etwa Design- Thinking bei den bestehenden Mitarbeitern zu etablieren und durch neue Mitarbeiter in das Unternehmen zu bringen.“

„Jede Krise ist gleichzeitig auch immer eine Chance, und zwar für weitere ‚Innovations-Boosts‘“, sagt Christof Stögerer: „Meine Hypothese zur wirtschaftlichen Lage in der derzeitigen Corona-Krise: Wir klammern uns zu sehr ans alte Business. Es wäre falsch, auf Biegen und Brechen alles retten zu wollen und die Innovation hintanzustellen. Genau jetzt ist der Zeitpunkt, Neues auszuprobieren und zu entscheiden, was man von den alten Strukturen und Geschäftsmodellen loslassen sollte.“

Autor/in: 

PAUL KOSPACH, STEPHAN STRZYZOWSKI