Das Ende der Befehlsempfänger

Bildung
12.02.2020

 
Aufopfernd, innovativ und eigenverantwortlich: Unternehmen benötigen heute Mitarbeiter, die sich im Betrieb wie Entrepreneure engagieren, auch aufgrund von schlankeren Strukturen. Wie die Rahmenbedingungen dafür aussehen müssen? Zwei Unternehmen machen es vor.

Neu ist die Idee nicht. Schon in den 1970erJahren, als die ersten Mitarbeitergespräche aufkamen, stellte sich heraus, dass motivierter war, wer bei seiner Arbeitsgestaltung mitreden durfte. Doch über den unmittelbaren Wirkungsbereich ging der erste Partizipationsansatz kaum hinaus. Neuen Schwung bekam das Thema in den 1990erJahren. Das Buzzword des Jahrzehnts hieß Kundenund Serviceorientierung. Wer seine Kunden so glücklich machen soll, dass sie wiederkommen, so die Logik, der muss entscheiden dürfen, wie er das macht. Also wurden Mitarbeiter für den Kundenkontakt „empowered“ oder „enabled“. Man erklärte ihnen den Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dem Betriebsergebnis, schulte sie in Verkaufstechnik und gab ihnen je nach Rang ein paar Freiheiten.

Heute genügt auch das nicht mehr. In vielen Unternehmen wurde im Zuge der Wirtschaftskrise eingespart, was nur ging. Hierarchieebenen wurden vielfach ersatzlos gestrichen und teure Führungspositionen abgeschafft. Mit dem Ergebnis, dass jeder Mitarbeiter selbst mehr Verantwortung für sein Tun übernehmen muss. Zu einem internen Mitunternehmer sollten die Angestellten werden, kurz: zu „Intrapreneuren“. Dieser Typus muss sich voll mit der Firma identifizieren, als würde sie ihm gehören. Eine unternehmerische Haltung soll er zeigen anstatt die eines Befehlsempfängers. Innovativ soll er sein. Brennen soll er für die Firma und neben seinen fachlichen Talenten auch die privaten einbringen, etwa seine sozialen Netze. Merke: Das ist kein Angebot des Managements. Es wird immer öfter gefordert. Auch mangels Alternativen.

MITARBEITER IM WANDEL

So sehr der Druck auch steigt, zumindest ist der Preis heiß – für jene Mitarbeiter, die üppig mit intrinsischer Motivation ausgestattet sind und sich im neuen System bessere Karrierechancen ausrechnen. Nur dann springen sie auf die Verlockungen an: auf mehr Autonomie, Gestaltungsfreiheit, Erfolgsund Machterlebnisse, persönliche Entwicklung und Selbstverwirklichung. Die Sache hat natürlich einen Haken. Vor lauter Ermächtigung übersehen die Mitarbeiter leicht, dass sie jetzt nicht nur höherwertige Arbeit, sondern in Summe mehr leisten müssen. Das nennt sich Arbeitsverdichtung. Das unausgesprochene Ziel des Managements ist oft Personalausdünnung.

NUR HÄUPTLINGE, KEINE INDIANER

Es gilt auch zu bedenken, dass nicht alle Mitarbeiter intrinsisch hochmotiviert sind und mit der neuen Rolle klarkommen. So mancher hat seinen Lebensmittelpunkt außerhalb der Firma und will einfach nur gesagt bekommen, was er tun soll. Trotzdem ist auch sein Beitrag wichtig. Und es gibt die zweite Ebene, das mittlere Management, das vielleicht seine Macht nicht abgeben will. Führungskräfte, die bisher privilegierten Informationszugang hatten, ihr Wissen nicht teilen und weiterhin mikropolitische Spielchen spielen wollen. Es gibt auch Manager, die mit ihrer neuen Rolle als Moderator nicht zurechtkommen. Sie ist nicht jedermanns Sache. Selbst das Topmanagement muss etwas opfern. Es muss die Hierarchien aufweichen oder gleich ganz weglassen. Sollen die Mitarbeiter initiativ sein, dürfen sie keine hierarchischen oder bürokratischen Barrieren bremsen. Viele Geschäftsführer wollen die bewährten Strukturen aber nur ein klein wenig lockern. Hier gilt abgewandelt der alte Spruch: Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Leuchtende Vorbilder, die zeigen, wie es klappen kann, sind der brasilianische Maschinenbauer Ricardo Semler, der schon in den 1990erJahren seine SemcoMitarbeiter entscheiden ließ, ob sie lieber Backautomaten oder Klimaanlagen bauen wollten. Auch der Hamburger Hotelier Bodo Janssen lädt zum Nachahmen ein. Ihm wiegt die Selbstverwirklichung seiner bei Upstalsboom Angestellten höher als das Betriebsergebnis. Genau deshalb muss er nie über zu wenige Bewerber klagen. Solche Leuchtturmprojekte bringen wichtige Erkenntnisse. Sie zeigen, dass es starke Leitbilder, Werte und Missionen braucht. Diese dürfen nicht von Beratern entwickelt sein, sonst leben sie nicht. Weiters braucht es Spielregeln, Rahmen, Tools und eine tolerante Fehlerkultur. Und nicht zuletzt Kontrollsysteme, die Informationen sammeln, Kennzahlen errechnen und die Zielerreichung messen.

„Jeder weiß selbst am besten, wie es für ihn richtig ist.“ Klaus Hochreiter, eMagnetix

DIE INTRAPRENEURE UND DAS GEHALT

Dahinter steckt eine Personalpolitik, die vom Recruiting der richtigen Köpfe über die Teamorganisation bis zu Anreizsystemen und Entlohnung alles überblickt. Wie viel Geld man in die Handnehmen muss, um die Gehaltsforderungen der selbstbewussten Intrapreneure zu erfüllen? Der Kompensationsexperte Conrad Pramböck teilt eine Belegschaft in drei Stufen. Erstens jene Mitarbeiter, die nach wie vor geführt werden wollen. Für sie veranschlagt Pramböck 35.000 bis 70.000 Euro Jahresbrutto. Zweitens die Seniors mit Erfahrung, Gestaltungswillen und der Fähigkeit, Silos zu sprengen. Sie setzt Pramböck mit 60.000 bis 90.000 Euro früheren Abteilungsoder Projektleitern gleich. Und drittens die Managementund TopExperten (etwa ITSecuritySpezialisten), die monetär im CLevel ab 120.000 Euro spielen.

Kritisch wird es beim Bonussystem, das nach umsichtigen Kennzahlen verlangt. So wird nicht mehr der höchste Umsatz prämiert, sondern das nachhaltige Konvertieren von Einmalkunden in KeyAccounts. Praktisch für die Firma: Das Gehalt darf nie der Hauptantreiber der Intrapreneure sein, sondern das Begehren, spannende Projekte zu gestalten. Wie macht man nun „normale“ Mitarbeiter zu Intrapreneuren? In dieser Reihenfolge: Wollen – Können – Dürfen. Zuerst müssen bestehende und neue Mitarbeiter das passende Mindset haben, dann die fachliche Befähigung und schließlich das Go der Geschäftsleitung. Ganz einfach, nicht?

Führung und Management auf neuen Wegen – zwei Beispiele

eMAGNETIX: 30 STUNDEN SIND GENUG

Vergangenen Herbst feierte die OnlineMarketingagentur eMagnetix aus Bad Leonfelden ihr ZehnJahrJubiläum. Nach der Gründung, erzählt CoGeschäftsführer Klaus Hochreiter, lief alles wunderbar. „Gute Auftragslage, tolles Team, alle aus dem Bekanntenkreis.“ Ende 2015 wandte sich das Blatt. Der Fachkräftemangel „erwischte uns erst schleichend, dann dramatisch“. Juniors fand er gerade noch, sobald er aber Erfahrung vorausgesetzt hat, meldete sich monatelang niemand. Es wurde eng.

Jeder Krankenstand warf die Kampagnen um Wochen zurück, an Abgänge wagten die beiden Geschäftsführer gar nicht zu denken. Manche Kunden warteten ein halbes Jahr auf eine Umsetzung. Klaus Hochreiter ging auf Wanderschaft. Bis ins Silicon Valley kam er, surfte und las viel über Führung, Arbeitsplatzgestaltung, Benefits und vieles mehr: „Alle propagieren die WorkLifeBalance, meinen aber WorkLifeBlending. Nichts dahinter.“

Schließlich weihte er seine damals 15 Mitarbeiter in eine radikale Idee ein: 30 statt 38,5 Wochenstunden, bei vollem Lohnausgleich, „sonst würden sie sich ja Zweitjobs suchen“. Er hat es durchgerechnet: 22 Prozent weniger Arbeitszeit, aber gleicher Output dank kluger Effizienzsteigerungen. Spricht sich die Idee herum, so sein Plan, lockt sie Bewerber an. Zuerst aber sollten alle gemeinsam überlegen, wie man die fehlende Zeit hereinbringen könne. „Gemeinsam“ war der springende Punkt: „Deswegen funktionieren so viele Konzepte nicht.“ Und weil sie Schnellschüsse waren. Hochreiter ließ sich viel Zeit.

Es überrascht wenig, dass die Belegschaft sofort Feuer und Flamme war. Sie sprühte vor Ideen: Was man digitalisieren könnte, was umgestalten, was überhaupt weglassen. Die Wochenberichte auf Kundenbasis etwa, bislang ein mühsames händisches Zusammensuchen, entstehen nun automatisiert: „Wir haben einfach ein Tool gekauft. Das war nicht einmal teuer und vertippt sich nie. Die Leute waren erleichtert.“ Oder Prozesse optimieren. „Wird man bei einer Tätigkeit unterbrochen, dauert es 15 Minuten, bis man wieder hineinfindet. Gerade bei Kreativarbeit!“ Jeder brachte Vorschläge ein: für streng unterbrechungsfreie Zeiten, strukturierte SanduhrMeetings und Handys, die bei der Arbeit in der Schublade verschwinden. Bürokratisches ließ man, soweit möglich, einfach weg. Die Mitarbeiter dürfen bei jedem, wirklich jedem Thema mitreden. Es gibt ein eigens eingerichtetes Board für sie, in dem die Geschäftsleitung nichts verloren hat. Seine 30 Wochenstunden teilt sich jeder selbst ein: „Jeder weiß selbst am besten, wie es für ihn richtig ist.“ Frühzeitig wurden auch die Kunden eingebunden. Sie verstanden das Konzept rasch als RecruitingUSP und gingen mit. Ist es aufgegangen? „Absolut“, sagt Hochreiter. Zwei Jahre nach der offiziellen Einführung hat er 35 statt 15 Mitarbeiter, die besten und nicht nur aus der Region. Auf ein JuniorInserat bekommt er heute 100 Bewerbungen, auf eines für Seniors 80: „Von denen würde jeder Arbeitgeber 30 sofort einstellen.“ Inzwischen hat er einen zweiten Standort in Linz, weitere werden folgen. 2018, im Jahr nach der 30StundenEinführung, kletterte der Umsatz um 40 Prozent, 2019 nur wenig darunter. Eine Anmerkung ist Hochreiter noch wichtig: dass er das Wort „Mitarbeiter“ eigentlich nicht mag. „Es klingt nach Befehlsempfänger. Sie sind Mitunternehmer.“

Willhaben: HARTE ZEITEN FÜR EINZELKÄMPFER

Die Sinnfrage war bei Willhaben nie ein Thema. Auf der Plattform verkaufen Private gebrauchte Dinge an andere Private, das schont Ressourcen und verringert den CO2Fußabdruck. Bewerber hören das gern, erzählt HRund Marketingleiterin Mercedes Krutz. Dabei hat sie mit dem Recruiting gar nicht so viel zu tun. Die Teams texten ihre Inserate selbst und interviewen die Kandidaten. HR berät sie nur und macht den CorporateCultureCheck: „Nicht nur wir wollen mit dem Kandidaten glücklich sein. Er soll ein glücklicher Willhabinger werden.“ Wie sie das checkt? „Ob jemand etwa Fragen zum Team stellt und nicht zur Führungsrolle.“ Einzelkämpfer fühlten sich in der ausgeprägten Teamkultur nicht wohl.

Wir geben die Verantwortung dem Team. Mercedes Krutz, Willhaben

Willhaben ist seit elf Jahren am Markt und wuchs schwindelerregend schnell. In manchen Jahren um 40 Prozent, rechnet Krutz vor. Im Moment hält sie bei 240 Mitarbeitern, das ändert sich monatlich. Das Geschäft boomt. Von Anfang an als Matrix strukturiert, hatte niemand jemals nur eine Funktion. Agil arbeitet man schon lange, nun steht der nächste Schritt bevor. Bald soll auf größtenteils multidisziplinäre Teams mit EndtoEndVerantwortung umgestellt werden. „Wir nehmen die Verantwortung von der Führungskraft und geben sie dem Team.“ Keine vorportionierten Quartalsziele mehr, sondern volle Verantwortung für die Ziele: „Das macht uns schneller und effizienter.“ Ein Musterbeispiel gibt es schon. Ein Kollege aus dem Marketing ist in seiner Freizeit begeisterter Gamer. Er bot an, sich der Zielgruppe der Gamer anzunehmen, für die auf der Plattform überdurchschnittlich viele Angebote – Konsolen, GamingPCs, Headsets – zu finden sind. Der Kollege bekam Ermächtigung, Budget und volle Verantwortung. Mangels Insiderwissens hätte es auch kein anderer übernehmen können. Heute leitet er ein GamingSquad und organisierte erst im Dezember gemeinsam mit A1 und FM4 die #Charity Royal19, eine GamingChallenge für einen guten Zweck.

Bis alle so selbstverantwortlich agieren können, ist noch viel zu tun. Getreu dem agilen Motto „Build – Measure – Learn“ testen im ersten Quartal zwei Teams die neue Arbeitsweise. Parallel wird an Zielen, Rahmen, Tools und Formaten getüftelt. Krutz: „So ohne ist das nicht, die Vorplanung, die bisher die Führungskräfte machten, einfach ins Team zu geben.“ Einerseits wird sorgfältig an greifbaren Zielen gefeilt, andererseits an den Kompetenzen der Teams: Feedback geben und nehmen, Konflikte austragen, Performancekennzahlen entwickeln, andererseits an den Kompetenzen der bisherigen Führungskräfte, die künftig nur noch coachen und begleiten. Wie reagieren sie auf die gefühlte Entmachtung? „Manche tun sich leichter, andere schwerer“, sagt Krutz diplomatisch: „Aber es ist ja nicht neu für sie.“

Autor/in:

Maria Leicht