Bildungstrends für das neue Jahrzehnt
Eines ändert sich auch im neuen Jahrzehnt nicht: Unternehmen brauchen qualifizierte Mitarbeiter. Geändert hat sich allerdings die Zuständigkeit für den Themenbereich Ausund Weiterbildung. Ob und wie sich Mitarbeiter auf dem letzten Stand halten, liegt mittlerweile bei ihnen selbst. Die Verantwortung trägt nun nicht mehr das Unternehmen, nicht die Führungskraft, sondern der Einzelne. Selbstverantwortung wird also großgeschrieben. Fakt ist: Nur wer dranbleibt, wer seine Weiterbildung von der Organisation einfordert oder sich selbst organisiert, kann in der Arbeitswelt überleben. Wer stehen bleibt, fällt zurück. Doch damit sind Unternehmen nicht automatisch aus dem Schneider.
„Ob und wie sich Mitarbeiter auf dem letzten Stand halten, liegt mittlerweile bei ihnen selbst.“
Denn sie müssen sich nun auf Mitarbeiter einstellen, die fordern. Auf Angestellte, die, kaum dass sie einen Kurs absolviert haben, ihr Netzwerk auf Xing und LinkedIn davon wissen lassen. In der Marketingsprache heißt das SelfBranding. Weshalb es sich für Unternehmer lohnt, ihre Schlüsselkräfte regelmäßig in den professionellen sozialen Medien zu che cken. Weil sie vielleicht Wege einschlagen, die sie für andere sehr attraktiv machen, ohne dass der Arbeitgeber davon weiß. Umgekehrt: Wer seinen Mitarbeitern Ausbildungen ermöglicht, sollte das ebenfalls breittreten. Hier heißt das Stichwort Employer Branding.
Veränderungen zeigen sich auch in der Art, wie Weiterbildung heute funktioniert. Sie umfasst nämlich nicht mehr nur große aufwendige Curricula. Wohin die Reise geht, zeigt etwa die WU Executive Academy, gespickt mit schicken Anglizismen. „Instant Microlearning“ etwa meint, Wissensgebiete in kleine, leicht verdauliche Häppchen aufzubrechen, die on demand und just in time konsumiert werden. Man könnte es auch „möglichst bequem“ nennen oder die Freiheit, wann und wie es dem Lernenden und seinem Arbeitgeber gerade gefällt. Und so in den Alltag eingewoben, dass es kaum auffällt.
ÜBERLISTE DEN GOLDFISCH IN DIR
Eine der neuen Methoden firmiert unter dem Buzzword „Flipped Classroom“. Hier bekommen die Lernenden Wissens„ Snippets“ direkt an den Arbeitsplatz geschickt, per Mail, WhatsApp oder Post. Snippets sind winzige Portionen bunt gemischter Text, Audio, Videooder WebinarDateien, die vor einem Präsenztraining vorbereitet werden müssen. Die kunterbunten Formate und deren extreme Kürze haben zwei Gründe: Abwechslung und das Austricksen der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne. Ein Goldfisch kann sich neun Sekunden konzentrieren, ein Millennial nur noch acht. Zum Vergleich: 2006 waren es noch zwölf Sekunden. Als Ausgleich haben sie gelernt, ihr neues Häppchenwissen „peer to peer“ gut zu festigen, also im Austausch mit ihren Lern„ Buddies“ und durch deren Feedback. Feedback ist ein Schlüsselwort vor allem für die Generation Z, die Jüngsten im Arbeitsmarkt. Sie wollen sofort und sehr detailliert wissen, wie sie mit ihrer Leistung abschneiden. Ihnen nichts zu sagen, weil „eh alles passt“, ist ihr persönlicher Albtraum – und ein Signal für den Aufbruch zum nächsten Arbeitgeber.
LERNEN, WO ICH WILL UND WIE ICH WILL
Apropos persönlich: Die Trends zur Individualisierung und Flexibilisierung haben auch in der Fortbildung aufgeschlagen. Hier bedeutet das, sie sind genau auf den Lernenden und seinen Arbeitgeber abgestimmt. Für das Aushandeln mit dem Anbieter ist es gut zu wissen, welche Dimensionen „individuell“ umfasst.
- Zuerst die zeitliche Dimension: Wann es dem Lernenden und seinem Arbeitgeber gerade in den Workflow passt, mit beliebigen Pausen oder auch längeren Unterbrechungen, ohne deshalb den Termin der Abschlussprüfung zu versäumen.
- Dann inhaltlich, abgestimmt auf das Vorwissen des Lernenden. So bekommen z. B. bei einem Wirtschaftskurs Marketingleute andere Inhalte serviert als Techniker.
- Die dritte Dimension orientiert sich nach dem höchsten Vorbildungs- bzw. dem erwünschten Abschlussgrad. Jeder Anbieter kann seine Kurse der Ambition, dem Zeit- und Geldbudget des Kunden anpassen. In der einfachsten Variante ist das ein Zertifikat nach ein paar Tagen, in der komplexesten ein Double-Degree-Mastertitel nach vier Semestern. Dazwischen liegen halbjährige Short Programs, einjährige Universitätslehrgänge oder der Professional Master. Ganz nach Belieben.
- Die vierte Individualisierungsdimension heißt – erraten – On-/Offline. Wie viel Anwesenheit können sich Lernender und Arbeitgeber leisten? Aber auch: Wie nachhaltig soll das Lernen sein? Nachhaltigkeit meint hier einerseits den Transfer vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis. Andererseits sind in Zeiten von Flight-Shaming auch Präsenzausbildungen mit global zusammengewürfelten Teilnehmern in Verruf gekommen. Müssen die wirklich jedes Mal eingeflogen werden? Aber: Damit eine Gruppe gut zusammenarbeitet, muss man sich im echten Leben kennen. Nur virtuell genügt nicht.
In diesem Spannungsfeld tüfteln die Anbieter also ihre Fortbildungen aus. Für den Nachfrager bedeutet das: Es geht immer mehr, als auf den ersten Blick scheint. Man muss die Möglichkeiten nur ausreizen.
WIR BASTELN EIN DUALES STUDIUM
Duale Studiengänge gibt es in Österreich seit 15 Jahren, aber für viele KMU sind sie noch Neuland (in der Tabelle sind einige Beispiele aufgelistet). Wichtig ist, sie nicht mit dem berufsbegleitenden Studium zu verwechseln: Beim dualen Studium schneidern ein Unternehmen und eine Hochschule (meist eine FH) gemeinsam ein haarscharf auf das Unternehmen abgestimmtes Curriculum. Oft werfen auch mehrere Betriebe einer Region ihre Rivalität über Bord und schnitzen ein gemeinsames. Immer sind die Studierenden regulär bei ihnen angestellt und stimmen ihre Projekt-, Bachelor- oder Masterarbeiten auf den Bedarf ihrer Firma ab. Studiert wird blockweise oder am Wochenende.
Für die Unternehmen bringt das nennenswerte Vorteile. Sie werden attraktiv für bildungshungrige Bewerber und binden diese bzw. bestehende Mitarbeiter durch die teilfinanzierte Fortbildung ans Haus. Das Wissen fließt über die akademisch begleiteten Projekte sofort zurück ins Unternehmen, nicht nur in Form theoretischer Arbeiten, auch über die von den Studierenden sofort umgesetzten Projekte. Wer sich an ein Gemeinschafts-Curriculum anhängt, vernetzt sich geschickt in der Region; Bewerberaustausch, wechselseitige Praxisschulungen und Zukunftskooperationen inklusive. Prominente heimische KMU machen es vor: Admonter, Fill, Hueck, Knapp, KTM, Polytec, Trumpf oder Wintersteiger, um nur einige zu nennen.
WAS SICH BEI DEN UNIS TUT
Österreich hat eine neue Uni, die man für Wirtschaftsausbildungen im Auge behalten sollte. Nach Querelen mit der Orbán-Regierung in Budapest übersiedelt die Central European University (CEU) des Hedgefonds-Milliardärs George Soros nach Wien, wo sie seit Juli 2019 akkreditiert ist. Im Wintersemester 19/20 starteten die ersten 700 Studenten im Ausweichquartier in der Quellenstraße in Wien-Favoriten. Bis 2025 soll der Vollbetrieb am Gelände des Otto-Wagner-Spitals in Penzing laufen. Dafür muss Soros allerdings noch tief in die Tasche greifen. Die anderen Unis erweitern derweil zügig ihr Vorlesungsverzeichnis. Vergangenen Herbst liefen elf neue Bachelorund 29 Masterstudien an. Die wichtigsten sind die Bachelor- Angebote in „Umweltingenieurwesen“ (TU Wien), „Medical Engineering“ und „Artificial Intelligence“ (beide Uni Linz, Letzteres auch als Masterstudium) sowie „Digitalisierung- Innovation-Gesellschaft“ (Uni Salzburg). Bei den Masterstudien sind es „Philosophy & Economics“ (Uni Wien), „Digital Earth“ und „Human-Computer-Interaction“ (Uni Salzburg) sowie „Building Materials & Ceramics“ (Montanuni Leoben).
VON DER UNI IN DEN MEETINGRAUM
Alle Unis betreiben inzwischen Weiterbildungscenter, die Inhouse-Schulungen für Unternehmen anbieten. Jenes der TU Graz heißt „Life Long Learning“ und offeriert seit Herbst die neuen Lehrgänge „Lean Baumanagement“ und „AI Essentials“ an. Bewährt sind auch „Big Data Essentials“, „Data Science“ und der Kurs für die Programmiersprache Python. Gleich nebenan setzt die Uni for Life der Universität Graz auf E-Learning. Im Herbst bewarb sie vor allen ihre neuen Kurse „ERP Key User“ und „ERP Professional“ zum Planen und Steuern von Geschäftsprozessen.
Alle Unis betreiben inzwischen Weiterbildungscenter, die Inhouse-Schulungen für Unternehmen anbieten.
WAS SICH BEI DEN FH TUT
Sie wachsen und wachsen: Seit 25 Jahren sind die Fachhochschulen auf Siegeszug durch Österreich. In Zahlen: 53.000 FH-Studenten bedeuten ein neuerliches Plus von 3,6 Prozent. Von Anfang an dabei war die FH Wien der WKW mit ihrem Management- und Kommunikationsschwerpunkt. Neu ist dort der erst im Oktober eröffnete Radio- und TV-Bereich für die Journalismus-Lehrgänge. Der soll baulich und technisch alle Stücke spielen. Im Herbst startete auch erstmals der berufsbegleitende Bachelor- Studiengang „Digital Business“. Eine Neueröffnung gibt es auch an der FH Campus Wien mit dem Kompetenzzentrum für Angewandte Pflegeforschung. Dort tüftelt man an Projekten wie dem Webgame „Das virtuelle Krankenhaus“, einem intelligenten Trinksystem, einem sozial assistiven Roboter oder einer Demenz- App für die Angehörigen von Demenzkranken. Die FH des BFI Wien setzt auf Sprachen und bietet etwa den Studierenden von „Logistik & Transportmanagement“ und „Europäische Wirtschaft & Unternehmensführung“ Sprachzertifikate in Französisch, Spanisch oder Russisch an. In Niederösterreich investierte die FH Wr. Neustadt in einen neuen, zusätzlichen Standort im denkmalgeschützten Karmeliterkloster, wo nun die Fakultät Wirtschaft samt Audimax untergebracht ist. Die FH St. Pölten wird ab 2020 ihr Studienangebot um „Management & Digital Business“ sowie die englischsprachigen Studiengänge „Creative Computing“ und „Cyber Security & Resilience“ erweitern. Das IMC Krems hat seit Herbst den englischsprachigen Bachelor-Lehrgang „Informatics“ im Angebot.
Digital geht es auch im Süden weiter. Die FH Kärnten startete im Herbst das Masterstudium „Digital Transformation Management“. Im Double-Degree-Diplomprogramm „International Business Management“, das sie zusammen mit Universität Udine anbietet, kann man in nur vier Semestern gleichzeitig einen österreichischen und einen italienischen Abschluss erwerben. Ganz im Westen hat die FH Vorarlberg mit dem Wiener Austrian Institute of Technology (AIT) einen potenten Partner an Land gezogen. So will sie im Hightech-Segment einen effektiven Technologie- und Know-how-Transfer vor allem für den Mittelstand gewährleisten.
VORSICHT BEI „ICH BIN DIGITAL FIT“
Für alle, die viele Lebensläufe auf den Tisch bekommen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit loben die Bewerber darin ihre Routine im Umgang mit Internet und Collaborations-Tools. Für viele bedeutet Digital Fitness eben noch, googeln zu können und die Programme des früheren Arbeitgebers zu beherrschen. In den Nullerjahren beeindruckte man damit noch, in den Zehnerjahren wurden es selbstverständlich. Die neuen Ausbildungen beweisen: Digital Literacy meint heute das Finden, Aufbereiten, Analysieren und Produzieren von Daten und Informationen mithilfe digitaler Tools. Es lohnt sich, diesen Unterschied im Bewerbungsgespräch abzuklopfen.