Sozialunternehmen

Unternehmergeist für das Gute

Unternehmensführung
15.10.2024

Forscher*innen der WU Wirtschaftsuniversität Wien haben Österreichs Sozialunternehmen unter die Lupe genommen: Die schlechte Wirtschaftslage trifft sie besonders hart – und dennoch wachsen sie und geben der Gesellschaft mit innovativen Ideen wichtige Impulse.
Papier Menschen händehaltend im Kreis

Sozialunternehmen sind Organisationen, die versuchen, gesellschaftliche Ziele mit unternehmerischen Mitteln umzusetzen: Sie streben danach, positive Veränderungen herbeizuführen oder die Lebensbedingungen von benachteiligten Gruppen zu verbessern – und setzen dabei auf Markteinkünfte und Innovationen.

Resilienz der Sozialunternehmen trotz Krisenstimmung

Alle zwei Jahre untersucht das Social Entrepreneurship Center der WU Wirtschaftsuniversität Wien das Ökosystem der österreichischen Sozialunternehmen und stellte die Ergebnisse gestern vor. Der aktuelle Austrian Social Enterprise Monitor (ASEM) zeigt, dass auch dieser Wirtschaftszweig in den vergangenen zwei Jahren von Krisenstimmung geprägt war: „Die schwierige wirtschaftliche Lage hat Sozialunternehmen gleich dreifach getroffen“, sagt Peter Vandor, Leiter des Social Entrepreneurship Center, „erstens direkt durch steigende Kosten für die Unternehmen, zweitens indirekt durch den Rückgang von Marktnachfrage und Finanzierung. Drittens sind ihre oft vulnerablen Zielgruppen von den wirtschaftlichen Herausforderungen besonders betroffen und brauchen verstärkt Unterstützung.“

Trotz des schwierigen Umfeldes zeigte der Sektor viel Widerstandskraft: 94,6 Prozent der Unternehmen, die für den ersten Austrian Social Enterprise Monitor 2021/2022 befragt wurden, sind weiterhin aktiv: „Es ist schön zu sehen, dass so viele Sozialunternehmen überleben und wachsen“, sagt Peter Vandor. „Sie zeigen damit eine ähnlich hohe Resilienz wie der österreichische Startup-Sektor.“

Sozialunternehmen sind jung und innovativ

Bei den österreichischen Sozialunternehmen handelt es sich oft um junge Organisationen: Knapp die Hälfte von ihnen (47,9 Prozent) wurde in den vergangenen zehn Jahren gegründet. Dadurch wagen sie es auch öfter, ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues auszuprobieren: Laut dem Austrian Social Enterprise Monitor entwickeln 83,5 Prozent der österreichischen Sozialunternehmen innovative Lösungen und neuartige Zugänge – nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch bei Prozessen, Geschäftsmodellen oder Organisationsstrukturen. 

Ein Beispiel dafür ist movevo4Kids: Im Jahr 2021 fassten die Gründer*innen den Plan, etwas gegen Bewegungsmangel bei Schulkindern zu unternehmen. Daraus entstand ein digitales Sport- und Bewegungsprogramm für Schulklassen. Eine Webapplikation ermöglicht es Kindern, gemeinsam mit den beiden Held*innen „Movevo“ und „Moveva“ auf eine Abenteuer-Schatzsuche zu gehen. In Zusammenarbeit mit Red Bull Media House und dem Verein Bewegte Schule bietet die Bildungsstiftungmotion4kids im Schuljahr 2024/25 eine kostenlose Bewegungs-Initiative für 100 Volksschulen in Österreich an. 

Sozialunternehmen schaffen Jobs und fördern Nachhaltigkeit

In Österreich beschäftigt der Sektor derzeit 34.000 bis 93.000 Personen, gerechnet in Vollzeitäquivalenten – mit steigender Tendenz. Viele Sozialunternehmen planen die Schaffung weiterer Arbeitsplätze: 43,8 Prozent wollen im kommenden Jahr die Zahl ihrer Beschäftigten steigern.
Die Arbeitsplätze, die in diesem Sektor geschaffen werden, sind zudem oft „grüne“ Jobs: 47,9 Prozent der befragten Sozialunternehmen geben an, in ihrem Wirken mindestens eines jener sieben Sustainable Development Goals (SDGs) zu verfolgen, die einen ökologischen Aspekt einschließen. 
Zu ihnen gehört etwa das Unternehmen öKlo: Es bietet mobile Toiletten an, die ohne den Einsatz von Wasser oder chemischen Zusätzen auskommen. Im Jahr 2017 gegründet, besteht das Team mittlerweile aus 42 Mitarbeiter*innen. Pro Jahr spart öKlo bei Vermietung von 450 Toiletten laut eigenen Angaben durchschnittlich etwa 59.130.000 Liter Wasser, 59 MWh Strom und 12 Tonnen CO2.

Sozialunternehmen wirken in ganz Österreich

Was die geografische Verteilung betrifft, gibt es in Österreich große Unterschiede: 50,3 Prozent der Stichprobe hatten ihren Hauptsitz in Wien. Am zweithäufigsten waren die Organisationen des Samples mit 13,3 Prozent in der Steiermark angesiedelt, gefolgt von Niederösterreich (9,8 Prozent) und Oberösterreich (6,9 Prozent). Demgegenüber repräsentieren fünf Bundesländer im Sample (Burgenland, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg) in Summe nur 19,7 Prozent der Unternehmen. 
Dass Wien dabei so stark repräsentiert ist, liegt einerseits an der generell hohen Zahl von Gründungen in der Bundeshauptstadt – andererseits aber auch daran, dass das Ökosystem der Sozialunternehmen hier besonders weit entwickelt ist.

„Dass die Wirtschaftsagentur Wien bereits seit mehr als einem Jahrzehnt sozial nachhaltige Unternehmen in Wien mit speziellen Angeboten und Förderungen unterstützt, führt in gewisser Weise die erfolgreiche Tradition des sozialen Wiens weiter. Denn wir wissen, dass soziales Unternehmertum und wirtschaftlicher Erfolg einander nicht widersprechen. Die Verankerung des Headquarters des Impact Hubs in Wien hat die internationale Strahlkraft der Stadt als Drehscheibe für sozial nachhaltiges Wirtschaften noch einmal vergrößert. Denn in eine bessere gesellschaftliche Zukunft zu investieren, kann einer Stadt, ihrer Wirtschaft und allen Einwohner*innen nur guttun. Auch deshalb zählt Wien zu den lebenswertesten Städten der Welt“, so Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien.

Vielfältige Unterstützungsangebote für Sozialunternehmen in ganz Österreich

Unterstützungsleistungen für Sozialunternehmen werden auch außerhalb Wiens angeboten. Am häufigsten nahmen Österreichs Sozialunternehmen dabei Angebote der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG, 26,6 Prozent), Austria Wirtschaftsservice (aws, 27,1 Prozent), der Wirtschaftskammer (19,7 Prozent) und des Social Entrepreneurship Network Austria (19,1 Prozent) in Anspruch. 

„Gründer*innen von Social Enterprises stehen in ganz Österreich Beratungs- und Informationsleistungen des Gründerservice und des Startup-Service der Wirtschaftskammern zur Verfügung. Zusätzlich zur Beratung über essenzielle Themen wie Geschäftsmodelle, Finanzierung und rechtliche Fragen hat die Wirtschaftskammer einen speziellen Gründungsleitfaden für Social Entrepreneurs entwickelt, um hier als Sprungbrett für einen erfolgreichen Start in die Selbstständigkeit zu fungieren“, so Mariana Kühnel, stv. Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Sozialunternehmen hoffen auf mehr Unterstützung

Trotz der vielen positiven Nachrichten bereitet die derzeitige Lage den Gründer*innen von Sozialunternehmen Sorgen: 79,1 Prozent sehen das wirtschaftliche und politische Umfeld rund um Inflation, Energiekrise und den Krieg in der Ukraine als eine Hürde für ihre Arbeit.
Die Mehrheit schätzt die Unterstützung durch die Politik (69 Prozent) als schwach, sehr schwach oder inexistent ein. Unterstützung erhofft man sich vor allem im Bereich der Finanzierung, der steuerlichen Behandlung, der Sichtbarkeit und bei Marktzugängen. 
52 Prozent der Befragten wünschen sich auch die Schaffung politischer Strategien zur Stärkung von Sozialunternehmen. Letzteres empfiehlt auch der Europäische Rat, der den Mitgliedsländern bis Ende 2025 nahelegt, Strategien zur Stärkung von Sozialunternehmen vorzulegen. 

Der Austrian Social Enterprise Monitor ist Teil des Projekts European Social Enterprise Monitor, das in 30 europäischen Ländern durchgeführt wird. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, die Daten in einen internationalen Kontext einzuordnen: „Im europäischen Vergleich betrachtet, befindet sich Österreich im Mittelfeld“, resümiert Fabian Hobodites, einer der Co-Autoren der Studie. „Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Austrian Social Enterprise Monitors dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für Sozialunternehmen zu verbessern und die positive gesellschaftliche Wirkung ihres Tuns zu befördern.“