Gastbeitrag
Wie man „heilige Kühe“ mit dem „Elefanten im Raum“ vertreibt
Unternehmen, in denen man vor unliebsamen Themen einfach die Augen verschließt, gibt es viele. Erst kürzlich berichtete mir ein Vertriebsleiter, dass er um ein Haar gefeuert worden wäre, weil er vor globalen Lieferengpässen warnte und deshalb die Umsatzzielzahlen revidieren wollte. Seitdem ist er still und macht Dienst nach Vorschrift. Sein Schweigen ist purer Selbstschutz. In einem anderen Fall sollte ein Motivationstrainer die Verkaufsmannschaft zu Höchstleistungen treiben. Das veraltete Produkt hingegen, das am Markt längst nicht mehr ankam, wurde nicht auf den Prüfstand gestellt, „weil der Chef es noch immer für gut befand“. Kritik an seiner Denke betrachtete man dort als Sakrileg.
Ganze Industrien haben ein Interesse daran, den Fortschritt zu hemmen, um den Wert des Kapitals zu schützen, das in ihren veralteten Technologien gebunden ist. Sie hüten ausgebrannte Feuerstellen, statt mit erhobener Fackel neues Terrain zu erkunden. Viele Chancen lassen sie allein deshalb verstreichen, weil die Gefahr des Scheiterns besteht. Denn wer scheitert, riskiert in tradierten Organisationen seine Karriere. So hat Bahnbrechendes dort sehr schlechte Karten. Doch mit schlechten Karten verliert man ein Spiel. Wer den Status quo einbetoniert, wird aussortiert: von Kunden, die mehr wollen als das, was es gestern schon gab – und von Disruptoren, die die Märkte der Zukunft besser verstehen.
Wer zukunftsfit werden will, muss Mut belohnen
Kein Unternehmen erzielt Wettbewerbsvorsprünge dadurch, dass die Belegschaft das Übliche tut und sich an Etabliertes hält. Vorsprünge erzielt man im Neuland, durch außergewöhnliche Vorgehensweisen, durch kühnes Handeln und einfallsreiche Ideen. Nicht Konformismus, sondern Mut muss man also in den Unternehmen belohnen:
- den Mut, anders zu denken,
- den Mut, anders zu handeln,
- den Mut, Neues zu wagen.
Dennoch gibt es in nahezu jeder Firma Probleme, die unübersehbar existieren. Doch man spricht darüber nur hinter vorgehaltener Hand: veraltete Geschäftsmodelle, überholte Lösungen, unzeitgemäße Produkte, Regeln und Rituale, die keiner mehr braucht, alphahierarchische Machtstrukturen, schleppende Entscheidungsverfahren, antiquierte Führungsmethoden, eine falsche Fehlerkultur, überbordende hausgemachte Bürokratie, ächzende Meetings, verfehlte Bonifizierungsstrategien und vieles mehr.
Blockaden lösen mit dem „Elefanten im Raum“
Für die Future Economy, in der sich menschliche und künstliche Intelligenzen miteinander verbinden, wird zunächst ein Future Mindset und dann eine zukunftsfähige Organisation gebraucht. Dies verlangt von einem traditionellen Management, alle derzeitigen Strategien und die damit verbundenen Verfahrensweisen auf den Prüfstand zu stellen – und dabei insbesondere auch die „heiligen Kühe“ zu thematisieren.
„Elephant in the Room“ ist eine gute Methode, um Tabus und Blockaden jeder Couleur in Angriff zu nehmen. Warum Elefant? Weil es um etwas wirklich Großes geht: ein offensichtliches Problem, das dick und breit im Raum steht und den Zugang zu einer besseren Zukunft versperrt. Es ist unübersehbar, doch alle tun so, als wäre es gar nicht da. Im Mittelpunkt eines solchen Workshops steht folgende Frage:
„Wenn es um unsere unternehmerische Zukunft geht, was sind die wahren Hemmnisse und Blockaden, über die zwar offiziell niemand spricht, worüber wir aber unbedingt reden sollten?“
Initiiert wird dieser Prozess von jemandem aus dem Top-Management. Arbeiten Sie in diesem Workshop unbedingt mit einer qualifizierten Moderation.
Starten Sie am besten mit einer Sicherheitsfrage
Am besten startet man mit einer Sicherheitsfrage. Zeichnen Sie dazu eine Elfer-Skala auf eine Pinnwand und fragen Sie die Anwesenden so: „Auf dieser Skala von null bis zehn: Wie frei denken Sie, in dieser Runde reden zu können?“
Im Allgemeinen ist eine verdeckte Bewertung zu favorisieren. Die Gruppenzwänge sind oftmals hoch. Kaum einer will sich mit seiner Meinung isolieren. Die Gefahr, dass erwünschtes Verhalten gezeigt wird und genehme Antworten kommen, ist damit groß. Die Pinnwand mit der Elfer-Skala wird also am besten umgedreht, so dass die Teilnehmer:innen ihre Bewertung anonym abgeben können.
Um unbeeinflusst zu bleiben, schreibt jeder seine Zahl auf einen Klebepunkt, bevor er/sie hinter die Pinnwand geht. Liegen Punkte unter sieben, wird das thematisiert. Führungskräfte geben erfahrungsgemäß oft eine zu gute Bewertung ab, weil sie sich über- und die organisationale Not unterschätzen. Deshalb sollten sie bei einem interhierarchischen Workshop ihre Punkte einkreisen, damit auch das sichtbar wird.
Wie sich „heilige Kühe“ vom Eis holen lassen
Wenn die Unternehmens- und Kommunikationskultur bereits offen und vertrauensvoll ist, können Sie eine überaus wirkungsvolle Variante wählen: Holen Sie die Elfer-Skala physisch in den Raum, indem Sie sie auf den Fußboden malen. Die Teilnehmenden sollen sich neben die jeweilige Nummer stellen. Dann stellt man ihnen folgende Fragen:
- „Möchtest du den anderen etwas zu deinem Standpunkt sagen?“ Oder:
- „Möchtest du jemanden im Raum etwas zu dessen Standpunkt fragen?“
Nach der Sicherheitsfrage und einer kleinen Wirkungspause werden die „heiligen Kühe" gesammelt, gelistet, diskutiert und priorisiert. Rasch wird dann damit begonnen, eine Kuh nach der anderen bei den Hörnern zu packen und tatsächlich vom Eis zu holen. Ein Etappenziel ist erreicht, wenn sich am Ende alle trauen, Dinge, die sie für eine „heilige Kuh“ halten, offen anzusprechen. Und das sollte stets positiv aufgenommen werden, vor allem von den „Haltern der Kühe“. Maximalziel ist, dass es am Ende keine Tabuthemen mehr gibt - und dass Blockaden thematisiert werden, sobald sie entstehen.