Unternehmensführung

Führung im digitalen Wandel

Digitalisierung
28.07.2024

Aus der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft erwachsen viele neue Anforderungen an Führungskräfte. Deshalb wäre gerade jetzt eine systematische Führungskräfteentwicklung wichtig. Diese fehlt jedoch oft in den Unternehmen.
Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz

In den Unternehmen verändert sich zurzeit vieles – nicht nur aufgrund der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft. Eines verändert sich jedoch kaum: Mensch Mitarbeiter*innen. Sie wünschen sich weiterhin Halt und Orientierung – und zwar umso mehr je instabiler ihr Arbeits- und Lebensumfeld wird.

Doch wer soll den Mensch Mitarbeiter*innen im Betriebsalltag dieses Gefühl vermitteln, wenn in den Unternehmen fast alles auf dem Prüfstand steht? Letztlich können dies nur die Führungskräfte sein. Deshalb wird Führung im digitalen Zeitalter immer wichtiger.

Führung muss sich verändern

Zugleich muss sich Führung jedoch verändern – unter anderem, weil die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen zunehmend von bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht werden, die zudem häufig einen hybriden oder virtuellen Charakter haben. Deshalb haben die Führungskräfte seltener einen uneingeschränkten Zugriff auf ihre Mitarbeiter*innen und ihr Tun. Sie müssen diese vielmehr an der langen Leine führen und auf ihre Loyalität, Integrität und Kompetenz vertrauen. Außerdem müssen sie stärker mit den anderen Führungskräften kooperieren und mit ihnen die Arbeit der Mitarbeiter*innen koordinieren.

Hinzu kommt: Die für die Kund*innen erbrachten Lösungen setzen immer mehr Spezialwissen voraus, das die Führungskräfte selbst nicht haben. Also sind sie beim Erbringen der gewünschten Leistung stärker auf das Können und die Eigenmotivation der Mitarbeiter*innen angewiesen – auch weil ihre Bereiche immer häufiger vor Herausforderungen stehen, für die sie noch keine Lösung haben. Deshalb können die Führungskräfte zu ihren Mitarbeiter*innen seltener sagen „Tue dies, dann haben wir Erfolg“. Sie müssen vielmehr mit ihnen Versuchsballons starten, was könnte die richtige Lösung sein, und dann im Prozess ermitteln, was zielführend ist.

Beziehungs- und Netz-Manager*in werden

Wie ist in einem solchen Umfeld erfolgreiche Führung möglich? Der einzig mögliche Lösungsweg ist: Die Führungskräfte müssen sich als Beziehungsmanager*innen verstehen, deren Kernaufgabe es ist, die Beziehungen im sozialen System Unternehmen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter*innen effektiv zusammenarbeiten können; außerdem als emotionale Leader, deren Aufgabe es ist, ihre Mitarbeiter*innen zu inspirieren, so dass diese sich freiwillig für das Erreichen der Ziele engagieren.

Viele Führungskräfte haben dies in der Vergangenheit schon getan, doch nur bezogen auf die ihnen unterstellten Mitarbeiter*innen. In den modernen High-Performance-Organisationen sind die Unternehmensbereiche jedoch eng miteinander verwoben; sie kooperieren zudem in der Regel mit vielen externen Partner*innen, die wichtige Teilaufgaben erfüllen. Deshalb müssen die Führungskräfte ein stets komplexeres Netzwerk führen, auch weil die Belegschaften der Unternehmen immer heterogener werden – und dies in einem von permanenter Veränderung geprägten Umfeld, in dem letztlich niemand weiß, was die Zukunft bringt.

Führungskräfte brauchen neue Kompetenzen

Beim Entwickeln der Kompetenz der Führungskräfte lassen sich drei Kompetenzbereiche unterscheiden

  1. Persönlichkeitsintelligenz. Dieser Kompetenzbereich umfasst primär die Ebene des eigenen Selbstverständnisses. Dieses ist bei „Digital Leadern“, also den Führungskräften die Unternehmen im digitalen Zeitalter brauchen, dadurch geprägt, dass sie sich als Lernende verstehen. Sie hinterfragen also regelmäßig ihr Verhalten und dessen Wirkung und entwickeln sich als Personen weiter. Eng verknüpft damit sind solche Eigenschaften wie Neugier und Bereitschaft zur Veränderung.
  2. Beziehungsintelligenz. Dieser Kompetenzbereich umfasst die Fähigkeiten, die zum Auf- und Ausbau tragfähiger Beziehungen nötig sind. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Empathie – also das Einfühlungsvermögen in andere Personen und Konstellationen – sowie der wertschätzende Umgang mit den (persönlichen) Interessen und Bedürfnissen der Netzwerkpartner*innen.
  3. Digitalintelligenz. Ein zentrales Element dieses Kompetenzbereichs ist der sogenannte Zukunftsblick. Hierzu zählt neben einer Vision, wohin der gemeinsame Weg führen soll, das Bewusstsein, dass der technische Fortschritt (nicht nur im KI-Bereich) neue Problemlösungen ermöglicht, und es die hieraus sich ergebenden Chancen zu nutzen gilt. Das setzt neben einem interdisziplinären Denken eine „solide“ Digitalkompetenz voraus.

Diese Kompetenz zeigt sich nicht darin, dass eine Führungskraft beispielsweise die beste Programmiererin oder Nutzerin von KI-Tools ist. Sie zeigt sich vielmehr darin, dass sich die betreffende Person, allein oder mit Expert*innenunterstützung, ein fundiertes Urteil darüber bilden kann, welche Chancen und Risiken sich aus dem technischen Fortschritt – zum Beispiel im Bereich Künstliche Intelligenz – ergeben und somit entscheidungs- und handlungsfähig ist.

Führungskräfte, die über die genannten Fähigkeiten und Eigenschaften verfügen, können die emotionalen Leader werden, nach denen sich Menschen in einem von Instabilität und Veränderung geprägten Umfeld sehnen. Sie können sozusagen Persönlichkeitsmarken werden, denen ihre Mitarbeiter*innen und Netzwerkpartner*innen gerne folgen, weil sie ihnen vertrauen.

Führungskräfte brauchen aktive Unterstützung

Bei dieser Entwicklung zu einer solchen Persönlichkeitsmarke bzw. einem digitalen Leader brauchen die Führungskräfte nicht nur aktive Unterstützung, sie wünschen sich diese auch. Faktisch liegt die Führungskräfteentwicklung in vielen (Groß-)Unternehmen jedoch zurzeit weitgehend auf Eis, da diese zwar wissen, dass ihre Führungskräfte künftig ein teils anderes Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil brauchen, doch welches ist ihnen noch unklar. Deshalb stellten viele Unternehmen in den letzten Jahren ihre Management- und Führungskräfte-Entwicklungsprogramme, auf die sie ehedem so stolz waren, „vorübergehend“ ein.

Eine Folge hiervon ist: Eine wachsende Zahl von Führungskräften fühlt sich „in schwierigen Zeiten“ alleine gelassen, weshalb sich bei ihnen Frust anstaut. Sie fühlen sich zudem nicht selten überfordert. Das registrieren auch ihre Mitarbeiter*innen. Das zeigte sich unter anderem bei einer Online-Befragung von Nachwuchsführungskräften im Alter von bis 35 Jahren in Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigen, die das IFIDZ durchführte. Bei ihr

  • gaben drei Viertel der Befragungsteilnehmer*innen an, die „etablierten Führungskräfte“ in ihrem Unternehmen würden den Prozess der Digitalen Transformation sowie Etablierung einer neuen Kultur der Zusammenarbeit nicht aktiv gestalten, und
  • mehr als zwei Drittel waren der Überzeugung, dass sie diese beiden Themen nur halbherzig angingen.

Das heißt, die nachrückenden, jungen Führungskräfte, die bereits Digital Natives sind und den Generationen X, Y und Z angehören, nehmen ihre älteren Führungskräfte-Kolleg*innen oft als „Lähm-Schicht“ wahr.

Zugegeben diese Online-Befragung war nicht repräsentativ. Dessen ungeachtet scheint jedoch in vielen Unternehmen ein latenter Generationenkonflikt zu bestehen, zwischen den jungen, auf- und vorwärts strebenden Führungskräften, die sich mehr Dynamik bei der Veränderung wünschen, einerseits, und den etablierten Führungskräften andererseits, die den Elan der „Nachrücker“ – eventuell sogar zurecht bremsen – weil sie wissen: Bei allem berechtigen Veränderungsstreben muss auch noch das Alltagsgeschäft gemanagt werden.

Auch bei Führungskräfteentwicklung iterativ vorgehen

In diesem schwierigen und komplexen Umfeld für sich den richtigen Kurs zu finden, fällt offensichtlich sowohl jungen als auch erfahrenen Führungskräften oft schwer. Deshalb wäre eine systematische Führungskräfteentwicklung gerade jetzt wichtig – selbst wenn die Unternehmen aktuell noch nicht genau wissen, welche Fähigkeiten und Eigenschaften ihre Führungskräfte künftig brauchen.

Bei anderen Themen wie „technische Innovation“ legen die Unternehmen wegen solcher Unsicherheiten ja auch nicht die Hände in den Schoß. Bei ihnen propagieren sie vielmehr, wenn der Lösungsweg noch unbekannt ist, ein iteratives Vorgehen: also zunächst einen (Lösungs-)Versuch wagen, dann die hierbei gesammelten Erfahrungen reflektieren und dann die Maßnahmen neu oder nach-justieren. Ein solches Vorgehen sollten die Unternehmen auch bei der Führungskräfteentwicklung praktizieren, damit ihre Führungskräfte nicht zunehmend das Gefühl haben: Die lassen uns im Regen stehen.