Den Umstieg schaffen
Gebrüder Weiss ist seit über 500 Jahren im Transportgeschäft. Entsprechend viele Krisen hat Ihr Unternehmen gesehen. Relativiert der historische Rückblick die aktuelle Situation, in der eine Katastrophe die nächste jagt?
Es gibt ein Sprichwort, das lautet: „Ich wünsche dir, nie in aufregenden Zeiten zu leben.“ Doch in genauso einer Phase befinden wir uns jetzt. Ich sehe aber die positiven Aspekte. Die Geschichte zeigt, dass Krisen immer Chancen bieten und Veränderungsprozesse beschleunigen. Dass aktuell gleich mehrere Krisen zeitgleich stattfinden, ist aus meiner Sicht aber nicht der wesentliche Punkt. Die zentrale Frage lautet vielmehr: Wie gehen wir damit um?
Wie sieht Ihre Antwort aus?
Wir versuchen den Überblick zu behalten, auf Kurs zu bleiben, Opportunitäten zu erkennen und durch klare Kommunikation Ruhe in die Firma zu bringen. Dabei hilft auch die Gewissheit, dass wir schon in der Vergangenheit Krisen und Verwerfungen erlebt und gut bewältigt haben. Zudem geht es uns aktuell wirtschaftlich trotz aller Probleme gut. Die Zukunft birgt immer Unsicherheiten. Resilienz ist deshalb für uns seit jeher ein wichtiges Thema. Wir setzen auf kurze Entscheidungswege und eine langfristige Perspektive.
Die Stimmung ist seit zwei Jahren stark von Alarmismus geprägt. Durch den Krieg, die Energiefrage und die Inflation sind zu Corona noch zusätzliche Risikofaktoren dazugekommen, auf die Unternehmen reagieren müssen. Wie ist der Umgang mit diesen Faktoren in Ihrem Unternehmen organisiert?
Unsere langfristige Strategie behalten wir im Kern unverändert bei. Doch im Tagesgeschäft passen wir uns flexibel an die Gegebenheiten an. Flexibilität ist Teil unserer DNA, da wir als Logistiker immer gefordert sind, rasch zu reagieren. Veränderungen im Markt spüren wir sehr rasch, aber auch jeder Stau und jedes Unwetter kann die Planung durcheinanderbringen. Wir sind gewohnt, mit kurzfristigen Veränderungen umzugehen und müssen oft mit entsprechend kurzen Planungshorizonten arbeiten. Ziel ist es, den Kunden informiert zu halten und früh einzubeziehen. Um in der ersten Phase der Corona-Pandemie Kunden, Lieferanten und auch unsere Mitarbeiter auf dem neuesten Stand zu halten, haben wir ein eigenes Situationscenter gegründet. Dort sind die Informationen aus allen Teilen der Organisation zusammengelaufen, wo gerade welche Grenzen offen sind, welche Regionen und Unternehmen geschlossen sind und wo welche Regeln gelten.
Haben Sie diese Strukturen beibehalten?
In den Produktbereichen gibt es Teams, die sich permanent mit der Verfügbarkeit und den Hindernissen befassen, wenn es um Frachtraum in Flugzeugen, auf Schiffen und im Landverkehr geht. Die Volatilität bleibt hoch, das Zusammenspiel logistischer Abläufe ist komplex und funktioniert vielfach nicht mehr, wie wir es gewohnt waren. Das führt zu den Herausforderungen in den Lieferketten, die wir gerade spüren.
Wird das Managen des Ausnahmezustands irgendwann Alltag?
Ist es das, was Unternehmertum in Zukunft ausmachen wird? Mit mehr Unsicherheit werden wir wohl leben müssen. Jeder wünscht sich, dass wieder einmal Ruhe einkehrt. Aber Komplexität und Geschwindigkeit haben zugenommen. Der Begriff VUCA trifft es gut: Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Wir müssen lernen, damit umzugehen, ohne dass es uns aufreibt. Aus Managementsicht liegt die Herausforderung jetzt darin, von „Fahren auf Sicht“ wieder in Richtung mittel- und langfristige Planung zu kommen.
Viele der Krisen kulminieren aktuell bei der Politik, die ihnen nicht immer gewachsen scheint. Was kann ein großes Unternehmen wie Gebrüder Weiss tun, um sein Schicksal selbst in der Hand zu behalten?
Was wir fordern, sind stabile Rahmenbedingungen und mehr Eigenverantwortung für Menschen und Unternehmen. Der Staat kann nicht permanent alles vorgeben. Denn dann hört der Mensch auf, selbstständig zu denken und Dinge weiterzuentwickeln. Als Unternehmen setzen wir Schritte, um zukunftsfitter zu werden. Wir investieren verstärkt in Netzwerke, Mitarbeiter, digitale Services und Ökologisierung. An diesen Themen arbeiten wir auch unabhängig von den aktuellen Krisen. Als Unternehmen kann ich Entscheidungen treffen, um zu guten Lösungen beizutragen. Für uns als Familienunternehmen gilt das umso mehr.
Der Staat kann nicht permanent alles vorgeben
Eine der größten aktuellen Herausforderungen liegt im Klimawandel. Wo verorten Sie Ihre eigene Verantwortung und wie glücklich sind Sie mit den Ansätzen der nationalen und europäischen Politik?
Für uns ist es wichtig, dass die Politik keinen Aktionismus betreibt. Wir brauchen stabile Rahmenbedingungen, auf deren Basis wir Investitionsentscheidungen treffen können. Mit dem Verbrennungsmotor haben wir im Güterverkehr aktuell ein System, das über viele Jahre hinweg optimiert wurde. Der Übergang zu alternativen Antriebsformen wird daher ohne eine starke finanzielle Unterstützung vonseiten der Politik nicht gelingen. Ich würde mir grundsätzlich mehr Technologieoffenheit wünschen. Nur dann können wir den Übergang gemeinsam erfolgreich realisieren. Klientelpolitik ist für eine sinnvolle Planung nicht zuträglich.
Rechnen Sie mit immer mehr Auflagen und Verschärfungen, die dazu führen, dass der Transport nicht mehr mit konventionellen Fahrzeugen durchgeführt werden kann?
Die Politik sollte ein realistisches Bild eines Überganges zeichnen und nicht Wunschvorstellungen kommunizieren. Verbote funktionieren oft nur so lange, bis sie von der Realität eingeholt werden. Das sieht man deutlich in der Energiekrise. Ich wünsche mir, dass sinnvoll umsetzbare Ziele gesetzt werden. Ideal wäre es, wenn Politik, Wissenschaft und Unternehmen gemeinsam an den notwendigen Veränderungen arbeiten würden. Gewinner und Verlierer wird es trotzdem geben. Wie wir mit Verlierern umgehen, muss vonseiten der Politik entschieden werden.
An welchen Stellschrauben drehen Sie konkret, um Ihr Unternehmen klimafit zu gestalten?
Es gibt sehr viel, das wir in unserem eigenen Einflussbereich tun. Klares Ziel ist es, als Unternehmen bis 2030 klimaneutral zu sein. Dafür statten wir unsere Standorte mit Photovoltaikanlagen aus, sparen Energie und Ressourcen, wo immer es möglich ist. In Norddeutschland betreiben wir zudem einen eigenen Windpark. Beim Transport selbst wird es allerdings sehr komplex. Das sind Aufgaben, die wir nicht allein lösen können. Hier ist in erster Linie die Technologieentwicklung der Fahrzeughersteller gefragt. Wir benötigen nachhaltige Lösungen, die wir kaufen und einsetzen können.
Welche Entwicklungen gibt es denn für den Schwerverkehr?
Auf der Langstrecke funktioniert nach unserer Erfahrung am besten der Wasserstoffantrieb. Wir testen diesen bereits in der Schweiz seit eineinhalb Jahren. Ich kann Ihnen versichern, dass er technisch ausgereift ist und funktioniert. Doch kommerziell sind wir noch weit davon entfernt, was ein Kunde zu zahlen bereit ist. Die Politik muss daher mit Förderungen eingreifen, um den Umstieg zu ermöglichen. Nur so können wir in ein neues Gleichgewicht zwischen den Antrieben kommen.
Welche Rolle spielen Verzicht und Einsparung aus Ihrer Sicht, um die Klimakrise zu lösen?
Unternehmen werden aufgrund der aktuell hohen Energiekosten versuchen, ihren Verbrauch maximal zu reduzieren. Diese Entwicklung findet statt. Bei gewissen Themen ist aber ein Umdenken der Menschen nötig. Online-Bestellungen immer noch schneller liefern zu müssen ist sehr ineffizient. Wir müssen lernen, auf gewisse Bequemlichkeiten zu verzichten, um Ökologie zu fördern. Es braucht wieder ein sinnvolles Maß. Doch dass sich die Mehrheit auf zu viel Verzicht einlässt, glaube ich nicht.
Was kann mittels Digitalisierung noch verbessert und optimiert werden?
Digitalisierung ist seit vielen Jahren aus der Logistik nicht mehr wegzudenken. Die Ansprüche an Schnelligkeit, Effizienz und Transparenz entlang der gesamten Supply-Chain sind erheblich gestiegen. Wir liefern Kunden über unsere digitale Plattform myGW auf Knopfdruck Echtzeitinformationen zu Warenströmen, die gesamte Kommunikation kann online abgewickelt werden. Aber: Digitale Maßnahmen müssen auch durch operative Servicequalität gestützt werden. Deshalb investieren wir sowohl in digitale Technologien als auch in die „physische“ Leistungsfähigkeit unseres Unternehmens, also z. B. in den Ausbau unserer Logistikstandorte, Fahrzeuge und die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass Logistik ein „People’s Business“ ist und auf absehbare Zeit auch bleiben wird.
Gebrüder Weiss ist ein Familienunternehmen. Entstehen bei Ihnen dadurch zusätzliche Spielräume?
Als Familienunternehmen ist uns gesellschaftliche Verantwortung wichtig. Wir sind nicht durch kurzfristigen Shareholder-Value getrieben. Dadurch können wir auch Projekte in der Krise weiterführen, wenn sie uns wichtig sind und in die richtige Richtung gehen. Wir können vernünftige langfristige Entscheidungen treffen und unseren Mitarbeitenden das Vertrauen geben, dass wir gemeinsam auch schwierige Zeiten durchstehen.
Welche Werte sind es, die Sie besonders leben und hochhalten?
Wir haben für uns vier Kernwerte definiert: Independence, Sustainability, Commitment und Service-Excellence. Diese Werte verbinden die Menschen bei Gebrüder Weiss und stellen gleichzeitig ein Leitbild für den Arbeitsalltag dar. Der Erfolg beim Kunden ist am Ende ausschlaggebend. Wir müssen Lösungen bieten, die attraktiv sind, die begeistern, und dafür spielt Qualität und Service eine wesentliche Rolle. Und auch das Vertrauen in unsere Leistungsfähigkeit.
Was tun Sie, damit es Ihr Familienunternehmen auch noch in 500 weiteren Jahren gibt?
Wir sorgen für hohe Resilienz, verdaubares Risiko und verfolgen langfristige Entwicklungsziele. Wichtig ist, dass wir als Unternehmen jung bleiben, uns unsere Anpassungsfähigkeit und die „Freude zur Mobilität“ bewahren.