Internationalisierung

Internationaler Markt: Bin ich bereit?

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12.09.2022

 
Wie KMU den richtigen Zeitpunkt erkennen
gott des handels
Der Schritt in neue Märkte bietet große Chancen, fordert aber auch umfangreiche Ressourcen und konfrontiert Unternehmen mit Herausforderungen. Wann ist die Zeit reif für die Internationalisierung und wo gelingt der Einstieg am besten? Ein wissenschaftlicher Wegweiser.

Aller Anfang ist bekanntlich schwer und, wenn es um Expansionsbestrebungen geht, auch mit hohen Kosten verbunden. Aus dem Bauch heraus zu entscheiden kann dazu führen, dass der Markteintritt misslingt. Zurück bleiben dann versenkte Investitionen und Frustration. Umso wichtiger ist es, vorab alle wesentlichen Aspekte zu betrachten. Denn es geht auch anders, wie Thomas Lindner von der Universität Innsbruck und Jonas Puck von der WU Wien beweisen. Sie haben in zahlreichen Studien wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für die Praxis abgeleitet, die vor allem kleineren Unternehmen Orientierung und Unterstützung bieten. Am Beginn steht dabei stets die zentrale Frage: Bin ich schon bereit für den internationalen Markt?
Ob Internationalisierung für ein Unternehmen sinnvoll ist, entscheidet die aktuelle wissenschaftliche Forschung anhand von drei Themenblöcken:
1. Finanzielle Ressourcen & Produkte: Zunächst gilt es die Produkte, die potenziell im internationalen Markt bestehen sollen, zu analysieren. Ebenso muss die Frage geklärt werden, ob der finanzielle Unterbau die Internationalisierung ermöglichen kann. In Bezug auf die Produkte sind z. B. die Struktur der Produktnachfrage, die internationale Skalierbarkeit des Produkterfolgs oder potenziell notwendige Produktanpassungen (z. B. aufgrund international unterschiedlicher technischer oder rechtlicher Rahmenbedingungen) relevante Kriterien. In Bezug auf die finanziellen Ressourcen sind beispielsweise die Kapitalanforderungen und -verfügbarkeiten extrem relevant für den langfristigen Erfolg im internationalen Geschäft.
2. Organisation, Personal und Technologie. Hier geht es darum, ob die Organisation des Unternehmens in der aktuellen Form strukturell in der Lage ist, Internationalisierung intern abzubilden, inwieweit der Mitarbeiterstand erweitert oder ergänzt werden muss und ob die technische Infrastruktur in Produktion und Verwaltung die Kapazität und Anpassungsfähigkeit für internationales Wachstum mitbringt. Neben datenbasierten Kriterien sind auch die zwischenmenschlichen Dynamiken relevant, z. B. inwiefern neue Mitarbeiter das internationale Wachstum effektiv unterstützen können, und ob bestehende administrative Systeme für den internationalen Markt geeignet sind.
3. Potenziale, die externe Partnerunternehmen im Rahmen der Internationalisierung beisteuern können. Der Schwerpunkt liegt hierbei natürlich auf jenen Ressourcen, die intern nur schwer aufgebracht werden können, und auf den Möglichkeiten, internationale Aktivitäten gemeinsam mit bestehenden Partnerunternehmen im Ausland aufzubauen. Neben bereits bestehenden Partnern geht es natürlich auch um die Identifikation möglicher neuer Partner zu Stärkung des Unternehmens.

Gewissheit mit wissenschaftlichem Readiness-Tool
Basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer langjährigen Zusammenarbeit in der Internationalisierung vieler österreichischer KMU haben Jonas Puck und Thomas Lindner ein einfaches Tool entwickelt, um die „Internationalization Readiness“ abzubilden. Dieses Tool schafft zunächst in kurzer Zeit einen fundierten und holistischen Überblick über die Möglichkeiten und Herausforderungen, die ein KMU im internationalen Markt hätte. Darüber hinaus lassen sich aus den Ergebnissen klare Empfehlungen für Maßnahmen ableiten, mit denen sich gerade KMU für internationale Märkte „fitmachen“ können. „KMU bilden das Rückgrat der österreichischen Volkswirtschaft und ohne internationale Aktivitäten ist in Österreich das Wachstum oft begrenzt“, so Lindner. „Wir arbeiten daher sehr gerne mit KMU zusammen und unterstützen sie in ihren internationalen Aktivitäten. Dies gibt uns auch immer wieder relevante Impulse für unsere Forschung.“

Ich bin bereit – wohin jetzt?
Neben der „Readiness“ liegt in der Identifikation von geeigneten Märkten die zweite entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Internationalisierung.
1. Die Basis einer fundierten Ziellandanalyse ist zunächst die Bestimmung des ungefähren zukünftigen Marktpotenzials. In einer Marktpotenzialanalyse unterscheidet man drei Schritte, die sequenziell abgearbeitet einen Filter ergeben, der den erreichbaren Zielmarkt quantifiziert. Im ersten Schritt schätzt man den gesamten theoretisch erzielbaren Umsatz ab. Hierbei kann man mit groben Schätzungen etwa zur Gesamtanzahl von potenziellen Kunden und deren jeweiligem Umsatz starten.
2. Im nächsten Schritt wird analysiert, welcher Anteil des theoretisch erzielbaren Umsatzes mittelfristig bedient werden könnte. Hier geht es weniger um konkrete Produktangebote, sondern mehr um die verfügbaren Produktions- und Vertriebskapazitäten. Im letzten Schritt wird noch der lokale Wettbewerb berücksichtigt. Hier ist entscheidend, wie hart der lokale Wettbewerb um den bedienbaren Umsatz kämpfen wird. Das Ergebnis der Schritte ist der erwartete Anteil am theoretisch bedienbaren Markt im potenziellen Zielland.

Einbettung in das lokale Umfeld
Sobald das Marktpotenzial ungefähr abgeschätzt ist, geht es um die Frage, ob die Expansion in ein spezifisches Zielland mit den aktuellen Aktivitäten und Strukturen des Unternehmens zusammenpasst. Dabei sind vor allem drei Punkte relevant.
1. Zunächst muss geklärt werden, inwieweit für die Geschäftsaktivität im Zielland neue Zulieferer und Partner gefunden werden müssen und ob deren Produkte auch verfügbar und zu vertretbaren Kosten erwerbbar sind. Dies ist keine triviale Frage, da vorhandene Kapazitäten bei lokalen Zulieferern oft begrenzt sind und in vielen Fällen Abgaben, Zölle oder Regulierungen die Nutzung existierender Zulieferer erschweren.
2. Darauf aufbauend, geht es um die Verfügbarkeit von Mitarbeitern: Gibt es überhaupt ausreichend qualifizierte Mitarbeiter? Wie sieht es mit den Rahmenbedingungen von Beschäftigungen aus, welche Nebenkosten fallen an, welche Zusatzausbildungen muss ich unter Umständen selber anbieten etc.
3. Und schließlich kann die Entscheidung nicht ohne Berücksichtigung der bestehenden Geschäftsstrategie gefällt werden. Ergänzt eine (zusätzliche) internationale Präsenz das bestehende Geschäftsmodell? Welche Risiken ergeben sich? Zusammengenommen ergibt sich durch die Kombination aus Marktpotenzialanalyse und strukturellen Fragen ein differenziertes Bild des Umfelds im potenziellen Zielland. Auf Basis dieses Bildes können KMU fundierte Investitionsentscheidungen treffen.

Überraschende Ergebnisse aus Forschungsprojekten
In gemeinsamen Forschungsprojekten an der WU Wien und der Universität Innsbruck haben sich Thomas Lindner und Jonas Puck aus vielen Blickwinkeln mit Marktselektionsprozessen beschäftigt. „Unsere Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass viele KMU-Märkte nicht strategisch, sondern eher basierend auf zufälligen Anfragen und Netzwerkkontakten auswählen“, sagt Puck. „So wird oft in falsche Märkte sehr viel Geld investiert, das in anderen Ländern wahrscheinlich zu viel größeren Gewinnen geführt hätte.“
Gerade moderne Methoden der Datenanalyse wie Artificial Intelligence und Machine-Learning in Kombination mit Big Data können helfen, schnell und verhältnismäßig günstig ein gutes Bild über mögliche Märkte zu bekommen. „Wir haben in unserer wissenschaftlichen Tätigkeit aber auch in der Zusammenarbeit mit Unternehmen sehr früh begonnen, neue Methoden der Datenanalyse einzusetzen. Gerade für kleinere Unternehmen bietet sich so ein Kosten- und Informationsvorteil, den man nicht unterschätzen darf“, so Lindner.  
 „Natürlich sind die Herausforderungen auf internationalen Märkten gerade für kleinere Unternehmen besonders groß. Die Forschung bietet jedoch zahlreiche Lösungen für diese Herausforderungen“, so Thomas Lindner. „Und diese sind nicht nur hilfreich, sondern in jedem Fall auch für kleine Unternehmen finanzierbar – ich sehe darin auf jeden Fall eine enorme Chance für den Mittelstand“, sagt Jonas Puck

Die Experten

Jonas Puck ist Universitätsprofessor für International Business an der WU Wien und akademischer Direktor des MBA Energy Management der WU Executive Academy. 

Thomas Lindner ist Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationales Management an der Universität Innsbruck und Partner der Unternehmensberatung intior.