Kein Staat, kein Geld
Michelle Bachmann ist in Erklärungsnot geraten. Mit der sinngemäßen Deutung des über New York hinweggebrausten Wirbelsturms „Irene“ als Strafe Gottes hat sich die Ikone der rechten Tea-Party-Bewegung und US-Präsidentschaftskandidatin doch zu weit aus dem Fenster gelehnt. Zumindest bei einigermaßen aufgeklärten Wählerschichten kommt pseudo-biblisches Geschwätz nicht besonders gut an, sodass die Abgeordnete aus Minnesota ihre Erklärung bald als Scherz abtat.
Ihre engsten Anhänger dürfen sich dagegen in ihren eigenen Ansichten bestätigt fühlen. Die göttliche Schöpfungsgeschichte ist für sie nämlich mindestens so fundiert wie Darwins Evolutionstheorie. Weitere unverrückbare Grundannahmen: Homosexualität stellt eine große Bedrohung für die USA dar, ebenso die Zuwanderung. Übertroffen werden diese Ängste nur noch von jener vor einer bevorstehenden kommunistischen Machtübernahme. Um eine solche abzuwenden, war man vergangenen Sommer sogar bereit, den Staatsbankrott als einzigen Ausweg der derzeitigen „Politik der Sünde“ in Erwägung zu ziehen – und damit hauptverantwortlich, dass die USA ihre Topbonität bei Standard & Poor’s verloren haben. Willkommen in der Welt der Tea Party!
Ultraliberale Wirtschaftspolitik
Man kann sich mit gutem Grund die Frage stellen, wie es eine politische Strömung mit derartigen Ansichten zum größten Gewinner der Midterm-Elections gebracht hat. Eine Antwort mag Ron Paul, der aussichtsreichste republikanische Präsidentschaftskandidat aus dem Dunstkreis der Tea Party, geben. Ron Paul vertritt zwar von der Drogen- bis Abtreibungspolitik sämtliche Standpunkte der Erzkonservativen, legt den Schwerpunkt seines politischen Schaffens aber klar auf eine ultraliberale Wirtschaftspolitik. Die von Obama eben erst durchgeboxte Gesundheitsreform wird folglich in seinen impulsiven Reden ebenso in der Luft zerrissen wie dessen krisenbedingte staatliche Konjunkturpakete.
Denn nicht die deregulierten Finanzmärkte hätten die Welt in die ökonomische Krise gestürzt, sondern zu viel staatliche Einmischung. Manche seine Mitstreiter wie sein Namenvetter und Senator aus Kentucky, Rand Paul, gehen noch weiter und wollen sogar die staatliche Notenbank abschaffen, um zu verhindern, dass diese noch mehr Dollars in Umlauf bringt.
Die österreichische Perspektive
Obwohl Ron Paul mit 76 Jahren schon ein politisches Urgestein ist, gibt es immer noch Themen, die ihn aufbrausen lassen. Die Forderung nach neuen Steuern etwa. Selbst wenn seine superreichen Landsleute wie der Investor Warren Buffet öffentlich auffordern, von den Reichen einen höheren Beitrag abzuverlangen, sind neue Steuern für ihn ein rotes Tuch.
Ron Paul widerspricht dann gerne mit dem Hinweis, dass er eine „österreichische Perspektive“ vertrete. Damit ist jedoch kein Abkupfern der Brillanz der rot-schwarzen Bundesregierung als vielmehr ein Besinnen auf die Lehren der Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek gemeint, die mit ihrer „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ bereits in der Vergangenheit Politiker von Reagan bis Thatcher maßgeblich prägten. Es waren also die Wiener Kaffeehäuser des frühen 20. Jahrhunderts, in denen die Wirtschaftstheorien der Tea Party das erste Mal erzählt wurden.
Hayeks Lehre
Eine zentrale wissenschaftliche Erkenntnis Hayeks liegt darin, dass er das Versagen staatlicher Planwirtschaft dadurch begründen konnte, dass die Planbehörde nie über ausreichend Marktinformation verfügen könne.
Zudem wollte er nachweisen, dass Planwirtschaft – egal ob von Kommunisten oder Faschisten betrieben – unausweichlich in die Diktatur führen würde. Nur eine von Staatseingriffen möglichst unberührte Marktwirtschaft könne folglich die Freiheit des Menschen gewährleisten.
Diese Annahme Hayeks wurde zwar durch die an der sozialen Marktwirtschaft orientierten und demokratischen Staaten Westeuropas widerlegt, findet sich in der Rhetorik der Tea Party aber wieder.
„No Taxation without Representation“, also „keine Steuern ohne Vertretung“, ist der aus dem Unabhängigkeitskampf geliehene und auf die eigenen Forderungen hingebogene Slogan der Bewegung. Genau in diesem Punkt erreicht die Tea-Party-Bewegung nicht nur ihre Anhänger, sondern auch einen Teil der Mehrheitsbevölkerung. „Wieso soll ich für die Gesundheit von jemand anderem zahlen?“, stand auf den Protestschildern bei den Demonstrationen gegen Obamas Gesundheitsreform. Da spielt es auch keine Rolle, wenn das Modell des Präsidenten insgesamt nicht nur die sozialere, sondern auch die billigere Lösung bilden würde. Der Staat hat sich zu breitgemacht und die Bedürfnisse des Individuums aus den Augen verloren, lautet die Warnung. Angesichts der Verdoppelung der US-Staatsschulden in den vergangenen zehn Jahren bekommen Forderungen nach einer Senkung der Sozialausgaben jedenfalls neue Munition und bauen gleichzeitig eine Brücke ins alte Europa, von wo Mises und Hayek einst auswanderten, um in den USA mit ihrer Lehre den Durchbruch zu schaffen.
Tea Party für Europa?
Kommt bedingt durch die Staatsschuldenkrise die Tea Party folglich auch auf der anderen Seite des Atlantiks an? Die Leiterin des in Wien ansässigen Hayek-Instituts, Barbara Kolm, glaubt jedenfalls daran und wäre wohl gleichzeitig ein wichtiger Thinktank. Ihrer Ansicht nach würden sich die Bürger auch in Europa in absehbarerer Zeit auflehnen: gegen einen Staat, der fast die Hälfte des Einkommens kassiert, um das Steuergeld dann mit beiden Händen beim Fenster hinauszuschmeißen. Einsparungspotenzial wäre bekanntlich vorhanden. Stichwort: Föderalismus, Verwaltung, Pensions- und Gesundheitssystem.
Folgt man der durch das Hayek-Institut vertretenen Lehre, sollten die europäischen Politiker aber auch aufhören, sich Gedanken über den Klimawandel zu machen. Denn in diesem Punkt ist man in Wien mit den radikalen Sinneskollegen in den USA auf Linie: Das Gerede um die Erderwärmung sei nur Panikmache, die vom ehemaligen US-Vizepräsidenten und Friedensnobelpreisträger Al Gore dirigiert und von der Lobby der Umweltunternehmen finanziert wird. Und für den Fall, dass uns tatsächlich bald wärmer werden sollte, könne man sich als Politiker getrost zurücklehnen und auf die Innovationskraft des Marktes vertrauen, die das Problem lösen wird.