Interview

Die Führungskräfte ticken heute anders als vor 30 Jahren

Gesundheit
21.08.2024

Die meisten Führungskräfte sind und leben heute trotz hoher Belastungen gesundheitsbewusster als früher. Ein Gespräch hierüber mit Hans-Peter Machwürth, der mit seinem Team Unternehmen unter anderem im Bereich Gesundheitsmanagement unterstützt.
Hans-Peter Machwürth

Die Wirtschaft: Herr Machwürth, wie gesundheitsbewusst sind die Führungskräfte im deutschsprachigen Raum?

Hans-Peter-Machwürth: Deutlich bewusster als früher.

Die Wirtschaft: Was verlasst Sie zu dieser Aussage?

Machwürth: Wenn ich an unsere ersten Gesundheitsmanagement-Seminare vor knapp 30 Jahren zurückdenke, muss ich einfach konstatieren: Die Führungskräfte ticken heute ganz anders.

Die Führungskräfte sind und leben gesundheitsbewusster

Die Wirtschaft: Inwiefern?

Machwürth: Vor 30, 40 Jahren waren zum Beispiel viele Führungskräfte noch passionierte Raucher und auch dem Alkohol sprachen sie nicht selten – aus heutiger Sicht – übermäßig zu. Und Sport trieben sie eher sporadisch. Also zum Beispiel mal im Winter beim Skifahren oder im Sommer beim Tennis oder Golf spielen. Ansonsten waren die meisten sportlich jedoch eher inaktiv. Und solche Gesundheitsportarten, also Ausdauersportarten wie Joggen und Walken betrieben sie recht selten. Das hat sich fundamental geändert. Heute sind die meisten Führungskräfte, wenn überhaupt noch, dann Gelegenheits- oder Genussraucher. Dasselbe gilt für den Alkoholkonsum.

Die Wirtschaft: Sie paffen also gelegentlich nach Feierabend eine Zigarette oder trinken ein Glas Wein?

Machwürth: Ja. Und das regelmäßige Sporttreiben, speziell Joggen ist heute bei vielen Führungskräften ein integraler Bestandteil ihres Lebensalltags. Auch ihr Ernährungsverhalten hat sich verändert. Es ist heute viel gesundheitsbewusster als noch zur Jahrtausendwende.

Ihre gesundheitliche Belastung ist trotzdem hoch

Die Wirtschaft: Das finden Sie als Inhaber eines Unternehmens, das Unternehmen unter anderem im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement unterstützt, vermutlich schade. 

Machwürth: Wieso?

Die Wirtschaft: Weil, wenn die Führungskräfte gesundheitsbewusster leben, vermutlich auch die Nachfrage nach ihren Leistungen im BGM-Bereich sinkt.

Machwürth: Das Gegenteil ist der Fall, unter anderem, weil wir ja nicht kurativ, also heilend, sondern präventiv, also vorsorgend tätig sind.

Die Wirtschaft: Inwiefern spielt das eine Rolle?

Machwürth: Nun, dass die Führungskräfte gesundheitsbewusster sind, heißt ja unter anderem, dass sie sich stärker für Gesundheitsthemen interessieren. Also auch für solche Fragen wie

  • „Wie steht es aktuell um meine Gesundheit?“ und
  • „Wie kann ich dafür sorgen, dass ich auch künftig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gesund und leistungsfähig bin?“.

Folglich interessieren sie sich auch stärker für unsere Präventionsangebote. Hinzu kommt: Die meisten Führungskräfte sind und leben heute zwar gesundheitsbewusster, das heißt aber nicht, dass sie weniger gesundheitlichen Belastungen als früher ausgesetzt sind. Die Belastungen sind, so mein Eindruck, sogar gestiegen, auch wenn es heute andere als früher sind. Das zeigt unter anderem der starke Anstieg der chronischen und psychischen Erkrankungen in den zurückliegenden Jahren.

Die Wirtschaft: Können Sie das konkretisieren?

Machwürth: Nun, vor 30, 40 Jahren kannte man zum Beispiel den Begriff Burn-out in der deutschen Sprache noch nicht. Heute hingegen benutzt ihn jeder ganz selbstverständlich.

Das Thema Stressmanagement wird immer wichtiger

Die Wirtschaft: Was erachten Sie als die zentrale Ursache hierfür?

Machwürth: Ein zentraler Faktor ist das Thema Stress. Dieses spielt heute, wenn es um die Gesundheitsvorsorge geht, eine viel größere Rolle als früher.

Die Wirtschaft: Warum?

Machwürth: Diese Frage lässt sich nicht mit einem Satz beantworten, weil die Ursachen hierfür vielfältig sind. Zum Beispiel führt die Tatsache, dass die sozialen Einheiten in unserer Gesellschaft immer kleiner und fragiler werden, dazu, dass heute vielen Menschen im Bedarfsfall die erforderlichen sozialen Stützsysteme fehlen – so zum Beispiel, wenn ein Kind, der Lebenspartner oder ein Elternteil erkrankt. Deshalb schlägt ein Gefordert-sein von ihnen schneller in ein Überfordert-sein um. Hinzu kommt, nicht nur unsere Lebens-, sondern auch Arbeitswelt wird immer komplexer, weil vernetzter bzw. interdependenter. Zudem ist sie von rascher Veränderung geprägt, weshalb unser Leben beruflich und privat immer schwieriger langfristig planbar wird.

Die Wirtschaft: Was die zurückliegenden Jahre mit solchen vorhersehbaren Ereignissen wie Corona sowie Ukraine-und Gaza-Krieg und ihren Folgen sowie solchen Change-Treibern wie Klimawandel und Künstliche Intelligenz ja nachdrücklich gezeigt haben.

Machwürth: Ja, deshalb stehen insbesondere die Personen in den Unternehmen, auf deren Schreibtischen viele Fäden zusammenlaufen, wie Führungskräfte aber auch Projektmanager gefühlt unter einem permanenten Dauerdruck. Darum besteht bei ihnen latent stets die Gefahr, dass ihr Gefordert-sein in ein Überfordert-sein umschlägt und sie mittel- bis langfristig erkranken. Diese Gefahr ist tendenziell umso größer, je exponierter die Position einer Person in einer Organisation ist, da sich umso mehr Augen voller Erwartungen auf sie richten. Zudem tragen diese Personen in der Regel auch die Verantwortung dafür, dass die nötigen Entscheidungen nicht nur zur rechten Zeit getroffen, sondern auch im Betriebsalltag umgesetzt werden.

Auf die Anspannung folgt oft nicht die nötige Entspannung

Die Wirtschaft: Aber gerade diese Personen haben doch im Verlauf ihrer beruflichen Biografie in der Regel schon oft bewiesen, dass sie über eine hohe Stressresistenz und Widerstandskraft verfügen, weshalb sie unter anderem in ihre Position kamen?

Machwürth: Ja, das haben sie! Doch wenn auf Phasen der Anspannung nicht irgendwann auch Phasen der Entspannung folgen, stößt jede Person irgendwann an ihre Belastungsgrenzen – die eine früher, die andere später. Oder sie verfällt ungewollt und unbewusst in einen Lebensstil, der eher ungesund ist.

Die Wirtschaft: Trinkt also abends zur Entspannung ein Gläschen Wein mehr oder nimmt Aufputschmittel? Oder lässt das morgendliche oder abendliche Joggen häufiger ausfallen und ernährt sich ungesünder?

Machwürth: Richtig. Ein solches Kompensationsverhalten ist allzu menschlich, und zwar gerade in Anspannungssituationen, in denen man den Themen Gesundheit und Regeneration mehr Beachtung schenken sollte.

Führungskräfte spüren, dass sie an eine Belastungsgrenze stoßen

Die Wirtschaft: Das heißt vermutlich auch, dass die Nachfrage nach Angeboten im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement steigt.

Machwürth: Ja, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen BGM-Spezialisten wie zum Beispiel Check-up-Anbietern, denn dass sie im Gesundheits- bzw. Präventionsbereich etwas tun müssen, spüren nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Arbeitgeber.

Die Wirtschaft: Spiegeln sich die veränderten Rahmenbedingungen auch in Ihren Maßnahmen zur Gesundheitsförderung wider?

Machwürth: Ja, in vielerlei Hinsicht. Da die Führungskräfte bzw. allgemein Leistungsträger in den Unternehmen heute ein viel ausgeprägteres Gesundheitsbewusstsein als früher haben, müssen wir heute zum Beispiel in unseren Gesundheitstrainings und -coachings weniger Überzeugungsarbeit als früher leisten.

Die Wirtschaft: Also Widerstände gegen eine Verhaltensänderung überwinden?

Machwürth: Ja. Deshalb haben sich die Inhalte in den letzten Jahren immer stärker in Richtung einer Information darüber verschoben „Wie erreiche ich als Führungskraft mein Ziel, dass ich auch mittel- und langfristig gesund und leistungsfähig bin?“ und „Wie stelle ich zum Beispiel sicher, dass mein regelmäßiges Sporttreiben usw. ein integraler Bestandteil meines Alltagslebens ist und bleibt?“. Zudem spielen in ihnen die Themen Stressmanagement und Regeneration eine größere Rolle, da der adäquate Umgang mit ihnen zentrale Herausforderungen sind, vor denen nicht nur die Leistungsträger in den Unternehmen, sondern in unserer Gesellschaft stehen.

Die Resilienz der Mitarbeitenden erhöhen und die Attraktivität als Arbeitgeber steigern

Die Wirtschaft: Und daran wird sich in absehbarer Zeit vermutlich wenig ändern?

Machwürth: Davon gehe ich aus! Deshalb spielt auch das Thema Resilienz, also Auf- und Ausbau der erforderlichen Widerstandskraft, in unseren Seminaren, Trainings und Coachings eine immer bedeutendere Rolle, denn letztlich zielen diese darauf ab, dass die Teilnehmer an ihnen nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch den Spaß an ihrem Leben und ihrer Arbeit bewahren. Denn dies ist eine Voraussetzung dafür, dass sie auf Dauer leistungsfähig und -bereit sind.

Die Wirtschaft: Wirkt sich auch der aktuelle Fach- und Führungskräftemangel positiv auf die Nachfrage nach BGM-Maßnahmen aus?

Machwürth: Selbstverständlich. Denn wenn die Unternehmen registrieren, dass ihre Mitarbeitenden und die Stellensuchenden den Themen Gesundheit und Work-Life-Balance eine größere Bedeutung beimessen, sind sie selbstverständlich auch bemüht, ihre diesbezüglichen Förder- und Unterstützungsmaßnahmen auszubauen, um attraktive Arbeitgeber zu sein und zu bleiben und im „war for talents“ sozusagen die Nase vorn zu haben.  Zudem sind sie bestrebt, die Mitarbeiterfluktuation zu senken und längere krankheitsbedingte Fehlzeiten ihrer Mitarbeitenden zu vermeiden. Auch hierzu leisten die BGM-Maßnahmen einen wertvollen Beitrag.

Die Wirtschaft: Vielen Dank, Herr Machwürth, für das Gespräch.

Zur Person

Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des international agierenden Trainings- und Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede. (Internet: www.mticonsultancy.com), das Unternehmen unter anderem im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) unterstützt.