Forum-Alpbach
Europa stärken
Die Gründungsidee des European Forum Alpbach war die Stärkung Europas generationenübergreifend voranzutreiben. Welche Bedeutung hat dieser Gedanke heute? Die Stärkung Europas und der intergenerationale Dialog sind aktueller denn je. Europa steht vor der größten Herausforderung seit 1945. Und damit meine ich nicht die Pandemie, sondern das, was am 24. Februar passiert ist: Die Invasion Russlands in die Ukraine. Sie hat die Lage in Europa völlig verändert. Wir müssen uns jetzt entscheiden, welche Rolle Europa in der Welt einnimmt. Dieser Krieg hat die Rahmenbedingungen und Vorzeichen, unter denen wir leben, grundlegend verändert. Deswegen lautet das Generalthema dieses Jahr „The New Europe“. Der generationenübergreifende Dialog ist jetzt auch deshalb so wichtig, weil der Diskurs für neue Sichtweisen und Perspektiven abseits von Schwarz-Weiß-Positionen sorgt. Der Dialog zwischen jungen Menschen und Vertretern von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft genießt deshalb dieses Jahr einen ganz besonderen Stellenwert.
Hat Alpbach durch diese Entwicklung im Vergleich zu anderen internationalen Events wie dem Weltwirtschaftsforum Davos an Bedeutung gewonnen? Ich glaube, dass Alpbach nicht mit Davos zu vergleichen ist, weil wir ein anderes Konzept verfolgen. Das European Forum Alpbach steht zum Beispiel allen Menschen offen. Jeder kann ein Ticket lösen. Dadurch sorgen wir für eine gewisse Durchlässigkeit im Gegensatz zur Exklusivität anderer Events. Zudem verfolgen wir die klare Mission der Stärkung Europas. Die brauchen wir jetzt mehr denn je. Und das Forum hat diesen Purpose seit 1945.
Es gibt dieses Jahr vier thematische Tracks: The Climate Opportunity, Securing Europe’s Future in a Globalised World und The Financing of Europe’s Future sowie The Future of Democracy and the Rule of Law in Europe. Alles Themen, für die man nicht so schnell Lösungen finden wird. Was kann ein Event wie Alpbach konkret beitragen? Es handelt sich um die zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Das European Forum Alpbach kann eine starke Plattform bieten, um Ideen zu generieren, um Aktionen zu initiieren und um Projekte weiterzuentwickeln. Wir wollen ein Forum bieten, in dem Ideen und Aktion entstehen können. Das ist unsere Aufgabe und wir werden alles daran setzen, sie zu erfüllen.
Viele Besucher kommen nicht zuletzt zum Event in die Tiroler Berge, um sich mit hochkarätigen Teilnehmern auszutauschen und um Geschäfte zu machen. Trägt das Forum, trotz aller inhaltlichen Ansprüche, auch dieser Tatsache Rechnung? Die persönliche Begegnung ist ein ganz zentrales Element. Was ich schwierig finde, ist wenn sich die Teilnahme nur auf Networking und Geschäftsanbahnung reduziert. Drei Tage lang auf der Terrasse vom Böglerhof zu sitzen und zu warten, wer vorbeikommt, entspricht nicht der Idee des Events. Wir wollen für geistigen Austausch sorgen. Wenn sich dabei neue Netzwerke ergeben, ist das ein erwünschter Nebeneffekt. Wir wollen Europa stärken und dafür brauchen wir starke Netzwerke.
Wir wollen Europa stärken und dafür brauchen wir starke Netzwerke.
Spannende Dinge entstehen oft, wenn einflussreiche Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen, die über Gestaltungsressourcen verfügen. Wünschen Sie sich mächtige Teilnehmer, um die Ziele zu erreichen? Wir wünschen uns vor allem Menschen, die sich für die Themen interessieren und die für Inspiration offen sind. Menschen, die innovativ sind, die sich austauschen wollen. Das hat mit Funktionen nichts zu tun. Viel wichtiger ist, welche Ideen jemand mitbringt, was jemand teilen möchte. Darum wollen wir auch im Publikum noch diverser werden. Wir wollen noch mehr unterschiedliche Perspektiven reinholen. Darum bemühen wir uns dieses Jahr explizit darum, noch mehr Vertreter der Zivilgesellschaft nach Alpbach zu bringen. Politik und Wirtschaft sind bereits sehr gut vertreten. Das Ergebnis soll mehr Diversität, mehr Diskurs und dadurch auch mehr Innovation sein.
Um diesem Wunsch Rechnung zu tragen, haben Sie die Konferenzsprache komplett auf Englisch umgestellt. Ein starkes Zeichen, oder eine echte Notwendigkeit, wenn am Ende doch die Mehrzahl der Teilnehmer aus Österreich kommt? Englisch war Konferenzsprache von 1945 bis Ende der 90er Jahre. Wir kehren also eigentlich nur zum Normalzustand zurück. Natürlich dient die Umstellung dem Konzept, sie wird jetzt aber auch immer mehr aufgrund der Zusammensetzung der Stages und Workshops notwendig. Wir rechnen auch damit, dass dieses Jahr in der zweiten Woche der überwiegende Teil der Gäste international sein wird. In der ersten Woche bieten wir Partnern aber an, Programmpunkte auch auf Deutsch zu gestalten.
Die politische Schlagseite von Alpbach hat sich in den letzten Jahren verändert. Das Forum hat sich über das konservative Spektrum hinaus geöffnet und dabei Hauptsponsoren wie Raiffeisen, WKO und Industriellenvereinigung verloren. Ein Schritt in Richtung inhaltlicher Unabhängigkeit und aus Ihrer Sicht gut so? Jemanden zu verlieren, ist nie gut. Unsere Türen sind weit offen und ich gehe davon aus, dass alle drei Partner wieder an Bord sein werden. Wir gehen mit dem neuen Konzept einen neuen Weg und laden alle ein, ihn mit uns zu gehen. Wir gehen weg von den Themensilos und probieren neue, innovative Formate aus.
Die Programmstruktur wurde sehr grundlegend geändert. Es gibt jetzt Conference Week und Lab Week anstatt den Technologie- oder Wirtschaftsgesprächen. Wie finden Teilnehmer nun die Programmpunkte, die wichtig für sie sind? Wir sind davon überzeugt, dass die Logik von Themensilos nicht mehr funktioniert. Die Themen kann man nur gemeinsam betrachten. Sicherheit und Energie zum Beispiel. Ich kann nicht Klima ohne Sicherheit thematisieren. Deswegen werden wir nicht mehr zwei Tage über Wirtschaft reden, sondern vier Themenschwerpunkte durchziehen. Jene, die eher an der österreichischen Community und klassischen Formaten interessiert sind, sollten in der ersten Woche kommen. Wer einen Schwerpunkt auf Technologie setzen will, hängt noch zwei Tage dran und wer Interesse an Internationalität und Tiefgang, an kleineren Gruppen und innovativen Formate hat, ist in der zweiten Woche gut aufgehoben. Die Silologik wird also durch eine Unterscheidung bei den Zielgruppen und Settings ersetzt.
Die wesentlichen Themen, die das Forum anspricht, können nur gemeinsam mit der Politik gelöst werden. Werden bewusst Politiker eingeladen, damit sie nicht nur Gegenstand von Forderungen sind, sondern auch Teil der Diskussion sein können? Natürlich brauchen wir die Politik am Tisch. Letztes Jahr kam EU-Kommissarin Mairead McGuinness nach Alpbach. Sie wollte für einen halben Tag kommen, blieb dann aber drei Tage, weil sie die Gespräche mit den Studierenden so inspirierend fand. Solche Erlebnisse wünschen wir uns. Wir wollen Studierende, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammenbringen.
Sie waren selbst Politiker und Politikberater. Sagt die Tatsache, dass ein Polit-Insider mit der Aufgabe betraut wurde etwas darüber aus, in welche Richtung es gehen soll? Aus meiner bisherigen beruflichen Laufbahn bringe ich das Verständnis dafür mit, wie Politik denkt und funktioniert. Ich kenne aber auch die Sprache der Wirtschaft und habe immer viel Übersetzungsarbeit gemacht. Alpbach ist dafür eine tolle Plattform.
Wie funktioniert die Finanzierung? Grob ein Fünftel sind Teilnahme-Gebühren, ein Fünftel sind Förderungen und der Rest kommt aus privaten Sponsorings.
Wie werden die Sponsoren denn dieses Jahr eingebunden? Wir wollen ganz klar trennen. Wir werden eine Firewall aufstellen. Wir programmieren und sind dabei völlig frei. Aber wir bieten den Partnern an, eigene Content- und Networkingsessions zu bespielen. Sie sind in Abstimmung mit uns gestaltbar und sollen ins Gesamtkonzept passen. Hier sind die Sponsoren gefordert wirklich relevante Inhalte zu bringen. Sonst bleiben die Teilnehmer aus.
Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie heuer? Wir rechnen mit vollem Haus und um die 5000 Besucher. Der Event wird wieder analog stattfinden, eventuell werden wir ausgewählte Veranstaltungen streamen. Die persönliche Begegnung ist aber das Entscheidende.
Wann werden Sie sagen: Das war eine erfolgreiche Ausgabe? Ganz pathetisch: Wenn Europa stärker geworden ist, aber wie man das misst, weiß ich noch nicht genau. Dafür braucht es wohl noch eine neue Maßeinheit. Zufrieden bin ich, wenn die allermeisten Teilnehmer weggehen und sagen: Ich hab etwas mitgenommen, das mich verändert hat.
Zur Person
Feri Thierry war Geschäftsführer des Wiener Standorts der Agentur 365 Sherpas, die auf die politisch-strategische Kommunikationsberatung für Unternehmen, Verbände und Institutionen spezialisiert ist. Von 2013 bis 2016 verantwortete er als Bundesgeschäftsführer der Neos den Aufbau sowie die strategische Kommunikation der Partei. Seit Januar 2022 ist er Generalsekretär des Europäischen Forums Alpbach.
Das Europäische Forum Alpbach
Das erste European Forum Alpbach fand im Jahr 1945 als "Internationale Hochschulwochen" statt. Im Jahr 1948 wurde es als gemeinnütziger Verein mit Sitz in Wien gegründet und agiert seither unabhängig jeglicher ideologischer, religiöser und politischer Einstellungen, Anschauungen, Religionen und politischen Einstellungen. Freiwillige arbeiten gemeinsam mit dem Organisationsteam daran das Forum als eines der wichtigsten interdisziplinären Dialogplattformen Europas für Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur weiterzuentwickeln.