Klare Worte zum Thema
Externe Faktoren
Russland: Als Absatzmarkt spielt Russland im globalen Kontext keine große Rolle. Doch als Beschaffungsmarkt für Rohstoffe wie Öl und Gas ist das Land extrem wichtig. Entsprechend gravierend wirkt sich der Konflikt auf viele Unternehmen aus. Abgesehen von der Frage nach Gaslieferungen sind einzelne Betriebe besonders dann betroffen, wenn sie Schlüsselmaterialien aus Russland beziehen, die nun nicht geliefert werden können. Ein Paletten-Hersteller musste beispielsweise gerade die Produktion stoppen, weil Nägel fehlen, die aus Drahtstahl hergestellt werden – und der kommt zu 90 Prozent aus Russland. Ein weiterer Aspekt liegt in der Geografie. Russland wird Europas Nachbar bleiben. Europa setzt aktuell auf einen Morgenthau-Plan. Henry Morgenthau war nach dem Zweiten Weltkrieg Finanzminister der USA und wollte Deutschland von der Industrienation zum Agrarmarkt umgestalten. Am Ende wurde der Marshallplan umgesetzt, der den Wiederaufbau ermöglicht hat. Die harten Sanktionen gegen Russland sind aktuell verständlich. Doch was kommt nach dem Krieg und was kommt nach Putin? Wir werden einen Marshallplan für die Ukraine und Russland brauchen. Darin würden enorme Wachstumspotenziale für Europa liegen. Zudem muss Europa daran interessiert sein, ein stabiles Verhältnis mit Russland zu schaffen. Es kann nicht unser Interesse sein, dass Russland zu einem Burkina Faso mit Atomwaffen wird. Wenn Russland noch weiter verarmt, wird das Land noch gefährlicher werden.
Energiepreise: Es ist völlig illusionär, dass Europa auf absehbare Zeit ohne russische Energie auskommt. Länder wie Deutschland und Österreich beziehen einen Großteil ihres Gas- und Ölbedarfs aus Russland. Wir haben keine Terminals, um Flüssiggas aus den USA oder Katar einzuspeisen. Wir könnten es vielleicht in Katar und Amerika kaufen, aber wir können es nicht ausladen. Zudem benötigt die Industrie in unseren Ländern viel Energie, wir sind keine Dienstleistungsländer wie Großbritannien. Aktuell wird Atomkraft abgestellt und viele hoffen nur auf Windkraft. Doch die Transformation wird dauern. Selbst wenn 2026 Flüssiggas-Anlagen fertig werden, geht es nicht ohne die russische Energie. Deshalb muss die Politik sehr vorsichtig sein. Sollte Russland die Lieferungen komplett einstellen, wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe.
Materialknappheit: Die Versorgung mit Gütern wie Halbleitern, Holz und Stahl sehe ich als eher kurzfristiges Problem. Viele Nachhol-Effekte werden sich abschwächen. Darüber hinaus werden beispielsweise gerade große Chipfabriken gebaut. Dieser Mangel sollte also mittelfristig zu Ende gehen. Zudem ist die Marktwirtschaft so global aufgestellt, dass keine dauerhaften Knappheiten entstehen können. Und selbst wenn ein Rohstoff wirklich zu Ende geht, findet die Wirtschaft neue technische Lösungen.
Klimawandel: Sustainability is the next digital. Das Thema Nachhaltigkeit wird nun auch massiv durch Corona und die Knappheiten beschleunigt. Im Januar 2020 habe ich meinen letzten physischen Vortrag gehalten. Seitdem habe ich rund 100 Vorträge digital über die Bühne gebracht. Früher war ich immer unterwegs, viel in China und den USA. Die CO2-Menge, die ich als einzelne Person durch die Digitalisierung gespart habe, ist enorm. Vieles wird auch in Zukunft virtuell bleiben. Auch weil der Inflationsdruck und der Rohstoffdruck mehr Effizienz erforden. Eines ist aber aus meiner Sicht klar: Wir werden den Klimawandel nicht mit Verzicht aufhalten können. Die Lösung kann und wird in neuen Technologien und Innovationen liegen. Wir werden eine Innovationswelle erleben, die wir uns gar nicht vorstellen können. Wenn Not am Mann war, sind schon immer alle kreativ geworden.
Inflation: Wir haben drei Jahrzehnte mit großer Preisstabilität hinter uns. Die heutige Managergeneration hat deshalb keine Erfahrung mit Inflation. Die letzte Inflationswelle war in den 70er-Jahren. Auch damals ist sie ruckartig gekommen. Die Frage ist, wie lange sie jetzt bleiben wird. Ich glaube, dass wir uns auf eine längere Phase gefasst machen müssen. Nicht wegen der Rohstoffengpässe. Sondern weil die Geldmenge ganz enorm angestiegen ist. Wir werden also Inflationsraten von mehr als sieben Prozent sehen. Das hat natürlich Folgen: Kosteneffizienz, Wettbewerbsverhalten, Scheingewinne. Beim Cashmanagement werden Betriebe darauf achten müssen, dass sie ihr Geld schnell bekommen und schnell in Ware umtauschen. Auch der Vertrieb ist nicht mehr daran gewöhnt, laufend Preiserhöhungen umzusetzen. Wenn eine Firma um zehn Prozent höhere Kosten hat, die sie nicht weitergeben kann, bricht der Gewinn mitunter um bis zu 90 Prozent ein. Der Effekt auf den Gewinn ist dramatisch. In genau diesem Moment stellt sich die Frage nach der Pricing Power. Wer bei seinen Kunden keine Preiserhöhungen durchsetzen kann, wird Probleme bekommen.
China: Man kann nur hoffen, dass Europa nicht im amerikanisch-chinesischen Konflikt zerrieben wird. Wenn wir uns auf eine Seite schlagen müssten, wäre es eine Katastrophe. VW ist beispielsweise Marktführer in China. Viele Mittelständler haben bereits einen Großteil ihres Geschäfts in China. Zudem ist China nicht nur als Absatzmarkt, sondern als Wertschöpfungsmarkt immer wichtiger geworden. Bei internationalen Patenten belegt das Land bereits die Nummer 1. Dahinter steht eine Entwicklung der Globalisierung, bei der Exporte zunehmend durch Direktinvestitionen ersetzt. Viele Betriebe gehen mittlerweile nach China, weil sie dort bessere Bedingungen für Themen wie KI oder Bergbau vorfinden als in Europa. Auf der anderen Seite beobachten wir, dass Konzerne wie Tesla und Intel nach Europa drängen und hier fertigen wollen. Wir sehen also eine neue Aufstellung der Wertschöpfung. Es geht immer stärker darum, den besten Standort für Produktion und auch F&E zu finden.
Fachkräfte: Das Problem liegt in der Demografie. Die Babyboomer gehen in Ruhestand. Und es kommen immer geburtenschwächere Jahrgänge nach. Das ist die Hauptursache. Durch Zuwanderung wird der Effekt abgemildert, sonst wären wir bereits ein Altersheim. Jetzt profitieren wir vom Ukrainekrieg, wenn qualifizierte Kräfte kommen, die nicht zurückkehren werden. Dadurch erfahren wir eine Abmilderung. Aber strukturell bleibt das Problem bestehen. Die Arbeitskraft bleibt knapp, die Löhne werden steigen und das treibt auch wieder die Inflation an.
Zur Person
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon ist Gründer und Honorary Chairman von Simon-Kucher & Partners, dem Weltmarktführer in der Preisberatung. Seine mehr als 40 Bücher über Hidden Champions und Pricing sind zu Weltbestsellern geworden und in 30 Sprachen erschienen. Er ist der einzige Deutsche in der globalen Thinkers50 Hall of Fame. In China ist die Hermann Simon Business School nach ihm benannt.