Gugler Insolvenz
Ist Purpose wertlos?
"Diese Entscheidung war seelenlos", sagt Ernst Gugler, "unverständlich und unmenschlich." Ernst Gugler ist Gründer des bekannten Unternehmens gugler*, ein Pionier der Nachhaltigkeit, und die Entscheidung, die Herrn Gugler seit kurzem Tränen und schlaflose Nächte beschert, haben andere getroffen. Sie haben die Firma in die Insolvenz geschickt.
"Natürlich ist die Lage gerade nicht rosig", so der Firmengründer, "aber das ist im Druckgewerbe generell der Fall." Jetzt hat er keinen Zugriff mehr auf die eigenen Konten und die Lieferanten haben auf Vorauskasssa umgestellt – ein unternehmerisches Schreckensszenario.
Die harte Wand, an die hier ein Vorzeigeunternehmen geprallt ist, lohnt eine Betrachtung. Gugler hatte ein nicht befriedigendes Halbjahresergebnis, war aber handlungsfähig und mit keinen Rechnungen oder Raten in Verzug. Da gibt es eine Bandbreite von Maßnahmen. Die Insolvenz ist die schärfste davon. Warum also?
Grüne Visionen
Die Ökonomie ist ein Spiel. Es liegt an jedem einzelnen, der an diesem Spiel teilhat, wie es gespielt wird. Die Regeln sind offen und veränderbar. Gugler selbst ist der Beleg dafür, dass man das Spiel freundlich und beseelt anlegen kann. "Ich habe damals die Druckvorstufe und Grafikabteilung in einer Druckerei geleitet", erinnert sich Gugler an seine Jugend, "Hainburg und Zwentendorf waren gerade bestimmende Themen. Ich dachte, wenn ich mich selbstständig mache, dann kann ich all die grünen Visionen umsetzen, die mir so durch den Kopf gehen. Das war ein mächtiger Impuls." Das Unternehmen ist in den dreißig Jahren seiner Existenz zu einer international bekannten Green Brand geworden. Gugler hat hundertausende Euro eigenen Geldes in die Hand genommen, um ein völlig neues, chemiefreies Druckverfahren zu entwickeln. Die Druckwerke sind "gesund", rückstandsfrei und klimafreundlich. Cradle-to-Cradle zertifiziert, wie das technisch heißt. Eine Weltneuheit, made in Austria.
Hier ist also jenseits von Bilanzzahlen ein ideeller Wert entstanden, ein höherer Sinn, der es überhaupt erst ermöglicht, dass Menschen andocken können, seien es nun Mitarbeitende oder Kunden. Im Unternehmensjargon heißt das "Purpose". Es gibt den Unternehmen Daseinsberechtigung.
Barbarei mit dem Rechenstift
Genau die wird ihnen aber gerne abgesprochen, sobald die Zahlen nicht passen. Da wird plötzlich jeder Beitrag zum Gemeinwohl, jeder höhere Wert, jedes Kulturgut irrelevant und verhandelbar. Dann kann man sinngebende Firmen kaputt gehen lassen, die Wiener Zeitung - als älteste Zeitung der Welt ein Kulturgut - von Staats wegen einfach einstellen, kurzum: mit dem Rechenstift die Barbarei ausrufen. So als hätten wir in uns bloß ökonomische Algorithmen und nicht vielmehr eine sinnsuchende Seele. So als wäre die Vorstellung des homo oeconomicus nicht längst zu Grabe getragen. Was für eine Welt hätten wir, wenn wir nur leben lassen, was ausreichend Geld bringt?
Genau jene nicht bilanzierbaren menschlichen Eigenarten wie Liebe, Kunst, Sinngebung sind unsere Lebensspender. Der Purpose braucht Sichtbarkeit in der Unternehmensbilanz. Bei der Jobsuche hat er ihn ja bereits. Kein Arbeitssuchender heute wählt die Gehaltshöhe, vielmehr die Augenhöhe. Kein junger Mensch sucht noch einen "sicheren Job", vielmehr ethische Verantwortung.
Ernst Gugler hat in den letzten Tagen übrigens einige Solidaritätsbekundungen in Form von Aufträgen erhalten. Kunden haben Aufträge umgeleitet und gemeint "Ihr seid zwar eine Spur teurer, aber das ist es uns jetzt Wert." Bei Gugler geht es also weiter. Man muss Firmen nicht um jeden Preis retten. Aber man muss sie auch nicht willkürlich vernichten.