Werte, Lösung, Beitrag

Stephan Strzyzowski
15.05.2019

Umwelt und Gesellschaft stehen großen Herausforderungen gegenüber. Einen wesentlichen Beitrag können Unternehmen mit Lösungen leisten, die gleichermaßen nachhaltig wie innovativ sind. Wie und warum gerade Weltmarktführer diesen Ansatz verinnerlicht haben, diskutieren Karin Exner-Wöhrer (EW), CEO der Salzburger Aluminium Group, Elisabeth Mayerhofer (EM), Geschäftsführerin der Julius Raab Stiftung, und Othmar Schwarz (OS), von Simon, Kucher & Partners.

Wie spielen die Themen Innovation und Nachhaltigkeit zusammen?
EW:
Man kann Innovation heute nicht mehr losgelöst von Nachhaltigkeit betrachten. Unser Unternehmen befasst sich seit 120 Jahren mit Aluminium. Wir haben festgeschrieben, dass jedes Produkt, das wir in Umlauf bringen, so gestaltet werden muss, dass es sich wieder rezyklieren und wirtschaftlich im Kreislauf verbleiben lässt. Unsere Entwicklungsabteilung denkt konsequent jede Innovation in diesem Sinne zu Ende.
OS: Dabei handelt es sich ja primär um Ihre Eigenverantwortung. Das finde ich spannend. Kunden fordern zwar immer häufiger Nachhaltigkeit ein. Aber dieser Wertbeitrag spiegelt sich in deren Zahlungsbereitschaft nicht vollständig wider. Darin liegt wohl auch der Grund, warum Nachhaltigkeit vor allem in eigentümergeführten Unternehmen hohen Stellenwert hat. Das ist nichts, womit man schnell Geld verdienen kann. Es geht vielmehr um eine Verantwortung der Region, der Gesellschaft und der Umwelt gegenüber.

Immer häufiger fordert zusätzlich zu den Kunden auch die Politik Nachhaltigkeit ein. Wie wirkt sich das aus?
OS:
Dieser Umstand beschleunigt natürlich viele Prozesse. Das hat sich etwa in der Verpackungsbranche gezeigt. Dort war das Thema „Green“ schon lange auf der Agenda. Dadurch, dass die Politik Plastikverpackungen jetzt verbannen will, steigen wirklich alle auf das Thema auf und entwickeln entsprechende Lösungen und Innovationen. Dabei handelt es sich allerdings vielfach um Konzerne – die erst anfangen, wenn von außen Druck kommt.
EM: Ich denke, dass Unternehmer in der Gesellschaft immer schon die Rolle der Problemlöser in der Gesellschaft hatten. Sie haben gerade in Transformationsphasen immer wieder Blaupausen für gesellschaftliche Innovationen geschaffen, die von der Politik übernommen wurden. Man denke an den sozialen Wohnbau, der aus der Wirtschaft stammt, nicht von der Politik.

Was sind denn bei Ihnen die Treiber? Spielen Politik und Kundenwünsche eine so große Rolle wie Ihre eigenen Überzeugungen?
EW:
Wir sind ein sehr marktgetriebenes, exportorientiertes Unternehmen. Bei uns stehen die Mitarbeiter ganz oben. Gemeinsam sind uns Sicherheit, Bildung und motivierende Arbeitsbedingungen wichtig. Dann kommt gleich die Nachhaltigkeit. Dabei ist es uns wichtig, die ganze Wertschöpfungskette zu betrachten. Wir nehmen unsere Lieferanten in die Pflicht – genauso wie wir von unseren Kunden in die Pflicht genommen werden.

Mit welchen Vorgaben?
EW:
Wir legen zum Beispiel großen Wert darauf, dass unsere Lieferanten einen gewissen Recyclinganteil im Aluminiumblech aufweisen. Und genauso tun es auch unsere Kunden, die großen Lkw-Hersteller. Wichtig ist dabei, dass sich alle Maßnahmen rechnen müssen. Wir müssen diesen Aktivitäten einen Wert beimessen können. Nachhaltigkeitsprojekte, die wir machen, müssen sich rechnen und das tun sie auch.
OS: Es ist wichtig, zu erkennen, dass Innovation noch sehr oft zu technisch getrieben wird. Hier dreht sich alles um die Frage: Was ist möglich? Mit dieser Herangehensweise innovieren viele Unternehmen am Kunden vorbei. Man muss auf die Kunden schauen und auf deren Herausforderungen.

„Wir arbeiten täglich an Themen, die Umwelt und Gesellschaft betreffen, sprechen aber nur wenig darüber.“ Karin Exner-Wöhrer, CEO der Salzburger Aluminium Group

Manche Trendthemen der Innovation wie künstliche Intelligenz oder Robotisierung werden von vielen Menschen sehr kritisch betrachtet. Wie wichtig ist es, solche Stimmungen im Innovationsprozess vorausschauend zu antizipieren?
EM:
Unternehmen wissen, dass sie auf die Erhaltung der Licence to Operate achten. Sie sind ja Teil der Gesellschaft, sie haben ihre Standorte nicht am Mond, sondern in ihrer Gemeinde. Sie brauchen Mitarbeiter und den Goodwill der Gemeinde sowie der Politik. Durch digitale Medien stehen Unternehmen schneller in der Kritik. Ein Shitstorm ist heute rasch losgetreten.

Es gilt also, vom Standpunkt des Produkts zur Fokussierung auf das Kundenbedürfnis zu wechseln. Wie schlägt sich dieser Paradigmenwechsel bei Herangehensweisen an das Thema Innovation in der Praxis nieder?
EW:
Früher haben wir eine Konstruktionszeichnung bekommen, die wir umsetzen sollten. Inzwischen sind wir aber als Innovationspartner anerkannt und entwickeln die Lösungen selbst. Eine der Herausforderungen war zum Beispiel, an einem gewissen Platz am Lkw möglichst viel Treibstoff für eine möglichst hohe Reichweite unterzubringen. So wurde unser Tank eckig und nicht mehr rund. Und natürlich beschäftigen wir uns intensiv mit neuen Treibstoffen, die den Diesel ablösen können.

Womit rechnen Sie denn?
EW:
Zum Beispiel mit Flüssigerdgas (LNG). Das wird zum Teil schon von den Endkunden verlangt, es ist aber auch eine politische Frage. Das betrifft die Infrastruktur und die Besteuerung. Wir rechnen heute damit, dass LNG beim schweren Lkw eine Brücke sein wird und dass sich am Ende der Wasserstoff durchsetzen wird. Schwer einzuschätzen ist der Zeitraum, in dem das passiert.

Wie gehen Sie mit der Unsicherheit um?
EW:
Wir entwickeln jetzt bereits ein Produkt für Wasserstoff, um rechtzeitig eine Lösung bereitzuhalten.

„Hidden Champions denken von Anfang an global. Auch bei Innovation und Produktgestaltung.“ Othmar Schwarz, Simon, Kucher & Partners

Was, wenn Sie sich täuschen?
EW:
Ich weiß, dass Wasserstoff auch kommen wird. Die Lösung liegt auf der Hand und sie wird der Umwelt sehr entgegenkommen. Allerdings haben verschiedene Stakeholder noch einige Themen zu lösen.

Die politischen Rahmenbedingungen unterscheiden sich ja von Land zu Land. Wie geht man damit als Weltmarktführer um, wenn man weltweit agiert?
OS:
Hidden Champions denken von Anfang an sehr global. Auch bei Innovation und Produktgestaltung. Sie sind Spezialisten in einer Nische und müssen gleichzeitig individuelle, regionale Lösungen bieten können, aber auch globale Trends antizipieren. Was sich zeigt, ist, dass sie meistens die Möglichkeit haben, langfristiger zu denken. Denn sie sind zum Großteil eigentümergeführt. Bei Shareholder-Value-getriebenen Unternehmen ist es schwieriger, Innovationen voranzutreiben, die sich nicht sehr rasch rechnen.
EM: Aktuell wird viel über Komplexität, VUCA und Widersprüche diskutiert. Die Hidden Champions bewältigen diese vermeintlichen Widersprüche und können daher Chancen nutzen: Sie sind regional verwurzelt und global aufgestellt, sie haben ganz traditionelle Werte und sind hoch innovativ. Sie sind technikgetrieben und sehr beziehungsorientiert. Das ist eine Besonderheit.
OS: Der wichtigste Angelpunkt und Wettbewerbsvorteil vieler Hidden Champions sind die Mitarbeiter. Daraus entsteht auch die soziale Verantwortung der Region gegenüber. Da gibt es eine tiefe Verbundenheit. Ein gutes Beispiel ist Welser Profile. Sie haben in ihrer Region einen Zukunftscampus errichtet, um Bildung und eine Bindung zur Region zu schaffen. Damit lösen sie auch das gesellschaftliche Problem der Urbanisierung. Sie schaffen von der Schule an ein innovatives Umfeld, damit die Menschen in der Region bleiben. Und das macht Welser mit anderen Unternehmen gemeinsam, um soziale Nachhaltigkeit zu schaffen. Das bringt ihm auch den Vorteil, dass er Arbeitskräfte findet.
EW: Die Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und der Region ist in unserer DNA enthalten. Bei der Ausrichtung des Unternehmens ist allerdings unser eigener Mut gefragt. Die Out-ofthe- box-Ideen kommen meistens aus der Familie, weil ich für das Thema Wasserstoff nicht einmal ein Budget festlegen könnte und die Unsicherheit am Markt sehr groß ist. Das ist noch schwer zu greifen. Hier sind Eigenkapital und ein entsprechender Mindset gefragt. Verantwortung und Innovation müssen wir selbst vorleben, wer denn sonst? Die Umsetzung und die damit verbundenen Innovationen kommen dann von unseren Mitarbeitern. Wichtig ist uns, eine Kultur zu fördern, die das ermöglicht. Und wir müssen uns die Frage stellen, wie die Gesellschaft mit verschiedenen Entwicklungen umgeht, ob sie abgelehnt oder angenommen werden. Wir haben selbst einen sehr alten Industriestandort, der lange abgelehnt wurde. Mit solchen Herausforderungen müssen wir umsichtig umgehen.

Wie denn?
EW:
Wir pflegen eine sehr enge und gute Verbindung zur Gemeinde. Wir arbeiten täglich an Themen, die Umwelt und Gesellschaft betreffen, sprechen aber nur wenig darüber. Vieles läuft da über die Mitarbeiter. Sie tragen unsere Themen weiter.

Sogenannte Social Entrepreneurs gehen ja noch einen Schritt weiter und zielen mit ihren Geschäftsideen direkt auf Lösungen für Probleme in Gesellschaft und Umwelt ab. Kann diese Art, zu innovieren, ein sinnvolles Vorbild für arrivierte Unternehmen sein?
EM
: Durchaus, denn sie zeigen uns, dass gesellschaftliche Probleme auch mit unternehmerischen Lösungen adressiert werden können. Nachhaltig werden diese Lösungen durch ein handfestes Geschäftsmodell. Ein gutes Beispiel ist die Firma MicroEnsure. Sie wurde von einem Versicherungsangestellten gegründet, der bemerkt hat, dass vor allem jene Menschen, die aufgrund prekärer Lebens- und Arbeitsbedingungen sehr oft verunfallen oder sterben, eigentlich keine Versicherungen in Anspruch nehmen können. Schlicht, weil in Ländern wie Indien oder Bangladesch viele Slumbewohner keinen festen Wohnsitz oder keine Dokumente haben. Er hat für dieses Problem eine Geschäftsmodellinnovation geschaffen und mittlerweile 56 Millionen Kunden.

Wie ist das gelungen?
EM:
Die Miniversicherungen werden über das Handy gekauft und können für die Dauer etwa einer Beschäftigung abgeschlossen werden. Mit diesem Geschäftsmodell schafft die Firma für die Menschen echt einen Mehrwert. Wenn der Ernährer ausfällt, ist es eine Katastrophe für die Familie. Dieser Fall kann jetzt abgefedert werden.
EW: Natürlich kann nicht jedes Unternehmen sein Geschäftsmodell auf diese Weise umkrempeln. Aber es gilt, seine Verantwortung für die Menschen wahrzunehmen. Wir legen selbst großen Wert auf gleiche Standards an allen unseren Standorten, egal ob in Österreich, der Slowakei oder Mexiko.

China und die USA setzen mit Protektionismus und teils wesentlich niedrigeren Standards die europäische Wirtschaft zunehmend unter Druck. Geraten wir hier mit unserem Wertekorsett und den vielen Vorgaben an Unternehmen ins Hintertreffen?
EW:
Wir haben in Europa in diesem geopolitischen Spiel wahnsinnig viel verschlafen. Unsere Konkurrenz sitzt heute in China. Wir sehen es jetzt bei einem unserer Produkte, das aus China zu einem Preis angeboten wird, der unter unserem Rohstoffpreis liegt. Schlicht, weil der Rohstoff dort subventioniert wird. Ich bin generell für fairen Handel, aber nur dann, wenn er diese Bezeichnung auch verdient. Da muss Europa ein anderes Selbstbewusstsein entwickeln und danach trachten, gewisse Vorgaben, die ich aus Umweltgründen richtig finde, zu überdenken. Die hohen Vorgaben dürfen kein europäisches Unikum sein, sonst bremsen wir uns vollkommen aus.
OS: Auf der anderen Seite wird China als Markt immer wichtiger. Dem können sich Unternehmer nicht verschließen. Aber unsere Hidden Champions kämpfen an zwei Fronten. Sie kämpfen hier mit starren Strukturen und Bürokratie. Auf der anderen Seite werden sie bei Zollfragen nicht unterstützt. Da ist die Politik gefordert. Sie muss den Betrieben entweder mehr Flexibilität geben, oder wir versuchen als gemeinsames Europa aufzutreten, um zwischen China und den USA ein gewisses Gewicht zu bekommen. Sich auf der aktuellen Stärke in Europa auszuruhen wäre fatal. Wir müssen jetzt was nachlegen.
EW: Dabei wäre es auch wichtig, bei großen Unternehmenszusammenschlüssen nicht nur die europäische Sicht im Blick zu haben. Die Konkurrenz sitzt heute woanders. Hier muss die Politik die globale Perspektive betrachten.
OS: Ich denke, dass viele Unternehmer mit Blick auf die Konkurrenz auch über die aktuelle Kernindustrie hinausschauen müssen. Die Automobilindustrie wird heute von branchenfremden Playern wie Google disruptiert. Unternehmen müssen sich also mit vielen neuen Kriegsschauplätzen beschäftigen, sonst werden sie überrannt.

„Unternehmer hatten immer schon die Rolle der Problemlöser in der Gesellschaft.“ Elisabeth Mayerhofer, Julius Raab Stiftung

Wie können sie dagegenhalten?
OS:
Was sie davor schützt, ist der Fokus auf ihre Kernkompetenzen. Vielleicht ist es bei Ihnen zum Beispiel, in Zukunft nicht mehr Tanks zu bauen, sondern ein Fuelmanagementsystem anzubieten.
EM: Für genau diese Herangehensweise gibt es schöne Beispiele von Hidden Champions. Etwa Wolf Vision. Die Firma hat früher Overheadprojektoren produziert. Dass das nicht die Zukunft sein wird, war klar, und die Firma hat sich vom Hardware- zum Softwarehersteller gewandelt. So eine Veränderung erfordert mutige Schritte und ist mindestens so herausfordernd wie die Gründung eines Start-ups. Dabei muss man die Mitarbeiter mitnehmen und die Unsicherheit aushalten.
OS: Solche Changeprozesse erfordern immer auch einen Kulturwandel. Viele Unternehmer sind davon überzeugt, dass solche Ideen nur in Innovationlabs entstehen können, also in abgeschlossenen Bereichen. Sehr überspitzt gesagt: Neun von zehn Ideen werden nichts, aber eine eben schon. Da zählt natürlich der Wille, der Eigentümergedanke und der lange Atem.
EW: Neun von zehn, die nicht funktionieren, wäre uns wohl zu viel. Sobald sich bei uns die Entwicklung zu weit von unseren Kunden und dem Markt entfernt, wird sie nicht mehr ernst genommen. Damit sind wir in der Vergangenheit gescheitert. Deswegen setzen wir ganz konsequent auf größte Kundennähe. Daneben versuchen wir, Trends vorauszusehen. Unser Kunde will jetzt zwar einen Dieseltank, aber sein Kunde will schon etwas Umweltfreundliches. Wir müssen proaktiv vorausdenken.

Wie gut sind denn die Voraussetzungen, um mit diesem Ansatz aus Österreich heraus erfolgreich zu sein?
EM:
Ich glaube, dass es für Österreichs Unternehmen nicht neu ist, dass sie Teil einer ökosozialen Marktwirtschaft sind. Das wird gelebt. Wir verdienen sechs von zehn Euro im Ausland und unsere Zukunftsmärkte werden nicht USA und Deutschland heißen. Es werden Schwellen- und Entwicklungsländer sein. Wenn wir das marktkreierende Potenzial nicht verstehen, das in Problemfeldern von Umwelt und Gesellschaft liegt, dann verpassen wir eine Chance.
OS: Es gibt ein schönes Zitat von Peter Drucker: „Gewinne sind die Kosten des Überlebens.“ Wenn ich keine erwirtschafte, werde ich keine Innovationen machen und keine gesellschaftspolitischen Maßnahmen unterstützen können.

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