Wenn weniger mehr ist
Manchmal ist weniger tatsächlich mehr. Zumindest wenn es um das Gewicht von Kinderrädern geht. Getreu diesem Motto haben zwei Enthusiasten in acht Jahren aus einer Garagenfirma einen Weltmarktführer gemacht.
Wer Kinder bekommt, taucht in eine völlig neue Welt ein. In einen Kosmos, der sich um Ernährung, Erziehungsmethoden, kindgerechte Hotels, durchwachte Nächte und natürlich um alle Produkte dreht, mit denen die Kleinen in Berührung kommen. So werden auf Kindergeburtstagen und Spielplätzen plötzlich nur noch hitzige Debatten zwischen Jungvätern und Müttern über Weichmacher, Gluten und Lacke geführt. Das Beste ist für den Nachwuchs gerade gut genug. Schließlich will man alles richtig machen. Wenig verwunderlich also, dass Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld mit ihren Kinderfahrrädern namens Woom schnell durchstarten konnten. Der Grund ist simpel, sagt Marcus, als die Führung durch das Firmengelände in Klosterneuburg bei Wien mit seinem Elektroauto startet: „Wir haben von Anfang an unseren vollen Fokus auf die Bedürfnisse von Kindern gelegt und eines der leichtesten Kinderräder auf dem Markt entwickelt.“ Und genau an dieser Stelle liegt der zentrale Unterschied: Welcher Erwachsene würde schließlich gern mit einem Bike fahren, das gute 50 Kilo wiegt? Eben. Denn in einem ähnlichen Verhältnis zum Gewicht der Kinder werden gängige Kinderräder produziert. Die Folge: Produkte, die keinen Spaß machen, heulende Kids, entnervte Eltern, vergeudete Ressourcen.
WENN PHILOSOPHIE UND TIMING STIMMEN
Womit ein zweiter Punkt angesprochen wäre, mit dem die beiden Gründer den Nerv der Zeit getroffen haben: Nachhaltigkeit. „Diese Entwicklung spielt uns klar in die Hände“, meint Marcus Ihlenfeld, während er von Halle zu Halle geht, seine Mitarbeiter begrüßt und stolz auf die unzähligen Kartons zeigt, die zur Auslieferung bis unter die Decke gestapelt sind. Aus seiner Sicht wandelt sich die Gesellschaft gerade. Immer mehr Menschen wollen Qualität. Wer ein Rad für seine Kids kauft, will Nachhaltigkeit haben. Das heißt konkret: Im Idealfall überlebt das Fahrrad nicht nur die Fahrkünste des ersten Kindes, sondern kann auch noch von drei weiteren Kindern verwendet werden. Darüber hinaus stünde das Fahrrad heute im Wettbewerb zu digitalen Spielen. Bewegung in der Natur sei heute immer mehr Eltern ein Anliegen, meint Ihlenfeld, der selbst Vater von zwei Kindern ist und sich gefragt hat: „Wie bekomme ich sie raus an die frische Luft?“ Die Antwort: Je leichter das Rad zu fahren ist, umso mehr Spaß macht die Bewegung. Womit die Tour durch die weitläufigen Hallen zu Ende ist. Auslieferung, Werkstatt, Lager: alles blitzsauber und logisch geordnet. Und noch jede Menge Platz, um zu wachsen, freut sich Ihlenfeld, dessen Firma jedes Jahr um fast 100 Prozent wächst. Die Dynamik ist so groß, dass bei Woom Businesspläne auf Monatsbasis erstellt werden, um nachzukommen. Über 100 Mitarbeiter beschäftigt die Marke mittlerweile, die weltweit in 38 Ländern präsent ist.
„Wir haben von Anfang an unseren vollen Fokus auf die Bedürfnisse von Kindern gelegt.“ Marcus Ihlenfeld, Gründer von Woom
VOM GARAGENSCHRAUBER ZUM GLOBAL PLAYER
Doch wie kam es überhaupt zu der Erfolgsgeschichte, die ausnahmsweise einmal tatsächlich in einer Garage begonnen hat? Die Idee, Fahrräder zu produzieren, die voll auf die Bedürfnisse von Kindern abgestimmt sind, kam von Christian Bezdeka. Der Industriedesigner war vom Fach und hatte bereits für die Marke Simplon Räder konzipiert. „Er hatte das Know-how und wusste alles über Produktdesign, ich hatte als Marketing Direktor 15 Jahre Erfahrung im Auto-Bereich“, erinnert sich Marcus Ihlenfeld. Kennengelernt hatten sich die beiden bei einer Agentur. Als Christian Bezdeka Marcus Ihlenfeld von seiner Idee erzählte, fing der Marketer rasch Feuer. Das war 2011. „Jeder von uns hatte zwei Kinder und einen anstrengenden Fulltime-Job“, scherzt Ihlenfeld. „Die Ausgangslage war also denkbar gut.“ Doch davon ließen sich die beiden nicht abbringen. Sie trafen sich zwei Jahre lang jeden Abend und tüftelten an Details wie Kosten, Vertrieb und Design. Die GmbH gegründeten sie dann einfach in einer Garage im 14. Wiener Bezirk und begannen, nachts die ersten Räder zusammenzuschrauben. Auch die Buchhaltung, Facebook- Werbung und die Auslieferung musste zu Beginn nebenher laufen. „Nach 300 Fahrrädern habe ich dann gekündigt“, erzählt Ihlenfeld. Erst an diesem Punkt haben die zwei Gründer den ersten Mitarbeiter eingestellt – und nach zwei Jahren in der Garage sind sie in den Standort vor den Toren Wiens in Klosterneuburg gezogen. „Die Vermieterin der Garage hatte sich gefragt, was die Leute sich denken. Doch die Nachbarn fanden das geil“, schmunzelt Marcus Ihlenfeld.
WITH A LITTLE HELP FROM MY FRIENDS
Weniger erfreulich war allerdings zunächst die Frage der Finanzierung. „Das Thema war die größte Herausforderung“, sagt der Unternehmer. Gelöst haben es die zwei Enthusiasten durch die finanzielle Unterstützung von Family, Friends und Kunden, die ihnen wohlgesinnt waren. „So haben wir mit Kleinkrediten die ersten Jahre überstanden“, erinnert sich der Woom- CEO. Heute halten beide Gründer jeweils 50 Prozent bei einem Jahresumsatz von über 30 Millionen. „Erst als wir dann Geld verdient haben, hat man uns Kredite angeboten“, erzählt Ihlenfeld. Als Bankpartner fungiert seit diesem Zeitpunkt die Raiffeisenbank Steiermark. Sie hätte früh Interesse gezeigt.
Wie weit es die Firma gebracht hat, beweisen heute nicht nur sprudelnde Finanzmittel, sondern auch die großen Monitore, die im schicken Großraumbüro des Firmengebäudes an den Wänden angebracht sind. Sichtbar für alle Mitarbeiter werden tagesaktuell die wesentlichen Kennzahlen eingespielt, damit alle Abteilungen immer wissen, wo die Firma steht. Eine Offenheit, die sich passgenau in die Überzeugungen der Gründer einfügt. Denn Erfolg mit so einem Business beruht laut dem Woom-Team auf drei Säulen. Es braucht eine gute Idee, doch auch die Umsetzung müsse wirklich schlüssig sein: vom Service bis zur Logistik. Und der dritte Punkt: das Timing. „Das war auch gut bei uns“, freut sich Marcus Ihlenfeld. Er sieht die interne Transparenz als zentralen Teil des Erfolgsrezepts. Und seine Zahlen geben ihm recht.
FOKUS, FOKUS, FOKUS
Genauso wesentlich ist für den Gründer der bedingungslose Fokus auf seine Nische. Man dürfe auf keinen Fall von seiner Kernkompetenz abweichen. Darum wird bei Woom auch jedes Detail aus Sicht des Kindes gedacht. „Wir nehmen keine Lösungen aus der Box. Wir schauen nicht, was es gibt, sondern was es braucht“, zeigt sich Ihlenfeld überzeugt. Darum gibt es zum Beispiel bei den Woom-Bikes für die kleineren Kinder grüne Hinterradbremshebel und Bremsbacken. „Damit man den Zusammenhang kapiert“, erklärt Ihlenfeld. Auch Teile wie der Lenker haben eigens an Kinderhände angepasste Griffe, da helfen Industriestandards nicht weiter. Egal für welches Alter – die Range bei Woom reicht von 1,5 bis 14 Jahre –, die Bikes, die heute in Kambodscha gefertigt und in Klosterneuburg zusammengebaut werden, sind ergonomisch an den Körperbau der jeweiligen Altersgruppen abgestimmt. „An manchen Tagen haben wir hier mehr Kinder als Mitarbeiter“, erzählt der Unternehmer. Sie kommen her, testen und malen. Da könne man sich viel abschauen und lernen, damit man die Produkte nie an den Kunden vorbei entwickelt.
SERVICE STATT DISKUSSIONEN
Wenn doch einmal etwas schiefgeht, soll eine weitere wesentliche Säule im Konzept zum Tragen kommen: perfekter Service – ohne zu nerven. Wenn etwa bei einem Fahrrad der Bremshebel abbricht oder ein Fahrrad mit einem kleine Lackschaden ausgeliefert wird, erhalten die Kunden immer mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Diese reichen von Gutscheinen bis hin zu einem Austausch des kompletten Rades. Über Ursache und Schuldfrage wird nicht diskutiert. Die Kunden können dann einfach vorbeikommen, eine E-Mail senden, anrufen oder über Social Media Kontakt aufnehmen. Eine Antwort erhalten sie innerhalb von 45 Minuten und können dann entscheiden, welche Option ihnen am liebsten ist. Der Gedanke dahinter ist schlüssig: „Es geht nicht darum, ein Produkt zu verkaufen. Im Idealfall sollen die Woom-Kunden noch weitere vier bis fünf Räder, ab nächstem Jahr auch mit Elektroantrieb, kaufen. Und das tun sie mit Sicherheit nur dann, wenn sie happy sind. Entsprechend wichtig ist auch die Zusammenarbeit und Schulung der Distributeure. Denn Ihlenfeld und sein Kompagnon setzen ganz bewusst auf Fachhändler mit viel Know-how. Bei großen Sportartikelketten wird man die Bikes umsonst suchen. Der Grund: Wenn zum Beispiel die Winterware kommt, werden Sommerartikel wie Bikes zur Abverkaufsware. Das sei schlecht für die Preisstabilität, meint Marcus Ihlenfeld. Bei Woom gebe es keine Rabatte. Dafür hätten die Räder aufgrund der Qualität einen extrem hohen Wiederverkaufswert.
WORD OF MOUTH Die Steigerung der Bekanntheit erfolgt zu einem ganz wesentlichen Teil über Mundpropaganda. Eltern verbringen schließlich viel Zeit mit anderen Eltern und sprechen dann naturgemäß sehr viel über alle Belange ihrer Kids. Deswegen waren auch für Marcus Ihlenfeld die ersten zehn verkauften Bikes die allerwichtigsten. Von da an ging es organisch dahin. Den Ritt an die internationale Spitze haben die beiden aber auch dem geschickten Einsatz von digitaler Werbung zu verdanken. Vor allem die Bewerbung auf Social Media und über Google Adwords sowie die Analyse des Kaufverhaltens hat zu dem stetig steigendem Absatz geführt. Dabei wurde auch auf regionale Unterschiede und sprachliche Vorlieben Rücksicht genommen. „Ein Werbemittel auf Englisch funktioniert in Frankreich genau null“, erzählt Marcus Ihlenfeld. Und in Bayern wären einfach mehr Mountainbiker unterwegs – auf solche Aspekte müsse man schon Rücksicht nehmen.
Auf diese Art hat es Woom – der Markenname ist übrigens eine lautmalerische Nachahmung des Geräusches eines vorbeizischenden Fahrrads – zu über 30 Prozent Marktanteil in Österreich geschafft. Großes Potenzial sehen die Unternehmer aktuell in Deutschland. Doch auch in Frankreich und Italien will Woom kräftig wachsen, und Asien steht ebenfalls auf der Liste. Aktuell ist das Unternehmen in 30 Ländern tätig. 28 davon liegen in Europa. Man dürfe aber nicht ungeduldig sein, meint der Gründer. „Es dauert, bis es anläuft, doch ein Rad verkauft das nächste.“