Vormarsch der digitalen Wunderwuzzis
Die Digitalisierung scheint die Wirtschaft auf den Kopf zu stellen. Junge Unternehmer starten ihr Business vom Laptop im Wohnzimmer aus – und sie haben den Weltmarkt im Blick. Spaltet uns die virtuelle Welt in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft?


„Unternehmerinnen und Unternehmer von heute müssen immer mehr ein Wunderwuzzi sein.“ Dietmar Rößl, Professor an der WU Wien und Experte für KMU, kennt die missliche Lage, in der sich viele Unternehmer seit einigen Jahren befinden. „Die Welt wird durch die Digitalisierung nicht einfacher“, so Rößl. Während beispielsweise einem Hafner früher berufspraktische Fähigkeiten genügten, um erfolgreich zu sein, musste er sich später darüber hinaus theoretisches Wissen über sein Handwerk aneignen. Heute benötigt er auch digitale Kompetenzen, um konkurrenzfähig zu bleiben – und das neben betriebswirtschaftlichem und juristischem Wissen. Wird die Digitalisierung zum Jobkiller? Oder zum Turbo für neue Geschäftsideen digitaler Wunderwuzzis, die vom Schreibtisch aus den Weltmarkt erobern?
Auf Knopfdruck weltweit verkaufen Die Zahlen sprechen für sich: 150.000 neue Downloads pro Tag, 105 Millionen registrierte User. Die Rede ist von Runtastic. Jener Lauf- und Fitnessapp, die seit ihrer Gründung im Jahr 2009 205-millionenmal von Usern heruntergeladen wurde und die heute knapp 200 Mitarbeiter weltweit zählt. Gestartet ist das heute international erfolgreiche Unternehmen in Oberösterreich, mit nicht mehr als ein paar Laptops und einer Idee. Obwohl: Für Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner ist nicht einmal die Idee selbst entscheidend. „Die Idee ist meistens nicht ganz so wichtig, wie viele am Anfang glauben möchten. Ich würde sagen, dass es ein gutes Team und einen starken Leader braucht. Definitiv notwendig sind Motivation sowie der persönliche Einsatz und das Engagement“, erklärt Gschwandtner. Die Vorteile, die einem Unternehmen die virtuelle Welt bietet, überwiegen für den 34-Jährigen eindeutig. „Die Digitalisierung ermöglicht uns Einzigartiges. Wir können auf Knopfdruck unsere Produkte in der ganzen Welt verkaufen, und das ist die größte Chance, die wir jemals hatten.“
Bei vielen KMU in Österreich scheint die digitale Welt allerdings noch nicht wirklich angekommen zu sein. Laut Daten der Europäischen Kommission sind nur knapp 15 Prozent der heimischen Unternehmen im Online-Handel aktiv. Digitaler Tabellenführer ist Irland mit fast 32 Prozent, Deutschland liegt mit 24,15 Prozent auf Rang fünf. Ein Grund, warum die österreichischen Betriebe hier im Hintertreffen sind, liegt laut Rößl in der mangelnden Sensibilisierung für dieses Thema. „Im Moment ist Digitalisierung für viele ein Schlagwort mit unklarer Bedeutung“, meint der WU-Professor. Darüber hinaus sei die „Mich betrifft’s eh nicht“-Mentalität vorherrschend. „Das ist ein großes Missverständnis. Die Digitalisierung wird auch nicht-digitale Geschäftsmodelle verändern. Das Geschäftsmodell eines KFZ-Reparaturbetriebs wird künftig anders aussehen als bisher“, ist Rößl überzeugt.
Automatisierte Burritos Mit einem Investment von einer Million Euro hat das Start-up Intellyo jüngst seinen offiziellen Launch gefeiert. Das Unternehmensziel klingt abstrakt: „Wir wollen einen Automatisierungsgrad von 80 Prozent erreichen, derzeit stehen wir bei zwölf Prozent“, erklärt Christoph Richter, einer von insgesamt vier Intellyo-Gründern. Was steckt dahinter? Das Start-up mit Sitz in Wien und Budapest ist ein Publishing-Service, welches digitale Magazine – so genannte Content Hubs – für Konzerne erstellt und diesen Content abgestimmt auf die Zielgruppen im Netz verbreitet. Einfaches Beispiel: Ein Burrito-Geschäft möchte in Wien eröffnen. Intellyo ermittelt fünf Zielgruppen und erreicht, dass zum Beispiel die Hälfte des kulinarischen Contents, der bei diesen Personen auf Facebook angezeigt wird, aus dieser mexikanischen Spezialität besteht. Der Großteil der Prozesse – wie das Analysieren von Website-Inhalten oder das Finden der Zielgruppen – passiert automatisiert. „Nur das Schreiben der Artikel wird von Redakteuren übernommen, da wir hochwertigen Content liefern wollen. Das zu automatisieren, wird in den kommenden 20 Jahren noch nicht möglich sein“, so der IT-Kenner.
Nur der Südpol fehlt Wie bei Runtastic reicht auch hier ein Computer, um als Unternehmen weltweit aktiv sein zu können. „Durch die Digitalisierung rückt die Welt näher und wird kleiner. Wir haben ein Netzwerk an Freelancern in allen Kontinenten, die für uns schreiben – nur am Südpol noch nicht“, schmunzelt Richter. Derzeit wird – neben den bestehenden deutsch- und englischsprachigen Teams – auch ein französisches Content-Team aufgebaut. Kritiker warnen, dass diese rasante Digitalisierung zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft – und das nicht nur unter den Unternehmern – führen könnte. Ökonom und Mathematiker Franz Josef Radermacher sieht hier auch eine andere Seite: „Die Technologie sorgt für eine beschleunigte Aufholsituation. Nur eine Milliarde Menschen hat ein Konto. Aber vier Milliarden Menschen besitzen ein Handy. In Afrika und Asien gibt es mittlerweile gut entwickelte Banksysteme über Mobiltelefonie. Damit kommen plötzlich Menschen in das Finanzsystem, die vorher nicht drin waren.“ Die Conclusio von Radermacher lautet daher, dass intelligente Systeme den schwächeren Teil der Bevölkerung eher stärken, „und zwar dann, wenn die Systeme zugänglich ausgestaltet werden“.
Digitalisierung nicht zu stoppen Unabhängig davon, ob Bevölkerungsteile oder Unternehmer Vorteile aus der Digitalisierung ziehen oder von ihr überholt werden, fest steht laut Gschwandtner eines: „Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, und keine Branche wird sich vor ihr schützen können. Diejenigen, die das schnell erkennen – und dabei ist es eigentlich schon fast zu spät – können davon profitieren.“ Verlierer seien jene Branchen, die durch digitale Geschäftsmodelle direkte Konkurrenz bekommen – wie die Taxiunternehmen durch die Plattform Uber oder die Hotellerie durch Airbnb, meint Rößl. Es genüge auch nicht mehr, nur die eigene Branche zu beobachten, „denn dann wird man von solchen Entwicklungen, die ihren Ursprung oft außerhalb des unmittelbaren Branchenfeldes haben, überrannt“. Der Tipp des WU-Professors: „Die Unternehmerinnen und Unternehmer müssen über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen.“ Sicherlich ein erster Schritt auf dem Weg zum digitalen Wunderwuzzi.