Interview
Patentrezepte für KMU
Der im März veröffentlichte Patent Index 2023 zeigt neue Höchstwerte, wir haben hier berichtet. Österreich bleibt weiterhin unter den Top 10 der Länder mit der höchsten Anzahl von Patentanmeldungen pro Einwohner. Dieser Wert gilt als wesentlicher Indikator für die Innovationsstärke eines Landes. Wir wollten wissen, wie groß der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen ist und haben darüber mit Ilja Rudyk, Senior Economist beim Europäischen Patentamt (EPA), gesprochen.
Die Wirtschaft: Wie hoch ist der Anteil der KMU in der Patentstatistik und wie ist deren Rolle in puncto Innovation und Patente einzuordnen?
Ilja Rudyk: Wie der Patent Index 2023 zeigt, stammen 23 Prozent der beim EPA eingegangenen Anmeldungen aus Europa von einem kleinen und mittleren Unternehmen oder einem Einzelerfinder. Weitere 8 Prozent kamen von Universitäten. Leider liegen uns diese Statistiken nicht auf Länderebene vor.
Wie könnte man KMU den Zugang zu Forschung und Entwicklung – und somit zu mehr Patenten, erleichtern?
Das EPA hat es sich zum Ziel gesetzt, das Patentsystem auch für kleinere Anmelder zugänglich zu machen. Denn unsere Studien zeigen, dass Patente für die Entwicklung kleinerer Anmelder noch wichtiger sind als für große Unternehmen. Kleinere Anmelder, insbesondere Start-ups, nutzen Patente, um Geld zu beschaffen, Investoren anzuziehen und um ihre Technologie mittels Kooperationen zu verwerten, zum Beispiel durch Auslizensierung.
Stellen Gebühren eine Hürde dar?
Das Europäische Patentamt fördert Innovation durch KMU auf mehreren Ebenen. Eine davon ist eine Gebührensenkung, die in erster Linie KMU zugutekommt. Die Gebührensenkung richtet sich speziell an Kleinstunternehmen, natürliche Personen, Non Profit-Organisationen, Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen. Kleinsteinheiten erhalten eine 30-prozentige Ermäßigung für alle wichtigen Gebühren im Patenterteilungsverfahren, sofern sie in den vergangenen fünf Jahren weniger als fünf Anmeldungen eingereicht haben. Damit wollen wir ihnen den Zugang zum Patentsystem erleichtern und ihnen helfen, ihre Innovationskraft und F&E-Tätigkeit rechtlich abzusichern, damit sie daraus Produkte und Dienstleistungen für den europäischen Markt entwickeln können. Denn gemäß einer Studie, die das EPA in Zusammenarbeit mit dem EUIPO (Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum, Anm.) erstellt hat, kann der Besitz eines Patents die Wahrscheinlichkeit für ein Startup, eine Finanzierung zu erhalten, um bis das Zehnfache erhöhen.
Durch die Gebührensenkung und den Effekt des neu geschaffenen europäischen Einheitspatents versprechen wir uns in der Tat einen Schub für die Innovationen durch KMU. Das neue Einheitspatent bietet eine kostengünstige und einfache Option für Patentschutz in derzeit 17 EU-Mitgliedstaaten, unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich, die sich dem System bisher angeschlossen haben.
Wie aufwendig (Zeit, Geld, Bürokratie) ist der Prozess der Patentanmeldung gerade für kleine Unternehmen?
Das hängt stark vom Einzelfall ab. Der Prozess beginnt mit dem Einreichen der Anmeldung eines Patents beim EPA. Nach einer formellen Prüfung recherchieren die Experten des EPA, ob es bereits ähnliche Erfindungen gibt, die einer Patentgewährung entgegenstehen. Ist dies nicht der Fall, werden die Anmeldung und der Recherchebericht veröffentlicht. Dann haben Dritte die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben. Erst wenn dies abgeschlossen ist, führt das EPA auf Antrag des Anmelders die Sachprüfung durch und erteilt – wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind – das Patent. Bis diese Schritte abgeschlossen sind, vergehen im Durchschnitt etwa vier Jahre.
Wie wichtig ist die Beiziehung eines Patentanwalts?
Es ist wichtig, für diesen Prozess einen Patentanwalt hinzuziehen. Das erleichtert Vieles, wenngleich die Anmeldung von Patenten auch mit professioneller Unterstützung ein administrativ aufwendiger Vorgang bleibt. Dennoch bietet das europäische Patentverfahren mit seiner Abdeckung in den 39 Mitgliedstaaten des EPA durch eine einzige Anmeldung ein sehr vorteilhaftes Anmeldeverfahren: in einer Sprache, vor einer Behörde und nach einem Verfahren. Insofern sollten Patente mehr als Investition denn als Kostenfaktor betrachtet werden: Sie sind wichtige Vermögenswerte und bringen Unternehmen echte Wettbewerbsvorteile. Wir haben auf der EPA-Website eine Infografik veröffentlicht, die den gesamten Prozess anschaulich darstellt.
Gibt es eine Erkenntnis, in welchem Umfang Patente auch zu tatsächlicher Wertschöpfung führen? Kann man also die Zahl der Patente in Beziehung zum wirtschaftlichen Erfolg eines Landes setzen?
Studien haben gezeigt, dass Innovationen, die durch ein wirksames System von Rechten an geistigem Eigentum abgesichert sind, der Schlüssel zu Wachstum und der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sind. Laut einer Untersuchung, die wir gemeinsam mit dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) durchgeführt haben, haben Industrien, die Rechte des geistigen Eigentums intensiv nutzen, zwischen 2017 und 2019 rund 29,7 Prozent aller Arbeitsplätze in der EU geschaffen. Damit haben Branchen, die Patente, Marken oder Geschmacksmuster sowie andere geistige Eigentumsrechte überdurchschnittlich oft verwenden, mehr als 61 Millionen Menschen in der EU beschäftigt. Hinzu kommen weitere 20 Millionen Arbeitsplätze in Unternehmen, die diesen Wirtschaftszweigen Waren und Dienstleistungen zuliefern. Eine Befragung des EPA unter europäischen KMUs aus dem Jahr 2019 hat ergeben, dass ungefähr zwei Drittel der patentierten Technologien (geschützt durch Patentanmeldungen beim EPA) verwertet werden, also zum wirtschaftlichen Erfolg führen.
Patentanmeldungen können also in der Tat die Konjunktur ankurbeln: Denn innovative Unternehmen sind meist erfolgreiche Unternehmen – vor allem dann, wenn sie ihre Innovationskraft durch Patente rechtlich absichern. Man sollte aber auch bedenken, dass es mehrere Jahre dauern kann, bis zum Patent angemeldete Erfindungen tatsächlich in Form von Produkten oder in Prozessen auf den Markt kommen.