Nischenprodukte
Im Spiegelbild der Krise
Weltmarktführer verbindet, dass sie meist in einer Nische tätig sind. Dort sind sie so spezialisiert und können so hohe Qualität bieten, dass ihre Produkte oder Dienstleistungen auf der ganzen Welt nachgefragt werden. Beim Tiroler Unternehmen Plansee, das im Juni 100 Jahre alt wurde, ist das nicht anders – im Gegenteil. Eine kleinere Nische ist kaum vorstellbar: Plansee hat sich auf Produkte aus nur zwei Materialien spezialisiert: Molybdän und Wolfram. Erstaunlicherweise lässt sich aus diesen aber eine Vielzahl an Produkten und Komponenten machen – natürlich oft in Form von Legierungen mit anderen Materialien. So stellt Plansee 75.000 Produkte her – von sehr einfachen Dingen wie Drähten bis hin zu hochkomplexen Komponenten. Zur Produktpalette gehören etwa Vibrationsbauteile für Handys aber auch Komponenten, die aus hunderten Bauteilen zusammengesetzt werden, von denen ein Stück mehrere 100.000 Euro kosten kann. Für all diese Produkte werden bei Plansee Metallpulver bei hohen Temperaturen durch pressen und sintern zu festen Materialien verdichtet.
Bei einigen Produkten ist Plansee Weltmarktführer. So erzählt Karlheinz Wex, Vorstand der Plansee Group, von Komponenten für die Röntgentechnik: „Wenn Sie heute in einen Computertomographen kommen, entsteht der Röntgenstrahl, der Sie untersucht, zu 50 Prozent durch einen Bauteil von Plansee.“ Plansee habe den strategischen Anspruch, „in allen Dingen, die wir tun, weltweit die Nummer eins, zwei oder drei zu sein. Wir schaffen das heute in ungefähr 75 Prozent aller unserer Geschäfte.“ Dass das gelingt, liegt an der Nische, aber auch an der Innovationsfreude. Die Plansee Gruppe investiert etwa fünf Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung und beschäftigt in dem Bereich weltweit 262 Mitarbeiter. 36 Prozent der Umsätze machte Plansee im letzten Geschäftsjahr mit Produkten, die jünger als fünf Jahre sind.
Energie und Menschen
Schon als Plansee 1921 gegründet wurde, lag der Fokus auf Molybdän und Wolfram. Die Gründungsgeschichte geht so: Der Chemiker und Doktor der technischen Wissenschaften, Paul Schwarzkopf, entwickelte ein Verfahren zur industriellen Produktion von Glühfäden aus Wolframdraht. Schon bevor er Plansee gründete, war Schwarzkopf Partner der „Deutschen Glühfadenfabrik“ in Berlin und Mitgründer eines niederländischen Unternehmens, das Wolframdraht erzeugte. Da die Nachfrage nach Glühfaden sttig wuchs, suchte Schwarzkopf nach einem günstigeren Produktionsstandort – und stieß auf das Außerfern in Tirol, wo es am Plansee bereits ein Kraftwerk und somit reichlich Strom für die Glühfaden-Produktion gab. Karlheinz Wex: „Paul Schwarzkopf wusste, dass er für seine Fertigungen Strom braucht. Weitsichtige Leute hatten damals schon das Kraftwerk in Plansee gebaut, obwohl sie noch gar nicht genug Abnehmer für den Strom hatten.“ Neben der Energie seien die Menschen das zweite wichtige Argument für die Standortwahl gewesen. Plansee startete mit 15 Mitarbeitern.
Heute beschäftigt die Plansee Group weltweit rund 13.000 Mitarbeiter. Vom Hauptsitz in Reutte, der in unmittelbarer Nachbarschaft des Plansees liegt, werden 48 Produktionsstandorte und Vertriebsstandorte in 50 Ländern gesteuert. In Europa macht Plansee rund die Hälfte des Umsatzes, in den USA und Asien je rund 25 Prozent. Aufgrund der zukünftig stärkeren Nachfrage in Amerika und Asien werden sich diese Werte laut Wex auf etwa jeweils ein Drittel verschieben.
Karriere mit Lehre
Auch heute sind für Plansee die Menschen wichtig, hier besonders auch die Facharbeiter. Um den eigenen Bedarf zu decken, bildet Plansee schon lange Lehrlinge selbst aus und betreibt sogar eine eigene Berufsschule, die aber auch von anderen Lehrlingen aus dem Bezirk Reutte besucht werden kann. Zuletzt hat Plansee 11 Millionen Euro in ein neues Ausbildungszentrum für bis zu 240 Lehrlinge investiert, das diesen Sommer eröffnet wurde. Heuer haben 36 neue Lehrlinge ihre Lehre begonnen. Dabei hätte Plansee gerne 55 Lehrplätze vergeben. Obwohl sich 130 junge Menschen beworben haben, waren nur 36 ausreichend qualifiziert – eine Tatsache, die Karlheinz Wex nachdenklich stimmt. Es habe den Bewerbern trotz Abschluss der Grundschule teilweise an Grundkompetenzen in Rechnen, Lesen und Schreiben gefehlt. Wer bei Plansee tatsächlich Fuß fasst, bleibt meistens lange. Die Fluktuation ist relativ gering. Rund sechs Prozent der Mitarbeiter am Standort Reutte pendelt auch über die Grenze, besonders häufig aus Deutschland herein. Das war besonders im ersten Lockdown ein kritisches Thema, schließlich ist Plansee in manchen Bereichen wie der Medizintechnik ein systemkritisches Unternehmen. Generell kam Plansee mit einem blauen Auge durch die Corona-Krise, die laut Wex eine der größten Krisen in der Unternehmensgeschichte war. Zwar musste das Werk in Reutte nie zusperren, aber viele Mitarbeiter wechselten ins Home Office. Auch Kurzarbeit wurde beansprucht. Die größten Herausforderungen waren laut Wex die Sicherheit der Mitarbeiter und die Lieferfähigkeit gegenüber den Kunden. Die schwache Nachfrage aus Schlüsselindustrien führte im Geschäftsjahr 2020/21 zu einem Umsatzrückgang um sechs Prozent. Positiv war dagegen die Übernahme der Hartmetall-Tochter Ceratizit, an der Plansee zuvor zur Hälfte beteiligt war. Wie prinzipiell in Krisen habe Plansee auch in der Corona-Pandemie den Spiegel vorgehalten bekommen, so Vorstand Wex: „Was Sie immer aus einer Krise mitnehmen, ist, wie Sie auf ihr Umfeld, also auf Lieferanten, Kunden und Mitarbeiter wirken.“ Wex verweist besonders auf die extreme Loyalität der Mitarbeiter in dieser Krise: „Das Spiegelbild, das wir vorgehalten bekommen haben, war ein sehr schönes.“