Austrian Audio
Phoenix aus der Asche
Eigentlich hätte es Martin Seidl egal sein können, was aus seinem ehemaligen Arbeitgeber wird. Er hätte sich in Ruhe aus dem fernen Manchester, wo er inzwischen für einen Konkurrenten arbeitete, anschauen können, wie der Kopfhörer- und Mikrofon-Produzent AKG in Wien für immer seine Türen schließt. Weil es ihm aber ganz und gar nicht egal war und er viel Leidenschaft für sein Business und eine gehörige Portion Durchhaltevermögen mitbrachte, gründete er ein Nachfolgeunternehmen. Heuer kann der Gründer und CEO das sechsjährige Jubiläum von Austrian Audio feiern.
Steiniger Weg
Das Unternehmen, das Kopfhörer und Mikrofone für Musikschaffende und andere Audio-Profis in Wien herstellt, begann 2017 mit 22 ehemaligen AKG-Mitarbeitenden. Heute hat Austrian Audio ein 55-köpfiges Team und startet gerade auf dem Weltmarkt durch. So kam die Technik „made in Austria“ etwa beim Neujahrskonzert und bei mehreren Grammy-Übertragungen zum Einsatz. Und sogar Ikonen wie die Rolling Stones setzen auf die Wiener Audio-Technik. Bis hierhin war es allerdings ein anstrengender und mitunter steiniger Weg.
Die Gründungsgeschichte von Austrian Audio hat etwas vom Phönix, der aus der Asche stieg. Martin Seidl erinnert sich: „Als ich 2016 in Manchester saß und angekündigt wurde, dass AKG geschlossen wird, kam bei mir Traurigkeit und Sentimentalität auf. Schließlich war AKG einmal Weltmarktführer bei Studio-Kopfhörern.“ AKG wurde 1947 als Akustische und Kino-Geräte GmbH in Wien gegründet. Seidl kam ein gutes halbes Jahrhundert später zum Unternehmen, als es schon zur Harman-Gruppe gehörte, aber nach wie vor in Wien saß und produzierte. Um die Bedeutung von AKG klarzumachen, verweist Seidl auf das Video „We are the World“, für das zahlreiche US-Stars 1985 zusammenkamen: „Schauen Sie sich das Video an: von Tina Turner bis Quincy Jones – sie tragen alle AKG-Kopfhörer.“
Start-up mit Jahrhunderten Erfahrung
Seidl, der in der Branche sehr gut vernetzt war, suchte und fand Investoren und lud im März 2017 alle AKG-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zu einem Treffen ein. Die waren noch bei AKG angestellt, denn zugesperrt wurde erst Ende Juni. Seidl präsentierte die Idee der Neugründung: „Ich habe ihnen gesagt: Ich kann euch nicht garantieren, ob es uns in fünf Jahren noch gibt. Aber für zwei Jahre hab ich die Kohle.“ Jene 22 Personen, die ihm zu Austrian Audio folgten, waren keinen Tag arbeitslos: Sie fingen am Tag nach der AKG-Schließung quasi in einem Start-up an, das allerdings, wie Seidl gerne sagt, auf Wissen, Tradition und Fähigkeiten aus zusammengezählt 350 Jahren Erfahrung aufbauen konnte.
Durststrecke
Es gab von Anfang an Hürden. Eine davon war die Tatsache, dass man trotz viel Know-hows ein neues Unternehmen von null weg aufbauen musste. Seidl: „Wir hatten die Erfahrung und die Ingenieure im Haus, die schon viele Weltklasse-Kopfhörer und -Mikrofone entwickelt hatten, aber kein Produkt.“ Da eine Produktentwicklung bis zur Serienreife zwischen 18 und 24 Monaten dauere, war klar: Die ersten zwei Jahre würde Austrian Audio kein Geld verdienen – zumindest nicht mit eigenen Produkten. Die Lösung: Es wurde eine zweite Division im Unternehmen gegründet, die für andere Hi-Fi-Marken Kopfhörer entwickelte. Seidl: „So konnten wir ab Tag eins Umsatz machen, um die Entwicklung der eigenen Produkte zu finanzieren.“
Ich wünsche mir einfach mal drei Jahre ohne Katastrophen, ohne Pandemie, ohne Krieg.
In den Himmel gelobt
2019 war es so weit: Austrian Audio präsentierte die ersten Produkte auf der Frankfurter Musikmesse. Daran erinnert sich Seidl gern: „Unsere Produkte wurden in den Himmel gelobt. In den Reviews wurde von den innovativsten Mikrofonen der letzten 20 Jahre geschrieben.“ Auch der Verkauf ging sehr gut los – bis das Leben die nächste große Prüfung für Seidl und sein hochqualifiziertes Team schrieb: „Sechs Monate nach Verkaufsstart kam die Pandemie und man hat den gesamten Kulturmarkt zugesperrt.“ Es folgten Kurzarbeit und eine ziemliche Durststrecke. Um Corona-Förderungen fiel man um, weil die nur jene Unternehmen bekamen, die weniger Umsatz als im Jahr davor hatten. Die zwei Corona-Jahre fehlen laut Martin Seidl umsatzmäßig im Businessplan, aber man entwickelte weitere Produkte und konnte mit Beginn der ersten Tourneen 2022 endlich richtig loslegen. Immer mehr Künstlerinnen und Künstler, darunter Größen wie Lady Gaga und Herbert Grönemeyer, setzen auf Technik von Austrian Audio.
Erfolg am Weltmarkt
Mittlerweile gehören 20 Produkte zum Produktportfolio, die hauptsächlich über den Musikalienfachhandel in derzeit 64 Ländern vertrieben werden. Der Schwerpunkt liegt auf dem DACH-Raum, wobei der Heimmarkt Österreich laut Martin Seidl nur zwei bis drei Prozent vom Umsatz einbringt. Europa ist auch sehr wichtig – man ist in allen europäischen Ländern über Distributoren vertreten. Ein stark wachsender Markt sind die USA. Und auch in Asien wird Audiotechnik aus Österreich immer stärker nachgefragt, insbesondere in Japan und Südkorea. Auch in China, Malaysia, Singapur und Thailand, Australien und Neuseeland bekommt man Kopfhörer und Mikrofone von Austrian Audio. Seidl schätzt grob, dass Europa 40 und die USA 30 Prozent des Umsatzes ausmachen. Einen weißen Fleck gibt es noch in Südamerika, wo sich der Import unter anderem durch hohe Zölle etwas schwierig gestaltet.
Hochgesteckte Ziele
Mikrofone und Kopfhörer bringen etwa gleich viel Umsatz. Zahlenmäßig werden mehr Kopfhörer verkauft, weil sie preislich günstiger sind. Und obwohl Austrian Audio den Fokus im Profi-Bereich beibehalten und nicht neun Milliarden Menschen zu Kunden machen will, bietet man neuerdings einzelne Produkte für High-End-Consumer an, die Wert auf hochwertige Materialien legen und Musik in besonders hoher Audio-Qualität hören wollen. Einige Kopfhörer-Modelle werden bei Media Markt verkauft – preislich liegen sie zwischen 130 und 380 Euro.
Es werde auch etwa gleich viel in die Entwicklung der beiden Sparten gesteckt. Generell liegt ein großer Schwerpunkt auf F&E: Von den 55 Mitarbeitenden sind 33 Ingenieure. Jetzt, wo man schon eine stattliche Anzahl an Produkten vertreibt, will man aber keine weiteren Entwickler aufnehmen, sondern vor allem Marketing und Sales verstärken. Martin Seidl verfolgt ein klares Ziel: „Ich möchte Austrian Audio im Pro-Audio-Bereich, also für Musikschaffende und Recording Artists, in den nächsten fünf Jahren unter den Top-vier-Marken weltweit sehen.“ Und Seidl hat noch einen Wunsch ans Christkind, dem sich bestimmt viele Unternehmen anschließen würden: „Ich wünsche mir einfach mal drei Jahre ohne Katastrophen, ohne Pandemie, ohne Krieg, ohne Nichtverfügbarkeit von elektronischen Komponenten, ohne Inflation jenseits der zehn Prozent. Dann wäre es einfacher.“
Kluge Köpfe, flinke Hände
Ihre Köpfe und Hände machten es möglich: das Team von Austrian Audio mit Martin Seidl (1. Reihe, Mitte).