„Wir brauchen ein Regelwerk, das gegen Verantwortungslosigkeit vorgeht“

Verantwortung: Wie Fairtrade-Geschäftsführer Hartwig Kirner die Welt ein bisschen besser machen will und warum er wenig Chancen auf einen echten Systemwechsel sieht. 

Als Fairtrade Geschäftsführer setzen sich dafür ein, dass sich Österreichs Konsumenten gegenüber Produzenten von Produkten wie Bananen oder Kaffee verantwortungsvoll verhalten. Wie viel Verantwortung kann man denn heute von den Menschen verlangen?
Jeder erwachsene Mensch trägt Verantwortung für sich selbst, seine Familie, aber auch für die Gesellschaft. Ohne Verantwortungsbewusstsein würde sie nicht zusammenhalten. Ich bin im Jahr der Mondlandung geboren, als der Mensch den Blick zum ersten Mal von außen auf die Erde gerichtet hat. In meiner Kindheit war das Bild von diesem Planeten, den wir alleine in weiter Ferne bewohnen, sehr präsent – und damit auch die Überzeugung, dass wir aufeinander achten müssen. Ich bin überzeugt davon, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wir dürfen unser Verantwortungsgefühl nur nicht unterdrücken.

Woran liegt es, dass wir es beim Konsum so gerne beiseiteschieben?
Vermutlich daran, dass man die Verantwortung in der großen Masse nicht so stark spürt; dass man glaubt, nichts ausrichten zu können. Verantwortung ist aber universell, man trägt sie nicht nur für das unmittelbare Umfeld, sondern auch für das Wohl der Menschheit. Die Vorstellung ist natürlich manchen Menschen zu viel. Aber es sind halt viele Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen.

Wie überzeugen Sie Menschen mit sehr geringem Einkommen davon, teurere Fairtrade-Produkte zu kaufen?
Es ist in Österreich eine kleine Gruppe, die bei Nahrungsmitteln auf jeden Cent schauen muss, und für die habe ich Verständnis. Ein Großteil kann sich aber ethische Produkte leisten. Zudem heißt fair produziert nicht unbedingt teurer. Es geht außerdem nicht nur um Finanzielles, sondern auch um die Art, wie wir konsumieren. Darum, dass man nur kauft, was man braucht, dass man das Licht abdreht – das kann jeder machen.

Wie sieht für Sie das Idealbild einer fairen Welt aus?
Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch gleiche Startchancen bekommt. Egal ob reich oder arm, egal wo auf der Welt: Jedes Kind sollte die gleichen Möglichkeiten haben, glücklich zu werden. Ein zufriedenes Leben zu führen, müsste doch für alle Menschen möglich sein.

Was tun Sie persönlich, damit es ein bisschen fairer zugeht?
Ich versuche nach dem Kategorischen Imperativ zu leben und andere so zu behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte. Wenn das jeder tun würde, hätten wir die Welt, die wir uns alle wünschen.

Sie waren vor Ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer bei Fairtrade bei P&G, Coca-Cola und HP tätig. Wie hat das Ihre Vorstellung von verantwortungsvollem Unternehmertum geprägt?
Ich habe gesehen, dass auch in Konzernen Menschen arbeiten, denen Werte am Herzen liegen. Nur sind die großen Konzerne aufgrund ihrer Quartalsdenke diversen Zwängen ausgesetzt. Ihre kurzfristige Herangehensweise ist leider ein globales Problem und auch ein Desaster für die Unternehmen selbst.

Wünschen Sie sich ein stärkeres politisches Regelwerk, um dem entgegenzuwirken, oder reichen Selbstverpflichtungen?
Das Gesetz ist nicht zum Schutz der Stärkeren und der Unehrlichen da, sondern für die Schwächeren und Ehrlichen. Wenn ein Unternehmen ehrlich agiert, läuft es Gefahr, von Konkurrenten, die mit unlauteren Mitteln agieren, unterlaufen zu werden. Ja, CSR ist gut, aber wir brauchen auch ein Regelwerk, das gegen Verantwortungslosigkeit vorgeht.

Sehen Sie eine realistische Chance auf so einen Systemwechsel?
Wenn ich bedenke, was seit 2008 passiert ist – nämlich gar nichts –, zweifle ich sehr stark daran. Wir wissen alle, dass wir den Finanzmarkt regeln müssen, doch es passiert nichts. Dafür werden hierzulande vor allem die KMU zu Tode geregelt.

Kann der faire Handel hier als Korrektiv zumindest einen kleinen Beitrag leisten?
Er kann nicht alles Übel aus der Welt schaffen. Er kann aber dazu beitragen, die ungleiche Verteilung zu verringern. Es gibt hunderte Millionen Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, und im Gegensatz dazu gehört die Hälfte des Wohlstands weniger als einem Prozent der Menschheit. Diese ungleiche Verteilung führt zu Problemen. Wir wollen dazu beitragen, dass die Armut von Kleinbauern- und Arbeiterfamilien reduziert wird und die Einkommensschere dadurch verringert wird.

Interview: Stephan Strzyzowski

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
logo

Newsletter abonnieren

Sichern Sie sich Ihren Wissensvorsprung vor allen anderen in der Branche und bleiben Sie mit unserem Newsletter bestens informiert.


Zum Newsletter