„Wenn man nur wüsste, was man weiß“

Redaktion Die Wirtschaft
07.02.2014

Wer unternehmerisch dranbleiben will, muss das Wissen aller Mitarbeiter anzapfen und verfügbar machen. Wie das geht? Professor Josef Herget, Vorstand des Hoch-schulverbandes für Informationswissenschaft, hat sein Wissen mit uns geteilt.

Interview: Stephan Strzyzowski

Welchen Stellenwert hat Wissen beim heimischen Mittelstand?
Die Bedeutung von Wissen ist den KMU bewusst. Allerdings bleibt es häufig bei Lippenbekenntnissen und Absichtserklärungen. Oft fehlen konkrete Strategien und Vorgehensweisen, die die Frage beantworten, was sich aus der attestierten Bedeutung von Wissen nun für das eigene Unternehmen ergibt. Ein systematischer Handlungsbedarf wird nicht bestimmt, und eine stetige Optimierung wird demzufolge ebenso wenig angegangen. Welches Wissen ist für uns wichtig, welches ist verfügbar, welches fehlt? Das sind grundsätzliche Fragen, auf die KMU eine Antwort haben sollten.
 
Wodurch geht in Unternehmen am häufigsten Wissen verloren?
Das Problem ist meistens, dass den Unternehmen im Vorfeld gar nicht bewusst wird, wenn Wissen verlorengeht. Häufig wird eine Lücke nämlich erst festgestellt, wenn es bereits zu spät ist. Den klassischen Wissensverlust erleiden die Unternehmen durch Ausscheiden von Mitarbeitern, bei Krankheiten oder dem Wegfall bisheriger Kooperationspartner.

Aber auch das Fehlen einer Systematik und Ordnung im Wissens-dschungel kann sich ab einer bestimmten Größenordnung negativ auswirken. So kann auch das Wachstum von Unternehmen, das Gründen neuer Abteilungen oder Niederlassungen auf einmal zu Wissensverlusten führen, da die bisherigen Formen, Wissen auszutauschen, nicht mehr funktionieren. Der klassische Ausspruch, „Wenn unser Unternehmen nur wüsste, was unser Unternehmen weiß“ hat nach wie vor Gültigkeit. Das Rad wird häufig immer wieder neu erfunden – und für diese Doppelarbeit werden wertvolle Ressourcen aufgewendet.
 
Wie wirkt sich dieser Verlust von Wissen abgesehen von leeren Kilometern aus?
Das ist sehr unterschiedlich, je nach Wissen und dessen Bedeutung für das Unternehmen. Wissen entfaltet seine Bedeutung immer im Bedarfsfall, dann ist es aber häufig auch zeitkritisch. Fehlendes Wissensmanagement kann also schleichend die Wettbewerbsfähigkeit bedrohen, es schmerzt aber nur im aktuellen Bedarfsfall: wenn zum Beispiel Erfahrungen über Vorgehensweisen, Problemlösungen etc. nicht lokalisierbar sind oder Ansprechpartner mit entsprechender Expertise nicht identifiziert werden können. Dieser Umstand bewirkt natürlich auch, dass ein Wissensmanagement sich häufig in seiner Wirkung nur schwer messen lässt.
 
Was können nun Unternehmer konkret tun, um das zu verhindern?
Das Wissensmanagement stellt hier mittlerweile zahlreiche erprobte Methoden und Instrumente zur Verfügung. Eines der wichtigsten Instrumente sind immer noch unternehmensweite Gelbe Seiten, die Auskunft darüber geben können, über welche Kompetenzen die Mitarbeiter verfügen, wer an welchen Projekten gearbeitet hat, welche Zusatzkenntnisse, wie zum Beispiel Fremdsprachen, vorliegen und so weiter. Moderne Gelbe Seiten orientieren sich dabei an dem, was man von sozialen Netzwerken wie Facebook gewohnt ist. Dazu kommen auch die schnelle Kommunikation und der Informationsaustausch, der unabhängig von E-Mail stattfindet.

Es entsteht also ein Kommunika-tionsraum, in dem die Beteiligten gemeinsam Wissen und Informationen teilen. Aber auch das systematische Debriefing nach einem Projekt bleibt wichtig: „Was würden wir bei dem Projekt anders machen, als bei dieser Durchführung?“ Also was sind die Lessons Learned, die in der Zukunft betrachtet werden sollten? Zunehmend ist es aber auch wichtig, in einer Art Wiki wettbewerbsrelevantes Wissen und Kernkompetenzen des Unternehmens für den schnellen Zugriff aufzubereiten und den Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen. Gerade die Web-2.0- Entwicklung hat hier viele intuitiv nutzbare Instrumente bereitgestellt. Eine unternehmensweite Architektur der Wissensaktivitäten mit einer permanenten Fortentwicklung sollte allerdings parallel den Wissensprozess managen.
 
Wer soll sich im Idealfall um diesen Prozess kümmern?
Nur die größeren Unternehmen, hier sprechen wir also von mehreren hundert Mitarbeitern, werden sich einen eigenen Chief Knowledge Officer leisten wollen. Häufig bleibt deshalb der CIO der zentrale Ansprechpartner. Aber auch die sogenannten „major user“, also Abteilungen, die den höchsten Bedarf haben, übernehmen oft die Federführung. Das kann beispielsweise die Forschungsabteilung sein oder bei einem stark marketingorientierten Konzern auch das Marketing oder der Vertrieb. Bei kleineren Unternehmen wird der Geschäftsführer die zentrale Figur sein, die hinter dem Projekt steht und es vorantreiben sollte.
 
Was kann abseits der webbasierten Lösungen getan werden?
Die persönliche Kommunikation, der persönliche Wissensaustausch, stellt eines der wichtigsten Instrumente dar. Mentoringprogramme – also ältere und erfahrene Mitarbeiter unterstützen jüngere Mitarbeiter, oder Mitarbeiter, die vor dem Ausscheiden stehen, arbeiten systematisch die Nachfolger ein –, Wissenstage, die neue technologische oder Markt-Entwicklungen vorstellen und zur Diskussion bringen, sind ebenso häufig anzutreffen. Aber auch neue Formate, bei denen zum Beispiel Mitarbeiter zur definierten Uhrzeit in einer lockeren Umgebung ihre neuen Projekte und offene Fragestellungen zur Diskussion stellen, sind sehr wichtig. Jedes Unternehmen sollte hier durchaus experimentieren: Was passt zu uns, was hat sich bewährt, was nicht? Auch dies sollte ein Optimierungsprozess sein, der Innovationen ermöglicht.

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