Selbstbewusst, respektlos, faul?
Der Generation Y polarisiert. Manche sehen sie als faule Memmen, andere schwärmen von ihrem Gemeinschaftssinn. Ob der Begriff überhaupt zulässig ist und wie man als Unternehmer mit den Youngsters umgeht, haben Karin Schmitzer, HR-Leiterin bei Anecon, der Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier, der Personalexperte Peter Pendl sowie Anecon-Mitarbeiter Stefan Gwihs, als Vertreter dieser Generation, diskutiert.


Interview:Stephan Strzyzowski
Wer heute zwischen 20 und 30 Jahre alt ist, gehört zur Generation Y. Was sie eint, ist die Forderung nach einem Job, der Spaß macht, einem angemessenen Gehalt und ausreichend Freizeit. Eine Beobachtung, die Sie bestätigen können?
Heinzlmaier: Ich glaube ja, dass dieser Begriff kompletter Unsinn ist, der von Soziologen erfunden wurde. Hier wird nämlich lediglich ein kleiner Teil einer Generation betrachtet, der sein Leben in den Dienst des Ehrgeizes stellt und eine hohe Affinität zur digitalen Welt hat.
Und was macht diese Menschen aus?
Heinzlmaier: Dass sie unmoralisch sind! Sie sind vorwiegend an materiellen Werten interessiert. Es sind Menschen, die Schach spielen, um damit reich zu werden, und nicht, weil sie Schach spielen wollen. Sie sind existenziell indifferent. Für sie hat das Leben keinen tieferen Sinn, sie haben aber auch kein Problem damit. Sie leben von einem Tag zum anderen und definieren sich darüber, wie gut sie sich in vorhandene Netze und Strukturen einbringen können. Das sind hochgradig entfremdete Individuen, die aber von ihrer eigenen Entfremdung nicht einmal verstört sind.
Herr Gwihs, Sie gehören dieser Generation an. Sind Sie ein hochgradig entfremdetes Individuum?
Gwihs: Offensichtlich (lacht)! Na ja, das meiste davon trifft schon für viele zu. Unzählige Menschen definieren sich heute zwar über ihre aktuelle Tätigkeit, wären aber auch genauso glücklich, wenn sie etwas anderes tun würden. Ich könnte mir allerdings nicht vorstellen, woanders als in der IT zu arbeiten. Ich bin nur so glücklich, wie ich aktuell
lebe.
Heinzlmaier: Was der Gesellschaft heute fehlt, ist ein moralischer Minimalkonsens. Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die nur dann moralisch handeln, wenn sie unter Beobachtung stehen. Das ist der neoliberale Wettbewerbstyp, der alles tut, um an sein Ziel zu kommen. Das ist es, was man unter Ökonomisierung der Gesellschaft versteht. Der Markt kennt keine Moral. Und da sich der Mensch nach dem Markt orientiert, handelt auch er unmoralisch.
Schmitzer: Diesen Umstand beschreibt auch der Begriff der „Generation Maybe“, die nicht weiß, wofür sie stehen und kämpfen soll. Was die Generation Y sicher ausmacht, ist trotz alledem ein großes Selbstbewusstsein. Sie überlegen sich sehr genau, was sie bereit sind zu geben und was sie im Gegenzug erwarten. Sie wollen ernst genommen werden, auch wenn sie vielleicht noch sehr jung sind.
Pendl: Der Begriff ist insgesamt künstlich, doch er zeigt einen Trend auf und hat deshalb seine Berechtigung. Zwei Dinge haben diese Genera-
tion geprägt: das Internet und dass sie mehrheitlich in einer geschützten Umgebung aufgewachsen ist. Das hat ihre Wünsche und Bedürfnisse beeinflusst. Man ist jetzt zum Beispiel gewohnt, dass man sofort Feedback bekommt und dass Wissen verfügbar ist.
Schmitzer: Dass die Jungen viel stärker Feedback erwarten, ist mir auch aufgefallen. Immer häufiger werden auch die Vorgesetzten auf gleicher Ebene wahrgenommen. Respekt leiten jüngere Mitarbeiter nicht mehr automatisch aus der Hierarchie ab.
Pendl: Als Führungskraft erwirbt man sich heute Respekt, indem man Feedback gibt. Man muss fachlich und persönlich auf den Einzelnen eingehen. Wir leben, um zu arbeiten, wir wollen uns etwas schaffen und müssen dafür fleißig sein: Das gilt für die Generation Y nicht mehr. Jüngere haben großes Interesse an Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben. Vielleicht gerade, weil sie gesehen haben, dass ihre Eltern nur gehackelt haben.
Schmitzer: Das heißt aber nicht, dass sie faul sind. Sie sind sofort bereit, Mehrleistungen zu erbringen, wenn es aus ihrer Sicht erforderlich ist. Nur wollen sie auch ihre privaten Notwendigkeiten respektiert wissen. Sie sind auch sehr gut vernetzt, arbeiten gerne im Team und haben häufig neuartige Herangehensweisen an Themen. Ich finde es auch gut, dass man durch sie als Führungskraft gezwungen ist, sich partnerschaftlich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Pendl: Die Bereitschaft, sich auszutauschen, im Team zu arbeiten, zu kommunizieren und Infos beizutragen, um etwas Besseres zu schaffen, ist sicher stark gegeben. Das Gemeinsame ist wesentlich stärker. Negativ ist allerdings die mangelnde Disziplin zu bewerten. Auch Respekt kann man nicht mehr einfach einfordern und erwarten. Nur durch anschaffen kommt man nicht weiter. Es wird eine Begründung und eine Erklärung erwartet. Dafür müssen sich die Führungskräfte Zeit nehmen.
Schmitzer: Standardisierte Lösungen, die über alle Mitarbeiter gegossen werden können, gibt es einfach nicht mehr. Es geht heute immer um individuelle Lösungen.
Heinzlmaier: Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die Frauen, die täglich im Supermarkt für 800 Euro im Monat an der Kasse sitzen, auf das Feedback ihres Chefs pfeifen. Denken Sie auch an die biedere Büroangestellte, die aus Weitra mit dem Zug nach Wien fährt, um dort ihren Dienst abzuleisten. Ich glaube nicht, dass sie an einem Gemeinschaftsgefühl des Unternehmens partizipiert, das interessiert sie einen Schmarrn. Es geht immer darum, in welcher gesellschaftlichen Sphäre man sich befindet. Wir sprechen hier gerade über die 20 Prozent in der Oberschicht. Das muss schon klar sein.
Dieser Oberschicht wird unter anderem auch großes Interesse daran zugeschrieben, sich ständig weiterzubilden. Was muss man ihnen als Unternehmer bieten?
Pendl: Die Ausbildung hat heute generell eine geringere Halbwertszeit. Die Unternehmen sind deshalb stärker gefordert, ihnen Möglichkeiten anzubieten, ihr Grundwissen, aber auch die Social Skills weiterzuentwickeln. Man darf aber auch den Einzelnen nicht davon freisprechen, sich selbst weiterzuentwickeln. Das Unternehmen muss Möglichkeiten bieten, und der Einzelne muss sich engagieren.
Schmitzer: Wir haben im Unternehmen ein Entwicklungskonzept, das Standardtrainings beinhaltet. Wir bieten aber auch individuelle Weiterbildungen und eine Akademie, wo die Mitarbeiter intern ihr Wissen weitergeben. Manche schreiben auch Bücher und Fachartikel.
Gwihs: Das braucht allerdings auch viel Eigeninitiative. Die Möglichkeiten, Konferenzen zu besuchen und Artikel zu schreiben, fallen einem nicht zu, man muss sich darum kümmern und es wollen.
Heinzlmaier: Ich glaube, dass diese Generation in eine Richtung steuert, wo alles rationalisiert und in ein Nutzenkonzept eingebunden wird. Es geht darum, den ganzen Menschen in den Betrieb zu bekommen. Alles wird zu Produktivkraft gemacht und vernetzt. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, sie sind in Netze eingebunden, müssen permanent kommunizieren, man hat nie Ruhe. Kein Wunder, dass die psychischen Erkrankungen in den letzten zehn Jahren um 75 Prozent gestiegen sind. Viele davon sind Erschöpfungszustände. Das Problem wird wachsen, wenn wir weiter so agieren.
Gwihs: Ganz so negativ sehe ich das nicht. Es klingt ja, als würden alle jungen Leute aufs Burnout zusteuern. Dabei haben viele heute eher das Selbstbewusstsein, ein Projekt abzulehnen.
Schmitzer: Ich denke auch, dass sich viele Menschen gerne und freiwillig gesamtheitlich ins Unternehmen einbringen, weil sie von ihrer Tätigkeit begeistert sind. Man muss sich allerdings auch abgrenzen können, und die Führungskräfte müssen ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen.
Pendl: Ich habe unlängst den Artikel eines Neurologen gelesen, der belegt hat, dass unser Hirn gar nicht dafür vorgesehen ist, so eine rasche Taktung zu verarbeiten. Die Beschleunigung ist schneller gewachsen, als wir uns anpassen können. Die Jungen schaffen es ein wenig besser, weil sie hineingewachsen sind. Aber auch sie müssen Entschleunigung lernen. Da ist es kein Wunder, dass immer mehr von ihnen Work-Life-Balance einfordern.
Heinzlmaier: Man muss darüber nachdenken, wo die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten liegen. Ob wir das verarbeiten können. Seit 40 Jahren wissen wir, dass Multitasking nicht geht. Und trotzdem sagt man, dass die Jungen es können. Wir müssen uns von diesen Mythen befreien. In Wirklichkeit haben über zehn Prozent der 11- bis 29-Jährigen Depressionen. Das sind erschöpfte Menschen.
Die Wirtschaft: Wie gut kommen Vertreter der Generation Y mit älteren Mitarbeitern zurecht?
Pendl: Ich denke, dass es vor allem dort zu Problemen kommen kann, wo Jung und Alt in einem Konkurrenzverhältnis zusammenarbeiten. Wenn der Alte glaubt, er könnte ersetzt werden, fördert das nicht gerade die positive Wahrnehmung seiner jungen Kollegen.
Gwihs: Wenn es Konflikte gibt, dann aufgrund verschiedener Wertevorstellungen. Mitunter reagieren auch Kunden skeptischer auf Verbesserungsvorschläge von jungen Beratern und holen manchmal auch noch eine zweite Meinung eines älteren Mitarbeiters ein. Aber intern gibt es kaum Reibungen.
Heinzlmaier: Das gibt’s bei uns auch nicht. Wir sind alle froh, wenn einer kommt und etwas ändern will. Die Jungen passen sich ja oft sogar zu sehr an, anstatt den Laden aufzumischen.
Pendl: Unlängst hat man mich gefragt, ob es stimmt, dass die Jungen keinen Respekt mehr haben. Ich glaube, dass die Reifen immer gesagt haben, dass die Jungen keinen Respekt haben, weil sie in einem anderen Umfeld, mit einer anderen Denkweise und Einstellung aufgewachsen sind. Weil sie sich einbringen und verwirklichen wollen. Wenn nun dieser Austausch auf Du-und-du-Ebene, der im Internet üblich ist, ins Arbeitsleben übertragen wird, kann das rasch als Respektlosigkeit ausgelegt werden.
Heinzlmaier: Oft geraten Höflichkeitsformeln durch die Verkürzung in E-Mails und das Senden von unterwegs ins Hintertreffen. Das ist ein Phänomen der Beschleunigung. Je schneller die Prozesse werden, desto weniger Zeit hat man für die Etikette. Allerdings hat sich auch schon Aristoteles über das schlechte Benehmen der jungen Leute beschwert.