Interview
„Wo bleibt die Politik?“
Die Wirtschaft: Sie schreiben in Ihrem Buch „Feig, faul und frauenfeindlich – Was an euren Vorurteilen stimmt und was nicht“, dass Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor Diskriminierung erfahren – in der Schule, bei der Jobsuche und in Alltagssituationen. Was haben Sie selbst erlebt?
Omar Khir Alanam: Obwohl ich Diskriminierung erfahren habe, spreche ich ungern gleich am Anfang darüber. Mir ist es wichtig, nie die Perspektive des Opfers einzunehmen, und ich versuche, die Dinge positiv zu thematisieren. Und wenn ich mich kritisch äußere, bedeutet das nicht, dass ich schimpfen will, sondern dass ich ein Thema beleuchte, um daran arbeiten zu können.
Können Sie dennoch ein Beispiel nennen? Ich wurde zum Beispiel von Typen, die mich nicht kannten, bespuckt und beschimpft. Gleichzeitig durfte ich sehr viele schöne Erfahrungen machen. Ich sehe viele lächelnde Gesichter – nicht erst, seit mich die Leute wegen „Dancing Stars“ erkennen. Aber ich habe es leichter als andere Menschen mit Migrationshintergrund.
Wieso das? Wegen meiner Haare, die mich als Latino erscheinen lassen. Wenn die Leute dann erfahren, dass ich aus Syrien komme, bin ich auf einmal nicht mehr der coole Latino mit dem ansteckenden Lächeln, sondern der gefährliche Syrer, Muslim oder Araber.
Warum ist es Ihnen wichtig, über diese Themen zu sprechen? Weil es eine Tatsache ist, dass ein Mensch namens Omar viel mehr Schwierigkeiten hat, einen Job oder eine Wohnung zu finden, als ein Mensch namens Peter.
Um das zu ändern, halten Sie Vorträge und Workshops in Unternehmen, für das AMS, die Arbeiterkammer und vor allem an Schulen, FHs und Unis. Was sollte schon bei der Bildung anders laufen, damit alle Menschen in ihre Kraft kommen und eine Bereicherung für Wirtschaft und Gesellschaft werden können? Kinder mit Migrationshintergrund haben nicht die gleichen Chancen wie die anderen. Schon, wenn wir von „Brennpunktschulen“ sprechen, stempeln wir sie ab. Sie fühlen sich oft im Stich gelassen oder sehen keine Chance, sich zu entwickeln, weil sie in sozial schwachen Familien aufwachsen. In vielen sozial schwachen Familien geht es weniger um Bildung und Leistung als darum, mit 16 einen Job zu suchen, um Geld zu verdienen und mit einem BMW fahren zu können, denn das bedeutet, dass man es geschafft hat.
Sie schreiben: „Die Politik versagt dabei, gleiche und faire Chancen zu schaffen.“ Was brauchen Kinder mit Migrationshintergrund, um sich bestmöglich zu entwickeln? Sie brauchen Zugang zu einer Bildung, wo es nicht die einen und die anderen gibt, sondern alle gleich gefördert werden. Und sie brauchen Stärkung und Leute, die mit ihnen über ihre Chancen reflektieren und ihnen eine positive Sicht auf die Welt vermitteln. Diese Jugendlichen zu stärken, bedeutet auch, unsere Zukunft, Wirtschaft und unseren Wohlstand zu stärken. Manchmal haben sie das Gefühl, sie sind weniger wert als die anderen – entweder weil sie sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen oder die Eltern sie nicht ernst nehmen. Ich versuche ihnen zu vermitteln: Du bist wertvoll.
Wie funktioniert das? Ich mache Selbstreflexions-Übungen mit ihnen, wo sie lernen, ihre innere Stimme wahrzunehmen, und erkennen, was und wohin sie wollen. Es ist auch wichtig, ihnen das Gefühl von Heimat zu vermitteln. Wenn ich in eine Klasse komme und wir eine Vorstellungsrunde machen, sagen die Kinder: „Ich bin Ahmad und komme aus der Türkei“ oder „Ich bin George und komme aus Syrien“. Dabei habe ich nicht gefragt, woher sie kommen. Meist sind sie schon als Kleinkinder nach Österreich gekommen. Wenn ich gefragt werde, woher ich komme, sage ich: aus Graz, geboren in Damaskus.
Sie leben seit acht Jahren in Österreich. Hat sich die Situation seither verbessert? Nein, es gibt mehr Angst und Skepsis gegenüber dem Fremden als 2015, wo es eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gab. Das ist bei jeder Fluchtbewegung so – ich habe das auch in Damaskus erlebt. Zuerst sind das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft riesig, aber dann beginnen schnell die Probleme und man fragt sich: Was machen wir mit diesen Menschen?
Sie kritisieren, dass ein Teil der Politik die Probleme mit Migrantinnen und Migranten beiseiteschiebt und so tut, als wäre alles in Ordnung. Ich glaube, die Politik hat nicht wirklich nach Lösungen gesucht, sondern das Thema für sich ausgenutzt. Die Probleme haben sich aber nicht verbessert. Sie wurden nur teilweise angesprochen. Wir können sie nur überwinden, wenn wir sie ansprechen.
Wie wichtig sind Menschen wie Sie, die von eigenen Erfahrungen berichten und Probleme thematisieren? Meine Arbeit ist es, den Menschen die Angst zu nehmen und Aufklärung und Verständnis zu verbreiten. Mir ist das schon gelungen, aber ich bin ein Einzelkämpfer. Es braucht mehr Leute und Unterstützung. Wo bleibt die Politik? Es gibt keine nennenswerten Kapazitäten an Finanzierungsgeldern für diese wertvolle Arbeit. Schön finde ich, wie viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer sich zum Beispiel im Elternverein für die Finanzierung meines Workshops einsetzen. Der 15-jährige Omar hätte sich eine Person von außerhalb der Schule gewünscht, die mit ihm reflektiert, ihn ernst nimmt, ihm Fragen stellt und ihm hilft, an sich zu glauben.
Worum geht es bei Ihren Workshops und Vorträgen in Unternehmen? Ich stimme die Inhalte auf den Bedarf ab. Für manche Firmen mache ich interkulturelle Trainings, damit sie wirtschaftlich von Multikulti-Teams profitieren. Wir müssen offen über zwischenmenschliche Probleme sprechen, um sie zu überwinden und so mehr Bindung zu schaffen. Ich mache das auch mit meinen Küchen-Kabaretts, wo ich mit Spaß an die Themen herangehe.
Wer eine Rot-Weiß-Rot-Karte beantragt und in einem Unternehmen arbeitet, wo Englisch gesprochen wird, muss keinen Deutsch-Nachweis mehr bringen. Reicht das, um genug ausländische Arbeitskräfte anziehen? Nicht alle Menschen müssen so gut Deutsch sprechen, dass sie Bücher schreiben können. Wäre ich ein Maurer, bräuchte ich das nicht. Aber wir müssen uns auch Gedanken machen, wie wir die Kinder dieser Leute besser integrieren. Die Gesellschaft braucht sie zum Beispiel als Fachkräfte.
Menschen, die viele Sprachen sprechen, sind ein Gewinn für Unternehmen.
In Niederösterreich dürfen Schülerinnen und Schüler in der Pause nur Deutsch sprechen. Ist das die Lösung, damit wir besser zusammenleben und den Bedarf des Arbeitsmarkts decken? Wie viele Lehrkräfte und Personen bräuchtest du, um das zu kontrollieren? Und was ist die Strafe? Als die Menschen in Syrien nicht Kurdisch sprechen durften, hat das nur zu Problemen und Hass geführt. Dabei hat der Staat dort die Macht, das zu kontrollieren – da kommt die Polizei, beschimpft und sperrt dich ein. Auch wirtschaftlich ist das ein Blödsinn: Wenn ich mehrere Sprachen spreche, ist das ein Gewinn für Unternehmen. Aber natürlich brauchen wir eine gemeinsame Sprache, um uns auszutauschen, Missverständnisse zu überwinden und uns zu verbinden – und das ist Deutsch. Sprache ist das allerwichtigste Werkzeug des Friedens.
Was braucht es noch, damit mehr Menschen die Jobs machen, die wir brauchen? Es gibt etwa immer weniger Österreicher, die in der Pflege arbeiten wollen, denn diese Jobs sind schlecht bezahlt und anstrengend. Wer bleibt? Die Migrantinnen und Migranten. Auch sie machen die Arbeit irgendwann nicht mehr gerne und gut. Deshalb müssen wir nach Verbesserungen im Gesundheitssystem suchen. Dass hier nicht viel mehr getan wird, ist absurd.
Stichwort qualifizierter Zuzug: Gebildete Menschen aus dem Ausland sollen zu uns kommen. Aber vergeben wir uns nicht die meisten Chancen, wenn wir das Potenzial jener Menschen, die bereits hier sind, nicht heben? Ja, es wäre sehr sinnvoll, wenn der Staat hier investiert. Ein Mensch, der mit 25 zu uns kommt und voll in der Geben-Phase ist, jung, unbeschwert und kräftig, kann schon bald an der Arbeitswelt teilnehmen. Er ist für den Staat ein Schnäppchen im Vergleich zu einer Person, die hier geboren ist und über 150.000 Euro kostet, bis sie durch Steuern etwas zurückzahlen kann. Das System spart, selbst wenn der Mensch zwei oder drei Jahre in der sozialen Hängematte liegt, bis er Deutsch kann und eine Ausbildung hat.
Lässt sich Österreich Talente entgehen, weil Ausbildungen aus dem Ausland oft nicht anerkannt werden? Es geht darum, dass du schnell irgendwas arbeitest. Einige meiner Bekannten aus Graz hatten studiert – sie waren wirklich nicht faul, wollten arbeiten und sich entwickeln, aber ihre Studien wurden nicht anerkannt. Sie wurden vom AMS zum Fließband bei Magna geschickt. Wenn man nur irgendeinen Job macht, ist man frustriert und es entstehen Probleme. Wer einen Job von Herzen gerne macht, erbringt viel bessere Leistungen, kommt gerne in die Arbeit und ist weniger krank, wodurch das System spart. Aber es wird allgemein nicht genau hingeschaut, was ein Mensch wirklich kann.
Was meinen Sie? Viele Jugendliche sind überfordert, wenn ich sie frage, was sie werden wollen. Sie wissen nicht mal, was ein Ziel ist. Ich mache oft eine Übung mit ihnen, wo sie drei Wünsche und drei Ziele aufschreiben sollen. Kaum jemand schreibt echte Ziele hin. Wie kann ich dann ein Ziel erreichen? Das Problem besteht generell in der Gesellschaft, bei Migrantinnen und Migranten wird es nur deutlicher. Staat und Wirtschaft leiden, weil nicht die passenden Personen für die Stellen gefunden werden.
Zur Person
Omar Khir Alanam ist in Syrien geboren und 2015 nach Österreich geflohen. Seit einem Jahr ist er österreichischer Staatsbürger. Schon sein erstes Buch „Danke! Wie Österreich meine Heimat wurde“ wurde ein Bestseller – weitere Bücher folgten, darunter „Sisi, Sex und Semmelknödel – Ein Araber ergründet die österreichische Seele“. Spätestens seit seinem Auftritt bei „Dancing Stars“ im Frühjahr 2023 ist er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Er hält Keynotes und gibt Workshops in Unternehmen, für Städte, Institutionen wie das AMS sowie an Schulen, Unis und Fachhochschulen. In seinem Küchenkabarett verbindet er für Firmen, Familienfeiern oder besondere Anlässe sein Faible für Kochen mit jenem für Literatur und Humor.