„Ich bin kein Networker, der nach dem Schema-F vorgeht“

Redaktion Die Wirtschaft
14.02.2011

Warum er sich mehr Kompetenzen für Brüssel wünscht, wie es wirtschaftlich weitergeht und was er von systematischem Networking hält: Wir haben Nationalbank-Präsident Claus Raidl zum Businesslunch getroffen und nachgefragt.

Claus Raidl und Stephan Strzyzowski im Gespräch

Sie sind mit Jahreswechsel bei Böhler Uddeholm in Pension gegangen. Wenn Sie zurückblicken: Gibt es Stationen, die aus heutiger Sicht besonders prägend waren?
Ja, ich war nach dem Studium bei einem Universitätsprofessor in einem privaten Institut, wo ich sehr viel gelernt habe: Wie man arbeitet, wie man formuliert. Aber auch mein politisches Engagement war für meine berufliche Entwicklung sehr wichtig. Ich habe ja in den 70er Jahren sehr viel für Alois Mock gemacht und mich auch später wieder stärker engagiert, als ich für Bundeskanzler Schüssel Unterlagen erstellt und mit ihm über wirtschaftliche und soziale Fragen diskutiert habe.

Und beruflich?
Da war für mich das Jahr 1985 besonders prägend, als die Voest ein Sanierungsfall wurde und ich als Vorstand der ÖIAG in den Voest-Vorstand gehen musste. Den Job wollte damals niemand, erst später war er dann sehr begehrt. Dieser Zusammenbruch der Verstaatlichten Industrie, ausgelöst durch Öl-Spekulationen, war der Absturz einer Ideologie. Für viele war die Tatsache, dass sich ein Unternehmen nur dann in der Wirtschaft behaupten kann, wenn es Erträge und Gewinne erwirtschaftet, eine neue Erkenntnis. Ebenfalls sehr spannend war, als Böhler Uddeholm 1995 an die Börse gegangen ist. Menschen gegenüber zu sitzen, die einem ihr Geld anvertrauen, war für uns alle in Österreich eine neue Welt. Für unser Unternehmen war die Börseneinführung der Start für Wachstum und Erfolg.

Haben Ihnen damals auch persönliche Kontakte dabei geholfen das nötige Vertrauen zu gewinnen?
Nein, wichtig war, dass man seine Botschaft glaubwürdig und authentisch präsentiert hat. Die Investoren merken nämlich sehr schnell ob sich einer wirklich auskennt oder nicht.

Sie kommen ja selbst nicht aus dem technischen Bereich. Wie schwer ist es Ihnen denn gefallen das technische Know-how und damit die Glaubwürdigkeit aufzubauen?
Meine Kollegen nennen mich scherzhaft immer den Hobbymetallurgen. Ich habe mich schon als Kind sehr für die Stahlerzeugung interessiert, weil mein Vater bei Böhler war und ich in Kapfenberg, wo ja Böhler das größte Werk hat, aufgewachsen bin. Natürlich habe ich mich auch eingelesen und die Techniker viel gefragt – oder besser gesagt gequält.

Sie haben sich, wie erwähnt, in der Vergangenheit auch politisch engagiert. Wie sind Sie zu diesem Bereich gekommen?
Ich war immer schon politisch interessiert. Ich war unter anderem Vorsitzender der Hochschülerschaft auf der Hochschule für Welthandel und war später bei Alois Mock tätig, als er ÖAAB-Obmann war. In dieser Zeit habe ich viele Untersuchungen zu wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen erstellt. Ich habe dann aber sehr rasch erkannt, dass ich nicht Politiker werden will.

Warum nicht?
Weil ich die Abhängigkeiten in der Politik gesehen habe und auch das Arbeitsplatzrisiko, weil man in der Politik oft von nicht durchschaubaren Entscheidungen von Funktionären abhängig ist. Das ist nicht gut. Deshalb bin ich in der Privatwirtschaft geblieben. Ich habe aber immer auch eine persönliche Nähe zur Politik gehabt, auch durch Bekanntschaften. Als Wolfgang Schüssel Vizekanzler war, hat er mich gefragt, ob ich Wirtschaftsminister werden will. Das habe ich damals abgelehnt und dann ein paar Monate lang bereut. Ich glaube aber heute, dass ich in meinen verschiedenen Tätigkeiten viel gestalten konnte und so auch ein interessantes Leben gehabt habe. In der Politik kann sich die Gunst schließlich rasch ändern.

In Österreich scheint es auch für Politiker nur mäßige Chancen auf Top-Posten in der Wirtschaft nach einer politischen Karriere zu geben.
Ich bedauere das. Wir haben in Österreich keine Kultur, um einen Wechsel zwischen Wirtschaft und Politik zu fördern oder zu ermöglichen. Ich bedauere es auch, wenn manche Minister, die gut waren, nur schwer zurück in die Privatwirtschaft finden. Da ist Österreich noch nicht offen genug. Ein Minister, selbst wenn er nie in einem Unternehmen war, bringt viel mit, das große Unternehmungen brauchen können. Ich bin auch persönlich der Meinung, dass jedem ehemaligen Bundeskanzler Zeit seines Lebens ein Büro mit Sekretärin, Mitarbeitern und einem Auto zur Verfügung stehen sollte. Das ist in Westeuropa Standard. Bei uns herrscht dagegen eine Neidgesellschaft gegen Politiker.

Denken Sie nicht, dass die Missgunst zu einem Teil auch von der Politik selbst verschuldet ist?
Schauen Sie, ich finde zum Beispiel das Budget, das so kritisiert wird, nicht schlecht. Es müssen natürlich jetzt einige große Reformschritte kommen, im Pensionsbereich, in der Gesundheit, der Pflege und im Bildungssektor. Aber das Budget selbst hat eine Stabilisierung der Staatsschulden gebracht. Wir werden vielleicht schon nächstes Jahr unter die berühmte drei Prozentgrenze beim Defizit fallen. Es wurden also einige Schritte in die richtige Richtung eingeleitet. Was fehlt, sind die großen Reformen. Aber die kommen hoffentlich jetzt.

Sehen Sie konkrete Anzeichen dafür, dass diese Themen nun tatsächlich angegangen werden?
Die Regierung kann in der ganzen Föderalismusdebatte nur handeln, wenn Druck von außen kommt. Politiker bewegen sich immer nur dann, wenn sie Angst haben, Stimmen zu verlieren. Wenn wir bei der Verwaltungsreform so einen Druck erzeugen können, tut sich etwas. Ohne Anstoß von außen wird es keine Reform geben, weil zwischen der Bundespolitik und der Landespolitik innerhalb einer Partei immer eine Pattstellung ist. Die Bundespolitiker sind immer von den Landespolitikern abhängig.

Sie waren und sind im MKV und CV engagiert. Konnten Sie dort spätere Weggefährten kennen lernen?
Ich bekenne mich auch dazu. Im
Cartellverband, das waren ja damals sehr unruhige Zeiten wie im Jahre 1968, hat man erstens den Zugang zur Politik gehabt und man hat auch gelernt, sich zu prä-
sentieren, zu diskutieren, sich durchzu-setzen. Insofern war das eine ganz gute Schule. Genauso wie es für die Leute
eine gute Schule war, die beim VSSTÖ waren.

Sind Sie sonst in irgendwelchen Klubs oder Vereinigungen?
Ich bin auch Rotarier. Ich halte aber, wenn ich ehrlich sein darf, diese ganzen Networking-Geschichten für etwas übertrieben. Für mich hat das einen etwas negativen Touch.

Warum?
Ich empfinde es oft als sehr gezwungen, wenn zum Beispiel bei Kongressen steht: 11-12 Uhr Networking. So etwas ergibt sich ja eh von selbst oder eben nicht.

Bei Ihnen dürfte es sich aber ganz besonders von selbst ergeben. Eine Netzwerkanalyse hat Ihnen 12.000 relevante Wirtschaftskontakte nachgewiesen.
Ja, die Analyse kenne ich. Ich bin halt offen, ich gehe auf Menschen zu, ich rede gerne mit Menschen und ich glaube auch, dass ich zuhören kann. Wogegen ich mich aber ein wenig sträube ist, wenn das systematisiert wird. Jetzt wird genetworkt! Ich suche natürlich auch den Kontakt zu Leuten, von denen ich etwas lernen kann. Ich versuche auch Leuten zu helfen, unabhängig davon, ob sie wo dabei sind. Ich habe gelernt, wie wichtig soziale Kompetenz für jeden Menschen ist. Aber ich bin kein Networker, der nach dem Schema-F vorgeht und Leute immer mit dem Namen anspricht, jedem sagt, dass er der Größte ist und so weiter. Für standardisierte verlogene Floskeln hab ich nicht viel Verständnis, wie sie zum Beispiel in dem alten Buch „How to Win Friends and Influence People“ angeboten werden.

Auf den Spitzenplätzen der Netzwerk-Rankings finden sich meistens ÖVP nahe Herren. Ist die schwarze Reichshälfte besser vernetzt?
Nein, das glaub ich nicht. Ich glaube, dass der Generaldirektor der OMV, den ich übrigens für ausgezeichnet halte, mindestens genauso gut vernetzt ist, wie viele andere. Aber es stimmt natürlich, dass zum Beispiel Konrad und Scharinger an sich schon in einem großen Netz tätig sind – und das meine ich positiv. Raiffeisen ist eben eine wichtige Organisation. Und ich sage: Gott sei Dank, denn es ist eine österreichische Organisation.

Sie haben im Krisenjahr 2008 die Position als Präsident der Oesterreichischen Nationalbank übernommen. Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Ich habe das Krisenjahr noch als Aktiver in der Realwirtschaft erlebt. Und es war interessant zu sehen, wie die Krise von der Finanzwirtschaft ausgegangen ist. Und es war auch spannend zu sehen wie wir in der Realwirtschaft versucht haben die Krise zu lösen und wie die verschiedenen Nationalbanken, vor allem die EZB und der Finanzminister versucht haben, die Krise zu bewältigen. Was auch sehr gut gelungen ist.

Kam die Krise für Sie völlig unerwartet?
Die kam unerwartet. Bei Böhler Uddeholm ist in manchen Bereichen die Nachfrage innerhalb eines Monats um 70 Prozent eingebrochen. Da hat uns das österreichische Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik, wie zum Beispiel Kurzarbeit und so weiter sehr geholfen. Ich glaube, dass wir in Österreich – und ich kann das beurteilen weil wir in jedem europäischen Land tätig sind – die Situation sehr gut bewältigt haben. 

Denken Sie aber, dass wir wirklich etwas daraus gelernt haben? Sind wir in Zukunft vor solchen Szenarien gefeit?
Also in der Arbeitsmarktpolitik glaube ich schon. Da haben wir Instrumente, die uns helfen Krisen zu überwinden. Wir werden aber nie verhindern können, dass wir die Beschäftigung in einer Krise reduzieren müssen.

Und auf der Systemebene? Drohen uns neue Blasen?
Es werden jetzt gerade neue Regeln, neue Aufsichtsbehörden, neue Vorschriften implementiert und wir hoffen, dass wir damit eine zukünftige Krise verhindern können. Die Erfahrung sagt aber immer, dass die neue Krise wieder anders sein wird. Ich glaube jedoch, alle Akteure in der Real- und Finanzwirtschaft haben ein neues Krisenbewusstsein und wir hören auf mit dem linearen Denken und dem Glauben, dass es immer nur bergauf gehen kann. Das war eine gute Lehre aus der Krise.

Im Vorfeld von Davos haben sich diverse Wirtschafts- und Finanzexperten sehr positiv über die weltweite Wirtschafts-
entwicklung der kommenden Jahre geäußert. Was sagen Sie: Wie geht es weiter?
Ich sehe das so: Wir haben zurzeit in Österreich eine überaus positive Entwicklung. Wir profitieren von der starken Konjunktur in Deutschland. Für die nächsten 18 Monate bin ich sehr positiv. Langfris-tig haben wir einerseits den Trend, dass Länder wie China und Indien eine große Nachfrage nach Industriegütern haben werden, die uns helfen wird. Andererseits muss man die Finanzsituation der Länder in Europa sehen. Man muss auch beobachten, ob von Seiten der Verschuldung der öffentlichen Haushalte irgendwelche Krisen entstehen können. Die Frage ist auch, ob es uns gelingen wird, die neuen Regeln der Finanzwirtschaft rechtzeitig zu implementieren.

Welche Probleme sehen Sie?
Eine einheitliche Währung hat dann Bestand, wenn es eine politische Union gibt. Das wird immer wichtiger. Wir müssen mehr zu einer politischen Union in Europa werden. Das heißt, wir müssen, auch wenn das nicht alle Leute gerne hören wollen, in der Wirtschaftspolitik mehr Kompetenzen an Brüssel abgeben. Vor allem die Euroländer. Wenn es uns gelingt, innerhalb der Euroländer eine abgestimmte Wirtschaftspolitik zu erreichen, dann hab ich überhaupt keine Sorge um eine gute weitere Entwicklung. 

Welche Ziele stehen bei Ihnen für die kommenden Jahre auf der Agenda?
Also in meinem Alter setzt man sich wenige Ziele. Man überlegt, ob man das alles, was an einen herangetragen wird, tun soll oder nicht. Für die Funktion in der OeNB bin ich jetzt bis 2013 bestellt. Das mache ich mit sehr viel Freude und Engagement. Aber sonst habe ich keine großen Ambitionen mehr. Ich freue mich, wenn ich auch in Zukunft mehr Zeit für meine Enkelkinder habe. Ich will keiner dieser Pensionisten sein, die bei jeder freien Position aufzeigen. Und ich möchte auch kein Buch schreiben und dann alle meine Freunde anbetteln, es zu kaufen!

(Redaktion: Stephan Strzyzowski)

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