Hoffnungen aus Übersee
Für Obama-Biograf Christoph von Marschall bleiben die USA die Weltkonjunkturlokomotive. Ein Interview über Erwartungen an das Transatlantische Freihandelsabkommen, das amerikanische Umweltbewusstsein und über die Entzauberung des US-Präsidenten.
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Christoph von Marschall kommt gerade aus dem Frühstückssaal eines Wiener Innenstadthotels. In wenigen Stunden soll der langjährige US-Korrespondent, Buchautor und Obama-Biograf beim Kongress der AXA-Investment-Manager seine Sicht zur Weltkonjunktur kundtun. So viel vorweg: Von Marschall glaubt an die weitere Vormachtstellung der USA. Im folgenden Gespräch erklärt er, warum.
Ein Blick auf die zentralen Wirtschaftsdaten von 2013 zeigt: Die USA sind zurück als globaler Weltwirtschaftsmotor. Kann das Land die Drehzahl halten?
Der Aufschwung in den USA war seit Ausbruch der Krise eigentlich immer doppelt so groß wie in Europa. Jetzt gibt es dort ein BIP-Wachstum von 1,8 Prozent, verglichen mit gerade mal einem Prozent in der EU. Das ist aber noch immer recht wenig. Zumal die Erwartungen der Amerikaner viel größer sind. In vorangegangen Krisen erholte sich die Wirtschaft weitaus schneller. Vor allem die Arbeitslosigkeit ist mit sieben Prozent für US-Verhältnisse viel zu hoch. Das ist der Hauptgrund, warum Präsident Obama den leichten Aufschwung nicht als Erfolg verbuchen kann.
Mehr Aufschwung erhofft man sich durch die Transatlantische Freihandelszone. Dabei könnte es sein, dass ganze Sektoren wie die Landwirtschaft ausgenommen werden. Ist hier ein zahnloses Abkommen zu befürchten?
Ein Abschluss hätte sicher positiven Einfluss – sowohl auf die USA wie auch auf Europa. Wenn man Branchen rausnimmt, verliert man zwar Durchschlagskraft, aber es ändert nichts am positiven Kernwert. Dieser besteht in der Idee, nicht nur Zölle, sondern auch die nicht tarifären Handelshemmnisse abzubauen.
Bestrebungen, Handelshemmnisse zu reduzieren, gibt es schon lange. Wieso sollte es diesmal klappen?
Weil die USA und Europa nicht mehr alleine die Macht von früher haben, am globalen Markt Standards und Normen zu setzen, nach denen sich die restliche Welt richten muss. Das geht heutzutage nur mehr gemeinsam. Nehmen wir nur das Beispiel E-Mobilität. Es wäre zweifelsfrei nicht gut, wenn jeder Kontinent seinen eigenen Ladeste-cker entwickelt. Wenn sich die Europäer mit den Amerikanern einigen, werden die Chinesen oder Inder aber keinen eigenen bauen. Wir stärken dadurch unsere Vormachtstellung.
Kritiker meinen, die positiven Auswirkungen der Freihandelszone würden überschätzt, während man sich einige Probleme einhandelt.
Wenn ein Abkommen, das auf Normen und Industriestandards aufbaut, zustande kommt, verlängert das die Dominanz der westlichen Staaten auf Jahrzehnte. Das Abkommen hat eine große strategische Bedeutung. Es geht um enorme Sparpotenziale. Nehmen wir nur die Automobilindustrie: Wer heute in den USA und Europa ein Auto auf den Markt bringt, muss jeden Tank oder Blinker separat herstellen, jeden Crashtest doppelt machen. Dadurch entstehen Milliardenkosten. Für den Endverbraucher macht es aber vermutlich wenig Unterschied, ob ein Crashtest mit 50 km/h oder mit 30 mph durchgeführt wird. Solche Hürden gibt es hunderte.
Beim Arbeitsrecht oder manchen Umweltauflagen gibt es aber teilweise weit auseinanderliegende Positionen. Auch beim Konsumentenschutz: Stichwort Gentechnik. Sind diese überwindbar?
Wenn man die volkswirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellt, sind diese Fragen alle lösbar. Bei Konsumthemen könnte man etwa über weitreichende Kennzeichnungen eine Lösung finden und den Markt entscheiden lassen. Wenn die These stimmt, dass Europäer kein Gen-Food kaufen wollen, müssten wir halt auf die Produkte schreiben, dass sie gentechnisch verändert wurden. Man kann dem Endverbraucher die Möglichkeit der Entscheidung geben, ob er es kauft oder nicht kauft.
Europa fühlt sich den USA manchmal moralisch überlegen. Wir wollen unsere Wirtschaft etwa durch die Energiewende befeuern, während die USA weiter der Energieverschwender Nummer eins sind. Wie sehen uns die Amerikaner?
Es herrscht ein tiefer Kulturunterschied. Die Amerikaner schauen negativ auf den Staat und stellen das freie Unternehmertum über alles, während die Europäer stolz auf den Staat sind. Wir haben in Europa so-zial sehr befriedete Verhältnisse. Die Amerikaner sehen sich aber wirtschaftlich dynamischer. Und sie haben auch recht, man braucht nur auf Patente und Entwicklung zu schauen.
Die USA erzielen das Wachstum aber auf Kosten anderer. Nicht zuletzt zulasten von Umwelt und Klima. Sieht man das Problem in den USA nicht?
Man sieht es viel weniger als bei uns. Die USA sind ein großes Land. Eine Umweltbewegung gibt es eher in den Ballungsräumen. In ländlichen Gegenden hat man das Gefühl, dass Raum und Ressourcen unendlich vorhanden sind. Montana hat 900.000 Einwohner und ist so groß wie Deutschland. Man spürt da die negativen Auswirkungen der Industrialisierung weniger. Darum denkt man natürlich im dichtbesiedelten Europa eher über Umweltthemen nach.
Darum wird vermutlich auch Al Gore in Europa mehr geschätzt als in seiner Heimat. Ähnlich verhält es sich mittlerweile mit Präsident Barack Obama. Warum hat er bei vielen Amerikanern seinen Kredit verspielt?
Weil viele das Grundgefühl haben, dass sich in seiner Amtszeit die wirtschaftliche Lage des Volkes nicht verbessert hat. Wenn man durchrechnet, was man jetzt hat und was man vor zehn Jahren hatte, kommt oftmals nicht mehr raus. In Europa sehen wir das natürlich emotionsfreier, aber wir blenden auch viel aus. Etwa indem wir mehr auf seine Außenpolitik fokussieren. Man kann in den USA aber durchaus von einer nachhaltigen Entzauberung Obamas sprechen.
Die radikale Tea Party hat in der Republikanischen Partei erheblichen Einfluss gewonnen. Könnte es sein, dass sie gar den nächsten Präsidenten stellt?
Nein. Die Tea Party ist bereits über ihrem Zenit. Ich glaube nicht, dass es eine weitere Rechtsverschiebung geben wird. Die Republikaner müssen sich vielmehr damit auseinandersetzen, mit welchem Programm sie mehrheitsfähig sein können. Die Partei muss sich öffnen, wenn sie eine Chance haben will. Dies könnte allerdings zu internen Machtkämpfen führen. Das wiederum ist die Chance der Demokraten.
Könnte politische Destabilität die US-Wirtschaft gefährden?
Im Moment sind die USA wohl der attraktivste Wirtschaftsraum. Die Hoffnung der Weltwirtschaft liegt wieder auf Amerika. Die Selbstkorrekturkräfte in den USA waren immer da. Daran glaube ich auch diesmal. In den USA gab es beispielsweise keine linken oder rechten Diktaturen wie in Europa. Man macht dort zwar vieles falsch, aber gleicht es immer wieder aus. Das spricht für die US-Wirtschaft. Die Probleme beispielsweise in China sind größer als in Amerika, zumal es in den Staaten jedenfalls höhere Problemlösungskompetenz gibt.
Und wie steht es um Europa?
Man leistet sich den Luxus, Probleme nicht zur Kenntnis zu nehmen. Europa tut so, als wäre es eine Insel. Wir entwickeln aber nicht die gleiche Anziehungskraft wie die USA. Wenn wir wollen, dass die besten Wissenschafter zu uns kommen, müssen wir daran etwas ändern.
Zur Person
Christoph von Marschall ist Journalist und
Buchautor mit Spezialgebiet USA.
Für den „Tagesspiegel“ war er jahrelang als
US-Korrespondent in Washington tätig. Über die
Präsidentschaft Obama verfasste er drei Bücher.
Interview: Daniel Nutz