Es wird jeden Tag schwieriger

Klimawandel
26.03.2023

Vor 50 Jahren hat Prof. JØrgen Randers mit dem Buch „Die Grenzen des Wachstums“ die Fortschrittsgläubigkeit der Welt erschüttert. Passiert ist seither wenig. Woran das liegt, wie eine Steuer für die reichsten zehn Prozent Abhilfe schaffen könnte und was China besser macht als der Westen – ein Gespräch mit einem Wissenschaftler, der einfach nicht aufgeben will.
Jorgen Randers im Interview
Jorgen Randers

Sie versuchen seit mehr als 50 Jahren, die Welt in eine nachhaltigere Richtung zu bewegen. Laut vielen Wissenschaftlern ist es allerdings bereits fünf vor zwölf. Was lässt Sie hoffen, dass wir die Probleme noch rechtzeitig lösen können? Ich arbeite tatsächlich sehr hart daran, dass wir den Klimawandel in den Griff bekommen, bevor es kein Zurück mehr gibt und die Erde endgültig unbewohnbar wird. Vor 50 Jahren war ich sehr hoffnungsvoll. Ich war mir damals sicher, dass wir es vergleichsweise leicht schaffen würden. Heute bin ich diesbezüglich sehr, sehr viel pessimistischer. Es ist zwar immer noch möglich, die Welt für die Menschen der nächsten Generation lebenswert zu erhalten, es wird aber jeden Tag schwieriger. Warum ich trotzdem weitermache? Weil ich davon überzeugt bin, dass die Zukunft weniger schlecht sein wird, wenn ich es schaffe, einige Leute von meinen Ideen zu überzeugen.

Woran liegt es, dass sich der Wandel so zäh gestaltet? Der Grund liegt darin, dass die Dinge, die getan werden müssen, kurzfristig nicht rentabel sind. Deswegen versuche ich, die Gesellschaft dazu zu bringen, die notwendigen Maßnahmen zu subventionieren. Damit sie umgesetzt werden, auch wenn sie aus Anlegersicht nicht rentabel sind.

Können Sie ein Beispiel nennen? Eine der wichtigsten Maßnahmen ist zweifellos der Verzicht auf Kohle, Öl und Gas. Stattdessen müsste der reiche Teil der Welt alternative Strom- und Wärmequellen erschließen. Die entsprechenden Technologien existieren bereits. Auch Verfahren, mit denen wir CO2 bei industriellen Prozessen abscheiden und aus der Atmosphäre holen könnten, um es zu speichern, oder um daraus Wasserstoff zu machen, existieren bereits. All diese Lösungen gibt es schon seit Langem. Doch dafür müssten die Arbeitskraft und das Kapital der Unternehmen, die aktuell kohle- und gasbefeuerte Versorgungsanlagen bauen, in die Produktion von Windrädern, Solarmodulen und Carbon-Capture-and-Storage-Anlagen verschoben werden.

Unter welchen Voraussetzungen würde es sich rentieren, in solche Anlagen zu investieren? Viele Optimisten argumentieren, dass es nur mehr eine Frage der Zeit ist, bis Sonne und Wind billiger werden als Kohle und Gas. Und tatsächlich sinken die Preise. Doch die Anschaffungskosten sind immer noch viel höher als jene für die Erschließung konventioneller Energieträger. Folglich bekommen wir auch keinen echten Ansturm auf die erneuerbaren Energien.
Grüne Geldanlage scheint allerdings gerade einen echten Boom zu erleben. Trügt dieser Eindruck? Ich war selbst im Vorstand von drei Banken und höre von vielen Freunden aus dem Bankensektor, dass sich die Dinge gut entwickeln. Doch ich sehe das nicht so, denn wenn die neuen Energien wirklich profitabel wären, würde das unfassbar große Kapital der Welt umgehend darin investiert werden und wir hätten ganz schnell all die Windräder und Sonnenkollektoren, die Elektro­autos und die Wärmepumpen, die wir bräuchten.

Wir werden ganz ­massive Subventionen benötigen.

Jorgen Randers

Wenn es für die private Wirtschaft nicht attraktiv genug ist, in die Erneuerbaren zu investieren, wer soll es dann tun? Müssen alle Staaten in die Bresche springen? Wir werden ganz massive Subventionen benötigen. Es muss so viel subventioniert werden, dass die Projekte für Investoren im Vergleich zu allen anderen Optionen rentabler werden.

Woher sollen die Mittel für so umfassende Subventionen kommen? Die Zeit drängt und die entsprechenden Ausgaben müssen alle Staaten gemeinsam stemmen. Der einzige Weg, diese Subventionen zu finanzieren, besteht darin, die Steuern zu erhöhen.

Für neue Steuern werden Politiker allerdings nur sehr schwer Zustimmung bei der Mehrheit der Wähler bekommen. Deswegen bekommen wir die Subventionen auch bislang nicht. Und folglich schaffen wir auch keinen schnellen Übergang in eine grüne Ökonomie. Der Prozess erfolgt nur sehr langsam. Alle Modelle zeigen leider nur zu deutlich, was die Konsequenz dieser Verzögerung sein wird: Wir werden am Ende dieses Jahrhunderts zwei Grad mehr gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung verzeichnen. Dadurch werden die Bedingungen auf der Erde sehr unangenehm. Schon in diesem Jahrzehnt werden wir einen rapiden Anstieg von Naturkatastrophen wie Stürmen, Dürren und Überschwemmungen und damit auch einen Anstieg der sozialen Ungleichheit erleben müssen.

Diese Entwicklung trifft alle Wähler. Muss die Politik dementsprechend bessere Aufklärung betreiben? Ich sehe den einzigen gangbaren Weg, um eine politische Mehrheit für diese Steuererhöhungen zu bekommen, darin, die reichsten zehn Prozent der Welt zu besteuern. Dann sind zumindest vermutlich die restlichen 90 Prozent der Wähler dafür.

Sprechen wir hier vorwiegend über Einzelpersonen oder geht es um Unternehmen? Es geht um eine Kombination aus diesen beiden Gruppen. Ich unterscheide normalerweise zwischen Arbeitern und Eigentümern. Arbeiter sind der sehr große Teil der Bevölkerung, der im Grunde nicht spart, und seinen ganzen Verdienst für die Lebenserhaltung aufbraucht. Die Eigentümer sind der winzige Teil der Bevölkerung, vielleicht zehn Prozent, die mehr erwirtschaften, als sie verbrauchen, und enorme Vermögen ansammeln. Diese Gruppe muss deutlich höhere Steuern zahlen.

Welche Art von Steuer kann das sein? Meiner Meinung nach ist der einfachste Weg, die Körperschaftsteuer zu erhöhen. Denn die reichsten zehn Prozent der Welt besitzen im Grunde alle Unternehmen der Welt. Indem Sie also die Einkommensteuer für Körperschaften erhöhen, besteuern Sie in Wirklichkeit die Einkommenseigentümer.

Die Vermögen dieser Gruppe sind allerdings sehr mobil. Wie wahrscheinlich wäre ein globaler steuerlicher Schulterschluss? Natürlich brauchen wir dafür eine international koordinierte Anstrengung. Die OECD versucht bereits seit Längerem weltweit eine Mindestkörperschaftsteuer einzuführen, um zu verhindern, dass Unternehmen ihren Hauptsitz in Steueroasen verlegen können. Zu einer entsprechenden Einigung zu gelangen ist allerdings sehr schwierig. Doch man hat zumindest mit der Arbeit begonnen und es gibt immer mehr Menschen, die erkennen, dass dies ein absolut wünschenswertes Szenario ist.

Wie wahrscheinlich ist die zeitnahe Einführung einer solchen globalen Steuer aus Ihrer Sicht? Nun, zumindest liegt einmal der Vorschlag über mindestens 15 % Körperschaftsteuer auf dem Tisch. Mein Vorschlag wäre, dass man noch zehn Prozent dazuaddieren würde, eine sogenannte Ökosteuer, die dann zweckgebunden für Staatsausgaben oder Subventionen eingehoben wird.

Die zehn Prozent werden sich gegen solche Pläne mit Zähnen und Klauen wehren. Zudem sprechen sich die meisten Menschen selbst dann gegen neue Steuern aus, wenn sie nicht einmal von ihnen betroffen sind. Ist so ein radikaler Ansatz in Demokratien überhaupt durchsetzbar? Sie haben vollkommen recht, dass solche Steuern politisch sehr schwer zu erreichen sind. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass es möglich sein wird, in den Vereinigten Staaten eine demokratische Mehrheit für ein stärkeres Washington zu bekommen. Auch in anderen liberalen Märkten wie England oder Australien wird es sehr schwierig. Etwas einfacher könnte es in den sozialdemokratisch geprägten Ländern Nordeuropas sein. Es wird sehr, sehr schwierig. Deshalb verbringe ich im Alter von 77 Jahren meine Zeit damit, Menschen für diesen Ansatz zu gewinnen.

Mit welchen zentralen Argumenten? Die zehn Prozent der reichsten Menschen der Welt kontrollieren 50 Prozent des globalen Vermögens. Wenn sie einen vergleichsweise geringen Teil ihrer Vermögen beitragen, wäre ein rascher Wandel möglich. Zudem sind die Reichen selbst sehr besorgt über die zunehmende soziale Ungleichheit in der westlichen Welt. Sie erkennen, dass ein Fortschreiten des Klimawandels zum sozialen Zusammenbruch und damit auch zu enormen wirtschaftlichen Verwerfungen führen kann. Ihnen würde man am Ende die Schuld zuschieben. Die höhere Steuer wäre also für die zehn Prozent eine Art Versicherungsprämie, um ihre Vermögen langfristig schützen zu können.

In Europa wird aktuell sehr intensiv über Verzicht und Reduktion von CO2 gesprochen, wobei der Kontinent global für acht Prozent der Emissionen verantwortlich ist. Wäre es angesichts dieser Tatsache nicht wichtiger, auf Forschung und Innovation zu setzen und Lösungen zu entwickeln, die in Folge auch in Asien und Afrika zum Einsatz kommen können, wo das Einsparungspotenzial ungleich höher ist? Definitiv nein. Was Europa tun kann, ist umgehend aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen und der Welt zu zeigen, dass dies durchaus möglich ist. Und zwar während man einen hohen Lebensstandard genießt. Wir müssen dafür nicht zurück in die Steinzeit. Das ist meiner Meinung nach die einzige Rolle, die Europa spielen sollte. Und zum Glück sind wir auf einem Weg dahin.  

Wo erkennen Sie entsprechende Ansätze? Erstes Beispiel ist die vom Bundestag bewilligte Förderung für den Bau von Sonnen- und Windkraftwerken in Deutschland ab dem Jahr 2000. Der Staat hat zugesagt, dass er für die Errichtung im Nachhinein bezahlen würde. Am Ende jeden Jahres hat die Regierung die Kosten zusammengezählt und sie auf alle Haushalte verteilt. Damit wurde der Betrag sozusagen demokratisch verteilt. Dieser Betrag war anfangs sehr gering und hat keinen Gegenwind erzeugt. Es dauerte so ein knappes Jahrzehnt, um ausreichend Sonnen- und Windkapazitäten aufzubauen, um die Gasindustrie massiv anzukratzen. Ein anderes gutes Beispiel stammt aus Großbritannien.

Welches? In Großbritannien wurde ein Klimagesetz erlassen, das die Regierung dazu zwingt, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden von Energieunternehmen Offshore-Windkraftanlagen gebaut. Die Regierung hat diesen Unternehmen das Recht eingeräumt, im Gegenzug sehr hohe Strompreise zu verlangen. Die Errichtungskosten werden also von den zukünftigen Verbrauchern getragen. An dieser Stelle muss ich betonen, dass ich Vorstandsvorsitzender von drei Banken war, Investmentfonds aufgelegt habe und seit 15 Jahren im Nachhaltigkeitsrat von drei multinationalen Unternehmen bin. Ich weiß also, wovon ich spreche, im Gegensatz zu den meisten Leuten, die noch nie als Anlageverwalter von Kapital gearbeitet haben. Ich bin natürlich grün, aber keiner der klassischen Ökos mit langen Haaren.

Was ändert sich dadurch auf Ihre Sicht der Dinge? Mir ist völlig klar, dass im Meer schwimmende Windräder Strom produzieren, der das Zwei- bis Dreifache der konventionellen Erzeugung kostet. Mir ist auch klar, dass synthetische Kraftstoffe um ein vielfaches teurer sind. Doch umso mehr bin ich der Meinung, dass wir unsere Kapazitäten genau in diesen Bereichen einsetzen sollten, auch wenn wir mit den Erlösen aktuell nicht die Errichtungskosten decken können. Das spielt allerdings keine Rolle, da in der Zwischenzeit Arbeitsplätze für Menschen geschaffen werden und die Wirtschaft in Schwung bleibt. In Norwegen passiert das bereits. In Zukunft können die schwimmenden Plattformen einen sehr nützlichen Cashflow abwerfen, der dann verwendet werden kann, um die Rente der Menschen zu bezahlen.

Sie gehen also durchaus davon aus, dass sich die Subventionen langfristig rentieren? Ja, ein Beispiel dafür ist Tesla. In Norwegen gab es eine Förderung von 20.000 Euro pro Elektro­auto, die vor sechs Jahren eingeführt wurde. Heute sind mehr als 50 Prozent der Fahrzeuge in Norwegen E-Autos. Ohne Norwegen wäre Elon Musk gescheitert. Im Herbst 2016, als ich meinen ersten Tesla kaufte, fuhren 25 Prozent aller Teslas der Welt in den westlichen Vororten von Oslo herum. Dieses Auto war natürlich in keiner Weise konkurrenzfähig. Aber Norwegen hat die Förderung eingeführt und Elektroautos wettbewerbsfähig gemacht.

Welchen Weg geht Chinas Klimapolitik und welche Anleihen könnte der Rest der Welt daran nehmen? Der chinesische Weg lautet: Geld drucken. Diese Methode wird vielfach scharf kritisiert. Dabei war auch die EU während Covid sehr nahe daran, etwas Ähnliches zu tun. Die europäischen Staaten haben sich von der EZB Geld geliehen, das sie nicht wirklich zurückzahlen wollten, und es verwendet, um eine Rezession zu vermeiden. Das kommt dem Drucken schon sehr nahe. In China wird jedenfalls zweckgebunden Geld für unrentable Investitionen geschaffen. Die Chinesen haben in 40 Jahren das Achtfache des BIP pro Kopf für 1,4 Milliarden Menschen erreicht. Der Schlüssel dazu war eine weise Zen­tralbankpolitik und akribische Planung.

Wie geht die kommunistische Partei dabei vor? Sie macht Fünf-Jahres-Pläne, in denen umfangreiche Infrastrukturprojekte enthalten sind. Um sie zu finanzieren, lässt die Regierung einfach das nötige Geld drucken. Sie geben dieses Geld sogenannten Policy Banks, die es für die Projekte ausgibt. Nach fünf Jahren sind die Projekte umgesetzt, die Arbeiter wurden bezahlt und die Policy Bank ist bankrott. Da sie aber – genau wie die Zentralbank – der Partei gehört, ist das nicht schlimm. Das ist die chinesische Art zu versuchen, den grünen Wandel zu beschleunigen.

Wäre dieser Ansatz aus Ihrer Sicht auch bei uns denkbar? Dieser kluge Ansatz der Zentralbankpolitik ist in den meisten westlichen Gesellschaften nicht legal und daher auch nicht möglich. Darüber hinaus stößt diese Idee auf großen Widerstand von allen, die behaupten, die Wirtschaft zu verstehen. Schlicht, weil sie glauben, dass dies zu einer Inflation führen würde. Ich bin allerdings anderer Meinung.

Inwiefern? Weil das zusätzliche Geld für ein bestimmtes Projekt bestimmt wird und direkt an diejenigen gezahlt wird, die das Projekt durchführen – anstatt es an einen Investor zu bezahlen, der lediglich einen Anteil davon einbehält. Aber das ist eine eigene Diskussion.

Was ist die wichtigste zentrale Erkenntnis aus Ihrer 50-jährigen Beschäftigung mit dem Thema, die Sie mit möglichst vielen Menschen teilen möchten? Der Klimawandel kann nicht durch individuelle Maßnahmen von Bürgern und Unternehmen gelöst werden. Wir brauchen kollektiv finanzierte Förderungen für erneuerbare Energien, um die Welt zu retten.

Club of  Rome (Hrsg.) „Earth for All“
   
Buchtipp:

Club of
Rome (Hrsg.)
„Earth for All“

Buchtipp „Ein Prozent  ist genug“
Buchtipp:

Jørgen Randers,
Graeme Maxton:
„Ein Prozent
ist genug“

zur Person

Jørgen Randers gehört zu den Autoren von „Die Grenzen des Wachstums“, des Weltbestsellers des Jahres 1972, und er ist Verfasser von „2052. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre“. Er war Präsident der BI Norwegian Business School und stellvertretender Generaldirektor des WWF International.