Es gibt noch viel zu tun
Wie gut ist Österreichs Forschungslandschaft aufgestellt?
Wir haben ein sehr leistungsfähiges Innovationssystem. Bei uns arbeiten Spitzenkräfte in Spitzeninstitutionen. Zahlen der Statistik Austria belegen zudem, dass 2022 mit ca. 14,2 Milliarden Euro ein neuer Rekord bei den Forschungsausgaben aufgestellt werden wird. Das sind noch einmal um 9,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Österreich ist damit bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) global unter den Top-Ländern.
Wie viel dieser Forschung spielt sich direkt in Unternehmen ab?
Tatsächlich wird ein sehr großer Anteil von der Wirtschaft getragen. Ganz wesentlich für das Volumen ist dabei die Forschung, die durch internationale Konzerne in Österreich betrieben wird. Denken wir etwa an Konzerne wie Infineon oder Böhringer Ingelheim. Dass Unternehmen generell so intensiv auf F&E setzen, liegt an dem enormen Hebel, der sich daraus ergibt. Besonders in Krisenphasen zeigt sich, dass Unternehmen, die in Forschung investieren, die Nase vorne haben. Sie erwirtschaften höhere Umsätze, können mehr Mitarbeiter halten und schneller wachsen. Entsprechend stark versuchen wir Unternehmen auch in schwierigen Phasen dazu zu motivieren, weiterhin in F&E und Innovation zu investieren. Glücklicherweise war in den letzten Jahren von öffentlicher Seite viel Geld für entsprechende Forschungsförderung vorhanden.
Wo sehen Sie noch Aufholbedarf?
Es gibt natürlich nie genug Mittel, um alle spannenden Projekte zu fördern. Wir beklagen uns nicht, doch die Wirtschaft könnte mit mehr Fördergeld noch mehr leisten. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft hat sich, auch durch viele Förderimpulse, in den letzten Jahren deutlich verbessert. Trotzdem gibt es auch hier noch Steigerungspotenzial. Dadurch würden neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft noch schneller zur Anwendung gelangen, was den Unternehmen enorme Wettbewerbsvorteile verschaffen würde. An Österreichs 22 Universitäten entsteht unglaublich viel Wissen. Dieses Wissen muss frühzeitig in die Wirtschaft gelangen.
Wo liegt das Problem? Öffnen sich die Wissenschaftler der Wirtschaft noch zu wenig?
Internationale Benchmarks zeigen, dass die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft in Österreich gut funktioniert. Vor allem die technischen und medizinischen Unis haben bereits vielfältige Kooperationen und starke Netzwerke. Aber ganz besonders spannend sind interdisziplinare Projekte und da ist noch viel Luft nach oben. Viele Innovationen benötigen mittlerweile das Know-how unterschiedlicher Disziplinen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Denken wir an die Covid-Impfstoffe. Sie waren sensationell schnell verfügbar, weil verschiedenste Fachbereiche zusammengearbeitet haben. Doch die gesellschaftliche Akzeptanz war nicht in voller Breite vorhanden. Wir müssen in der Bevölkerung immer wieder Akzeptanz für Forschungsergebnisse schaffen und auch dafür braucht es eine breite Basis verschiedener Stakeholder. Das gilt für autonomes Fahren genauso, wie für 5G-Anwendungen oder AI.
Welche Themen sind besonders im Fokus der Förderungen?
Wichtig ist uns, dass wir alle Projekte nach ihrer Qualität beurteilen und nicht nach dem Themenbereich. Es gibt aber natürlich Schwerpunkte wie Digitalisierung, Greentec sowie Nachhaltigkeit. Diese Themen ziehen sich durch das gesamte Portfolio und werden auch sehr stark nachgefragt.
Gibt es Bereiche, in denen heimische Player in der Spitzenliga mitspielen können?
Definitiv. Wir sind zum Beispiel im Bereich Life Science sehr gut aufgestellt und fördern entsprechend. Aber auch rund um E-Mobilität, Brennstoffzellentechnologie und Lichtsysteme sind wir vorne mit dabei. Wir haben traditionell auch viele tolle Betriebe im Produktionsbereich, und sogar in der Luftfahrt und Weltraumtechnik gibt es global führende Unternehmen. Unsere großen Player in traditionellen Bereichen wie Stahl, Metall oder Chemie sind innovativer als ihre globalen Konkurrenten. Zwar nur in kleinen Bereichen, doch davon Nischen mit Hidden Champions zu besetzen, lebt ein kleines Land.
Wir erleben laufend faszinierende Persönlichkeiten, die an fantastischen Entwicklungen arbeiten.
Die FFG kommt ihren Aufgaben im Sinne ihrer Eigentümerressorts, dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) und dem Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) nach. Zudem gibt es Kooperationen mit dem Klima- und Energiefonds, der FTE-Nationalstiftung, der Europäischen Kommission und einzelnen Bundesländern. Wer entscheidet am Ende, welche Programme gefahren werden und wofür die Fördergelder ausgegeben werden?
Die Republik vergibt, vertreten durch die Ministerien, über die FFG Steuergeld. Die Ressorts setzen natürlich inhaltliche Schwerpunkte, aber nicht im luftleeren Raum. Wir liefern ihnen Daten und Analysen aus unseren Förderungsfällen, die in die künftige Programmgestaltung einfließen. Wir sind auch für europäische Forschungsmittel zuständig, die sich an großen Themen wie neue Mobilität, Nachhaltigkeit und IKT orientieren. Wir versuchen unsere nationalen Akteure so stark zu machen, dass sie international im Wettbewerb konkurrenzfähig sind. Dabei gehen wir von unserer KMU-Struktur, von den Stärkefeldern, von der europäische Landkarte aus und ermitteln im Diskurs, wo wir uns spezialisieren können. Das Klimaministerium möchte etwa die Transformation der Wirtschaft und wir sagen mit unserem Know-how wie es klappen kann und schlagen einen realistischen Weg vor.
Wie gut werden die Instrumente von kleineren und mittleren Unternehmen genutzt?
Oft sind in den Kooperationsprojekten KMU mit Industrie und Wissenschaft vereint. 60 Prozent der Fördermittel gehen an die Wirtschaft und damit auch an den Mittelstand. Der Rest geht durch Kooperationen an die Wissenschaft.
Was hebelt ein Euro Steuergeld, der in Forschungsförderung fließt?
Ein Euro Förderung sorgt für zehn Euro an zusätzlichen Umsätzen und Lizenzerlösen.
Wie spielen Innovation und Forschung zusammen? Muss es immer gleich ein technisches Thema sein?
Neben klassischen, technischen Themen wird das nicht-technologische Innovationsfeld im Zuge der Digitalisierung immer stärker. Wir wollen natürlich auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, von Vertriebsinnovationen und Geschäftsinnovation fördern. Es gibt auch ein eigenes Förderpaket, das nicht-technologische Innovationen fördert. Wesentlich ist dabei, dass es sich um Entwicklungen handeln muss, die für den Markt etwas Neues sind - nicht nur für das einzelne Unternehmen.
Welche Rolle spielt die internationale Vernetzung heute, um erfolgreich forschen und innovieren zu können?
Viele der Unternehmen, deren Projekte wir begleiten, sind international tätig. Es ist ihr Daily Business zu schauen, wer wo was macht. Der Ideenaustausch, das Finden von Partnern ist ganz wesentlich. Die Industrie schafft das oft besser selber. Für den Mittelstand ist es dagegen besonders wichtig Unterstützung beim Peer Learning zu erhalten, um zu erfahren, wer was macht und wie sich neue Technologien einsetzen lassen. Für viele Startups, die sich gleich international aufstellen, ist das Verständnis für die Bedürfnisse und Eigenheiten anderer Märkte noch wichtiger. Das europäische Format Horizon Europe bringt darum Unternehmen gezielt in Kooperation mit anderen Partnern in Europa.
Von Unternehmen wird ein enormer Mangel von Fachkräften beklagt. Was kann getan werden, um mehr Frauen für F&E und Technik zu begeistern?
Wir haben aktuell 83.ooo Beschäftige in F&E und nur 24% sind Frauen. In der Wirtschaft sind es überhaupt nur 16%. Wir brauchen dringend mehr Frauen, die sich für technische, naturwissenschaftliche und digitale Themen interessieren. Ich hoffe, dass jetzt ein neuer Spirit entstehen kann, da Themen wie der Klimawandel eine hohe gesellschaftliche Relevanz genießen. Von ihnen könnten sich mehr Frauen angesprochen fühlen. Ich glaube, dass man auch in den Schulen vieles ändern müsste. Ein Ausbau von Ganztagsschulen wäre wichtig, um Frauen vom psychologischen Druck zu entlasten ihre Kinder zu Hause betreuen zu müssen. In Frankreich und in nordischen Ländern geben viele Frauen ihre Kindern früher in die Betreuung. Auch, weil die Betreuung sehr gut ist. Auf der anderen Seite ist das frühzeitige in Kontaktkommen mit Naturwissenschaften ganz wichtig. Wir müssen vermitteln, dass Technik spannend ist, weil uns sonst die Workforce fehlt.
Wo orten Sie für Frauen in der Technik Barrieren?
Etwa bei den Auswahlprozessen. Da würde es oft helfen die Jury anders zu besetzen, die Lebensläufe anders zu lesen und es zum Beispiel anders zu bewerten, wenn es eine längere Auszeit wegen Mutterschutz gegeben hat. Dann ist die Liste im CV natürlich nicht so lang wie bei männlichen Bewerbern. Solche formalen Dinge muss man stärker berücksichtigen. Barrieren liegen auch noch immer im Bereich der Netzwerke, die häufig von Männern dominiert werden. Frauen haben oft einfach nicht die Zeit sich einzubringen. Es gibt also noch viel zu tun.
Was ist Ihr Rat an Frauen, um in „Männer-Domänen“ Karriere zu machen?
Man darf sich nicht abschrecken lassen, und muss ein gewisses Selbstbewusstsein entwickeln. Man muss sich in der Sache gut vorbereiten und wissen wovon man spricht, um sich durchsetzen zu können. Und man sollte auch bei Kleinigkeiten für seine Interessen eintreten. Kann man am Freitagnachmittag nicht bei einem Meeting dabei sein, sollte man einen anderen Termin einfordern. Frauen müssen den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen.
Ihr persönliches Erfolgsgeheimnis?
Ohne Begeisterung, Engagement und Fleiß geht es nicht. Man muss sich schon reinhauen. Von selbst passiert gar nichts. Und man darf sich nicht von Widerständen abschrecken lassen.
Gibt es aktuell ein Projekt, das Sie ganz besonders fasziniert?
Ich muss eine gewisse Distanz zu allen Unternehmen wahren, was nicht immer einfach ist, da wir wirklich tolle Ideen und Projekte sehen. Die Gespräche mit Wissenschaftlern, Unternehmen und Gründern sind extrem spannend. Wir erleben laufend faszinierende Persönlichkeiten, die an fantastischen Entwicklungen arbeiten. Ein Beispiel ist Sepp Hochreiter, der an Künstlicher Intelligenz arbeitet und weltweit ganz vorne mit dabei ist. Wenn er erzählt, an welchen Themen er dran sind, kommt man richtig ins Staunen. Aber auch in der Medizin und Chemie entwickeln sich bahnbrechende Dinge, die uns weiterbringen werden. Im Bereich der Quantentechnik haben wir ebenfalls ganz tolle Leute. Die Frage wird sein, welche Anwendungsbereiche sich in der Wirtschaft finden, um die Wertschöpfung am Standort zu heben.
Gibt es eine konkrete Entwicklung, die schon bald ein echter Game-Changer werden könnte?
Ich tippe auf Quantencomputing. Wenn die Stabilisierung der Qubits über eine Ionenfalle oder ähnliches gelingt und wir einen universell einsetzbaren Quantencomputer entwickeln, wäre das ein echter Gamechanger.
Zur Person
Henrietta Egerth absolvierte das Studium der Handelswissenschaften an der Universität Linz und arbeitete danach einige Jahre in Brüssel. Zurück in Wien war sie für die Industriellenvereinigung tätig, ehe sie im Jahr 2000 in das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit wechselte, wo sie für Wirtschaftsförderungen sowie Forschung und Entwicklung zuständig war. Seit September 2004 ist sie Geschäftsführerin der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Egerth ist Mitglied des Wissenschafts- und Forschungsrates (Stmk., OÖ, Sbg.) und darüber hinaus in diversen Kuratorien und Aufsichtsräten vertreten, wie z.B. im Institut für Höhere Studien (IHS), der Universität Innsbruck und seit 2019 Mitglied im Aufsichtsrat der Erste Group Bank AG.