Dranbleiben

Redaktion Die Wirtschaft
07.02.2014

Wer nicht die Zeichen der Zeit erkennt und aufhört, laufend zu innovieren, ist dem Untergang geweiht. Zehn Anregungen für den unternehmerischen Überlebenskampf.

Text: Daniel Nutz

1. Innovativ sein

Astronomisch gesehen befinden wir uns in einer Entschleunigung. Der Mond ist verantwortlich, dass sich die Erde immer langsamer dreht, um Bruchteile einer Sekunde – übers Jahr gesehen. Die Geschäftswelt rotiert hingegen immer rascher. „Es muss schneller gehen“, ist längst nicht nur mehr der Leitsatz für maschinelle Produktionsabläufe, sondern auch für die Hirnaktivitäten der Chefetage geworden. Dranbleiben, mit der Zeit gehen, Trends erkennen, wissen, was morgen sein wird – darüber gilt es schon heute, sich den Kopf zu zerbrechen: um vor der schöpferischen Zerstörung gefeit zu sein, die frei nach Jo-seph Schumpeter die langsamen, innovationsresistenten Unternehmen dahinscheiden lässt. Innovation wird zum Mantra, das auch Volkswirtschaftler herunterbeten, wenn es darum geht, Wohlstand und Marktanteile im globalen Wettstreit mit Billiglohnländern zu bewahren.
 
2. Das Neue liegt oft im Alten
Die Botschaft ist angekommen. Noch nie wurde so viel in Forschung und Entwicklung gesteckt wie heute. Unternehmen wie VW oder Samsung wenden beinahe zehn Prozent ihres Umsatzes für F&E auf. Das Ergebnis: Die Anzahl der Produktinnovationen erreicht einen neuen Gipfel.

Was dies für den Konsumenten bringt, steht auf einem anderen Blatt. Der Schweizer Wirtschaftsprofessor Oliver Gassmann beziffert im Interview (siehe Seite 11) die Produktinnovationen, welche für den Kunden tatsächlich einen Nutzen bringen, mit lediglich zehn Prozent. Innovationen seien in vielen Fällen auch nicht etwas wirklich Neues, so der Innovationsforscher weiter: „Wir haben herausgefunden, dass 90 Prozent aller Geschäftsmodell-Innovationen lediglich Rekombinationen aus 55 Basismustern sind.“ Ein Beispiel: „Nespresso gibt die Espressomaschine günstig ab und verdient das Geld mit den Kapseln. Das in den 1990er-Jahren erfolgreich gewordene Konzept geht aber zurück auf Gillettes Rasierklingen.“
 
3. Das nächste große Ding?
Es sind aber die großen Innovationen, die uns wirklich weiterhelfen. Sie sind es, welche die Wirtschaft prosperieren lassen und Wohlstand schaffen. Zu diesem Schluss kommt Erik Händeler als Vertreter der Kondratieff-Theorie. Die auf den gleichnamigen russischen Wirtschaftswissenschafter zurückgehende Lehre stellt einen Zusammenhang zwischen Innovationen und Wachstumszyklen her.

Kurz gesagt: Wenn es sich lohnt, in neue Technologien zu investieren, befeuert das die Wirtschaft. Das derzeitige Problem: „Nachdem der Computer über Jahrzehnte Kosten senkte, Gewinne erhöhte und neue Investitionen rentabel machte, ist dieser Produktivitätsschub ausgelaufen. Daher gab es immer weniger, wofür es sich lohnte, rentabel zu investieren“, folgert Händeler. Ähnliche Krisen gab es auch schon früher, etwa nach dem Ende des Eisenbahnbooms 1873 oder 1929 nach der Elektrifizierung. Doch keine Sorge. Das nächste große Ding ist im Kommen, prophezeien die Zukunftsforscher: Dabei wird es um Verfahren zum Informations- und Wissensmanagement gehen.
 
4. Wissen, wer man ist
Zurück auf die betriebliche Ebene. Viele Innovationen scheitern, weil sie nicht zur Identität des Unternehmens passen. Man denke an den A2 von Audi, den Roadster von Smart und die R-Klasse von Mercedes. „Die wichtigste Ursache für Produktflops ist die Me-too-Mentalität vieler Unternehmen“, erklärt Innovationsforscher Gassmann. Zu oft werde gefragt: Macht die Konkurrenz das auch? Erfolgreich dranbleiben heißt zuallererst erkennen, wer man ist.
 
5. Das Unerwartete liefern
„Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde“, soll Henry Ford verlautbart haben. Tatsächlich wurde ihm diese Aussage von einem Biografen nachträglich in den Mund gelegt. Egal, sie passt prächtig. Innovative Unternehmen zeichnen sich nämlich oft dadurch aus, dass eben keine Kundenwünsche abgefragt werden und vielmehr aus eigener Initiative heraus gehandelt wird, so Innovationsforscher Gassmann: „Walt Disney begann, über Vergnügungsparks nachzudenken, als er sich darüber ärgerte, dass er keinen vernünftigen Ort fand, um seine Töchter auszuführen.“Ein anderes Beispiel ist Apple: Während die Konkurrenz sich in der Suche nach Zusatzfunktionen verhedderte, präsentierte man mit seinen intuitiv bedienbaren Endgeräten für Kunden eine Überraschung mit Mehrwert.
 
6. Mut haben
Der Stuttgarter Technikhistoriker Reinhold Bauer kommt zum Schluss, dass Forschung und Entwicklung in 85 Prozent der Fälle scheitern. Der Mutlose würde folgern, es erst gar nicht zu versuchen. Bauer sieht es anders: „Scheitern setzt Lernprozesse in Gang, generiert Wissenszuwachs, ist gewissermaßen Teil von Erfolgen.“ Die Erfahrung zeigt, dass es sich durchaus lohnt, Mut zur Beharrlichkeit zu zeigen.

Zahlreiche Beispiele – vom Post-it über die Teflonpfanne bis zu Viagra – zeigen, dass große Innovationen oft anscheinend zufällig passieren. Wobei der Zufall bei genauerem Hinsehen in diesen Fällen sehr wohl gesteuert wurde. Man ließ die Leute trotz Fehltritten weitermachen. Das Ergebnis waren Innovationen, die so nie geplant waren. Was es dabei zu überwinden gilt, ist das klassischen Controlling, das sofort Alarm schlägt, wenn ein Projekt vom prognostizierten Pfad abweicht. Fortschritt hängt in den allermeisten Fällen mit einer betrieblichen Offenheit zusammen.
 
7. Offen sein
Unternehmen, die scheinbar trittsicher am Pfad des Zeitgeistes wandern, eint neben guten Kennzahlen vor allem eines: die Kultur. Da diese mathematisch nicht messbar ist, wird sie in der klassischen BWL gerne vernachlässigt. Dabei ist es gar nicht so schwer, auf den ersten Blick Indikatoren für innovationsfreudige Unternehmenskulturen zu finden, wie Innovationsforscher Gassmann ausführt: „Man spürt es sofort, wenn man in ein Unternehmen hineinkommt: Wird hier viel und offen geredet? Stehen die Kunden und Produkte im Zentrum oder die Geschäftsleitung? Ist das Klima so, dass es Freude macht zu arbeiten?“ Wer am Puls der Zeit bleiben will, braucht ein ganzheitliches Denken, das von Emotion getragen ist, den Glauben an den einzelnen Mitarbeiter und eine langfristige Sicht auf die Dinge.

Als Vorreiter in diesem Bereich kann das US-amerikanische Unternehmen Gore & Associates gesehen werden. Der 1958 gegründete heutige Weltmarktführer im Einsatz des Kunststoffes Polytetrafluorethylen zeichnet sich durch eine extrem offene, unhierarchische Firmenkultur aus und sorgte immer wieder mit Innovationen – wie Gefäßprothesen, neuartigen Gitarrensaiten bis hin zum Handschuh mit eingebautem Chip für den Skilift – für Aufsehen.
 
8. Freiräume bieten
Unternehmen suchen gemeinhin Mitarbeiter, die zu ihnen passen. Wer nur angepasste Mitarbeiter hat, bekommt aber auch ein Problem. Um entscheidende Schritte vorwärts zu machen, braucht es auch unangepasste Querdenker. Klar, die Führung solcher Mitarbeiter erscheint oftmals als ein Widerspruch in sich selbst. Was tun? Kündigung oder Freiräume schaffen, lautet die Frage. Und Unternehmen sind hinsichtlich ihrer Innovationsfähigkeit besser beraten, Zweiteres zu machen. „Die Aufgabe besteht darin, Exzentriker in das Unternehmen zu integrieren, und zwar so, dass sie sich wohlfühlen und der Rest der Mitarbeiter nicht den Eindruck gewinnt, benachteiligt zu werden“, rät Gassmann.
 
9. Gemeinsam forschen
Wurde früher hinter verschlossenen Labortüren entwickelt, ist „Open Innovation“ heute der große Trend. Der Konsumgüterproduzent Procter & Gamble will mittlerweile die Hälfte aller Innovationen mithilfe externer Quellen vorantreiben. Innoviert wird gemeinhin in Kooperation mit Wissenschaft, mit den Kunden, die als Community eingebunden werden, oder mit Mitbewerbern aus einer fremden oder der eigenen Branche. Gerade KMU begegnen dieser Öffnung aber auch mit Skepsis. Nicht ganz ohne Grund, wie Gassmann ausführt: „Die Abwägung, was geöffnet wird, wo Externes wirklich hilft und wo nicht, ist eine der wesentlichen Fähigkeiten, die Unternehmen entwi-
ckeln müssen, um von Open Innovation profitieren zu können.“
 
10. Das Wichtige tun
Dranbleiben heißt für Führungskräfte, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Manche schaffen es, intuitiv das Richtige zu tun. Wer diese Gabe nicht besitzt, kann sich Anleihen beim ehemaligen US-Präsidenten Eisenhower nehmen, der als großer Stratege bekannt war. Er soll sich dabei alle Aufgaben in eine nach Dringlichkeit und Wichtigkeit gepolte Matrix eingetragen haben. Die Erkenntnis aus dieser Überlegung: Gemeinhin erledigen Führungskräfte zu viele dringende, aber unwichtige Aufgaben selbst, die sie aber eigentlich delegieren könnten. Dadurch bleibt zu wenig Zeit für die nicht dringenden, aber wichtigen Aufgaben. Sie sind es aber, die den Fortschritt ausmachen. Hier entsteht Innovation!

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