„Die Welt ist eine Ausbildungsstätte“
Fantasie: Wie sie André Heller dabei hilft, sich zu einem Menschen zu entwickeln, mit dem er gern Zeit verbringen möchte.


Interview: Stephan Strzyzowski
Die Tür zu André Hellers Palais geht auf, und der geschäftige Trubel der Wiener Innenstadt bleibt auf der Schwelle zurück. Ein schwerer Duft von Räucherstäbchen durchzieht die Wohnung, und melancholisch-orientalische Musik dringt leise aus einem der angrenzenden Räume. Stuckverzierte Wände, afrikanische Kunst und europäische Meisterstücke fügen sich zu einem musealen Gesamtbild, das dennoch wohnlich wirkt. Dies sei sein Weg, um sich von der Welt draußen abzuschirmen, sagt Heller und nippt an seinem Tee. Ein Gespräch über lebenslanges Lernen, Selbstüberschätzung und die Kraft der Gedanken.
Sie haben sich mit Gartenkunstwerken, Wunderkammern, Prosaveröffentlichungen, mit Zirkus, Varieté und als Chansonnier verwirklicht. Was Rolle spielt die Fantasie in Ihrem Leben?
Ich habe schon sehr früh gedacht, dass sie ein Werkzeug ist, das meinem Leben eine eigene Wendung gibt. Und dass sie mir dabei dienen kann, mich zu verfeinern. Fantasie hilft mir, Lösungen für schwierige Fragestellungen zu finden. Ich bin jemand, der Dingen nachgeht, die mir für meine Ausbildung fehlen. Ich will mich lernend verwandeln. Denn ich bin auf der Welt, um aus diesem Entwurf eines Menschen einen gelungenen Menschen zu machen. Die Fantasie ist dafür ein unglaubliches Hilfsmittel.
Wissen Sie noch, wann sich Ihre Vorstellungskraft zu entfalten begonnen hat?
Das war sehr früh. Sobald ich denken konnte, habe ich versucht, mir selber Universen zu schaffen. In meinen frühesten Kritzelheften finden sich Länder, die ich erfunden habe, mit eigener Geografie und Flaggen, mit Nationalhymnen, Traditionen, Trachten und Ritualen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass es interessant ist, was die Welt anzubieten hat, aber auch ich wollte der Welt etwas anbieten.
Haben Sie sich dieses fantasievolle Kindsein erhalten können?
Ich glaube, dass wir als Kinder viel unverbarrikadierter sind. Die Wahrnehmung ist empfindsamer, wir wissen mehr über die Welt hinter den Spiegeln. Wenn man erwachsen wird, entfernt man sich immer mehr von der Anbindung an die Weisheit der eigenen Seele, von der Gewissheit, dass man einer spirituellen Welt entstammt, in der man verankert ist. Das schüttet man dann nach und nach zu mit dem Glauben an diese Wirklichkeit und daran, dass sie das Großartigste ist. Dem ist aber nicht so. Viel großartiger ist, wo wir herkommen und wo wir hingehen.
Diese Welt ist nur eine Ausbildungsstätte, die wir gebucht haben, wie einen Kurs.
Glauben Sie, dass man wiedergeboren wird und weitere Chancen erhält?
Die gibt man sich selber, man bekommt sie nicht. Unsere Seelen sind in nie endender Ausbildung, und was dieser Planet hier zu bieten hat, ist die Polarität. Heiß, kalt, gescheit, blöd, eitel, bescheiden, hoch, tief, kalt, warm. Jeden Lehrstoff, den man sich aussucht, muss man möglichst klug verwerten. Wenn man es nicht tut, bringt man sich um Erfahrungen. Ich bin ein neugieriger Mensch, und ich will in diesem Leben so viel Ausbildung wie möglich machen. Ob es etwas mit Kunst zu tun hat, mit der Erforschung von Meeren, mit Liebesgeschichten oder bitteren Niederlagen – es ist mir willkommen.
Glauben Sie, dass diese Offenheit auch zu Ihrem Erfolg beigetragen hat?
Ich glaube, dass viele Menschen ein falsches Bild von Erfolg haben. Besonders Wirtschaftstreibende sind oft beseelt von der Vorstellung, dass Irrtümer etwas Peinliches sind. Natürlich haben sie finanzielle Folgen, aber die Wahrheit ist, dass das Irren und das Ziehen von Konsequenzen daraus wesentliche Erfahrungen bergen. Man kann nicht von einer Niederlage sprechen, wenn man aus ihr klüger hervorgeht. Alle diese Wertungen, was richtig und falsch ist – davon habe ich mich längst verabschiedet. Mir geht es nur darum, meine Ausbildungsmöglichkeiten nicht zu schwänzen.
Hatten Sie Lehrer, die Ihnen bei dieser Ausbildung besonders zur Seite standen?
Man hat immer Verbündete und Weichensteller, Freunde und Feinde, die Wesentliches bewirken können. Ich halte das alles für Verabredungen. Ganz besonders kostbare Lehrer waren jene, die mich behindern wollten. Weil ich gesehen habe, dass sie sich sehr anstrengen, mich von etwas abzubringen, ich mir aber treu bleibe. Und, dass ich mich beweisen darf an ihrem Widerstand.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Meinen Vater, der nach irdischen Gesichtspunkten ein ganz unerträglicher Mensch war. Er hat mir in unübertrefflicher Weise bewiesen, wie es nicht geht. Und wie ich nicht sein will. Insofern habe ich ihm viel zu verdanken. Es war so eindrucksvoll, wie er verzweifelt ist, wie er bösartig und grausam und ohne Mitgefühl war – mir gegenüber und meiner Mutter. Daraus habe ich die Überzeugung abgeleitet, dass ich es nicht so machen werde – und das habe ich auch nicht getan. Dieses Gejammere über bittere Kindheit, das man so häufig hört, das ist nur erlaubt, bis das eigene Bewusstsein dort ist, wo man begreift, warum man sie erlebt hat.
Was verändert sich dann?
Unser Bewusstsein, das unsere Gedanken schafft, und unsere Gedanken, die unsere Realität schaffen. Wir können uns beim Salzamt beschweren, aber alle Krebserkrankungen und alle Bankrotte, alle Triumphe, alle gescheiterten und gelungenen Beziehungen sind vollkommen abhängig von dem, was unsere Gedanken und unser Bewusstsein verwirklichen. Mich interessiert darum überhaupt nicht mehr, wie erfolgreich jemand ist, sondern nur, in welchem Zustand er sich befindet. Wenn man sich anschaut, wie viele Nobelpreisträger und Wirtschaftsheroen in einem desaströsen persönlichen Zustand sind, wie sie mit ihren Frauen, Kindern, Mitarbeitern und mit sich selbst umgehen, dann müssen wir uns ein neues Wertesystem angewöhnen. Es hat ja einen Grund, warum so viele Stars Drogen in ihr Leben holen. Sie wollen nicht über sich selbst nachdenken müssen.
Es scheint aber immer wieder so zu sein, dass es gerade die Extreme sind, die manche Persönlichkeiten Großes erschaffen lassen.
Das liegt daran, dass dieser Menschenschlag interessantere Erfahrungen macht. Ich habe früher auch sehr stark polarisiert. Ich war unglaublich aggressiv, arrogant und vermeintlich selbstbewusst und hielt alles, was ich getan habe, für großartig. Das ist aber nicht wahr gewesen. Es war ein potemkinsches Dorf, das ich hingestellt habe, damit niemand meine Unsicherheiten sieht. Es ist sehr schwierig, mit sich in Frieden zu leben, solange man noch keine Ähnlichkeit mit dem hat, der man sein soll. Aber auch in dieser Phase muss man seinen Mann und seine Frau stehen.
Wie gut ist Ihnen das gelungen?
Ich habe mir damals einen André Heller geschnitzt, der sehr machtvoll gewirkt hat, den die einen für ein arrogantes Arschloch und die anderen für einen exzentrischen Dandy gehalten haben. Während man dieses Leben lebt, muss man versuchen, sich so zu verändern, dass man jemand wird, mit dem man gern aufwacht und am Abend schlafen geht.
Auch wenn Sie heute mit dem exzentrischen Dandy nichts mehr zu tun haben wollen – können Sie ihm zumindest zugutehalten, dass er in seiner Übersteigerung einige großartige Werke geschaffen hat?
Ich glaube, dass sich mein Talent häufig vor meiner Hybris beschützt hat. Es hat gesagt: Du wendest dich an andere. Ich will nicht, dass wir über mich andere Menschen mit deinen Verstörungen beschädigen! Da ist also manchmal etwas gelungen, wo meine Arbeitsergebnisse auf einem weit höheren Level waren als mein Bewusstsein. Deswegen distanziere ich mich auch nicht von den schrecklichsten Dingen, die ich in meinem Leben getan habe, denn ich konnte nicht anders. Ich würde auch einen Volksschüler nicht anbrüllen, weil er ein Problem mit Mathematik hat. Ich hab ein Problem gehabt und habe es immer noch, damit ein halbwegs meisterliches Leben zu führen.
Stellen Sie da nicht sehr hohe Ansprüche an sich?
Ich bin überzeugt davon, dass man qualitätsvoll sein soll. Elegant in den Gedanken und Taten. Diesen Anspruch darf man nicht aufgeben, ob man ihn erreicht, ist etwas anderes. Wie Beckett sagt: „Scheitern, scheitern, besser scheitern.“ Aber ich sehe es ja nicht einmal als scheitern. Es gibt vielmehr unterschiedliche Etagen von Gelungensein. Wenn man einmal so gelungen ist, wie man es gerne hätte, dann brauchte man ja gar nicht mehr hier zu sein. Denn dann würden die Herausforderungen der Welt keinen Sinn mehr machen.