Bildsprache
Die magische Macht der Bilder
Digitale Medien prägen mit ihren Bilderwelten zunehmend unser Leben. Was bedeutet das für die visuelle Kommunikation von Unternehmen? Wer diese Entwicklung berücksichtigt, kann enorme Wettbewerbsvorteile generieren. Denn Tatsache ist, dass Menschen lieber schauen als lesen. Der erste gefühlsmäßige Kontakt mit Kunden erfolgt deswegen immer über visuelle Elemente. Darunter sind Bilder, aber auch alle anderen Gestaltungselemente wie Farben, Formate, Perspektiven oder Schriften zu verstehen. Wie wir Unternehmen wahrnehmen, hängt viel stärker von der Visualität ab, als man denkt. Ob sie optimal gestaltet ist, entscheidet darüber, ob der erste Kontakt gelingt. Wir lesen uns nicht zuerst den Text unter einem Posting durch und studieren erst dann das Bild.
Läuft die visuelle Wahrnehmung bewusst ab? Eben nicht. Ein Beispiel: Zahlreiche Unternehmen ringen gerade um ihren Purpose. Sie legen nach vielen Workshops vielleicht fest, dass ihr Sinn darin liegt, Glück durch Innovation zu schaffen. Das wird seitenlang verbal erläutert. Dann will man diesen Purpose visuell transportieren und sucht irgendein Bild, ein Bild vielleicht, das Start-up-Mitarbeiter mit Kapuzenpullis zeigt. Oder einen Wissenschaftler im weißen Kittel – trivial! Damit vermittelt man Kunden nicht, was der Purpose verspricht. Denn der erste Eindruck ist visuell. Er muss hängen bleiben und eine wesentliche Information vermitteln. Oft tut er das allerdings nicht.
Wie gelingt die Übung? Was auch immer man als Purpose definiert: Man muss sich von Anfang an überlegen, wie man ihn visuell darstellen kann. Denn der Sinn eines Unternehmens wird erst dann erlebbar, wenn er visuell vermittelt werden kann. Darauf vergessen Unternehmen oft.
Woran liegt das? An einer tief liegenden kulturellen Prägung. Das Verbale und das Visuelle haben verschiedene Images. Das Verbale gilt als seriös. Das Visuelle gilt als verführerisch und manipulativ. Das kommt aus dem Protestantismus, wo vor allem das Wort gilt. Wer als seriös gelten will, setzt daher bis heute vorwiegend auf Schrift.
Wie verführerisch und manipulativ sind denn Bilder wirklich? Welche Macht haben sie? Ich verwende gerne den Begriff Bildmagie. Das ist natürlich metaphorisch gemeint und ein wenig übertrieben. Doch im Kern stimmt es. Magie ist das Erleben einer Kraft, die einen überwältigt, und man weiß nicht, warum. Gute Bilder können das. Sie ergreifen und berühren einen, sie stimulieren uns emotional. Sie können Bedeutungen vermitteln, die man verbal nie vermitteln könnte. Wichtig ist dabei nicht nur der Inhalt, sondern auch die Art, wie etwas dargestellt ist. Sie entscheidet, wie die Inhalte wirken.
Magie ist das Erleben einer Kraft, die einen überwältigt, und man weiß nicht, warum. Gute Bilder können das.
Welche visuellen Stilmittel kommen dabei zum Einsatz? Man muss sich überlegen, ob man ein Objekt von oben oder unten zeigt, welche Perspektive man wählt, wie das Licht gesetzt wird, welche Blickrichtung der Betrachter einnimmt, welche Farben dominieren und welche Einteilung ein Bild hat. Da gibt es viele Gesichtspunkte. Und in Abhängigkeit davon, welche man nutzt, vermittelt man unterschiedliche Bedeutungen.
Haben Sie ein Beispiel? Licht: Man kann es von allen Seiten kommen lassen. Wird es von oben auf das Objekt gerichtet, vermittelt uns das immer den sakralen Code. Das dargestellte Objekt wird durch diese Art der Beleuchtung zu etwas Besonderem. Beleuchten Sie dagegen ein Objekt von unten, kommt das Licht aus der Hölle. Ich habe unlängst das Bild eines Oligarchen gesehen, der von unten beleuchtet wurde. So ein Bild muss man nicht lange erklären. Warum wir die Person sofort negativ bewerten, ist uns natürlich nicht bewusst, doch wir tun es instinktiv.
Nimmt die Bedeutung solcher Codes in einer Gesellschaft zu, die sich vorwiegend über visuelle Medien wie Instagram und TikTok vernetzt? Wir sind sicher auch aufgrund der digitalen Medien eine zutiefst visuelle Kultur geworden. Dazu kommt, dass immer mehr Menschen lediglich Informationshäppchen snacken wollen. Das ist verbal nicht so einfach. Bilder wirken dagegen auf einmal, ganzheitlich und sofort. Unsere Kultur ist auf extrem schnellen Informationskonsum getrimmt. Der erste Eindruck entscheidet. Was langweilig ist, wird weggewischt. Die Herausforderung liegt also darin, die Menschen in der enormen Flut von Inhalten dazu zu bringen, sich mit etwas zu beschäftigen.
Es geht also vor allem um Aufmerksamkeit? Ja, aber nicht nur. Außergewöhnliche Bilder alleine reichen nicht aus. Sie könnten sonst einfach dauernd fliegende rosa Elefanten zeigen. Was Aufmerksamkeit erregt, muss gleichzeitig eine Bedeutung vermitteln. Das Bild muss auch sinnvolle Informationen beinhalten. Und: Die visuellen Konzepte müssen zu den jeweiligen Kanälen und ihren spezifischen Eigenheiten passen.
Haben sich die klassischen visuellen Codes durch die Digitalisierung verändert? Die Wirkmechanismen sind gleich geblieben. Auch die Art, wie Menschen Bilder decodieren, ist unverändert. Das wird oft vergessen. Wie nehmen wir Bilder wahr? Was ist gut für die Rezeption? Darauf muss man mehr denn je achten. Und trotzdem sieht man in der Werbung sehr häufig einen Bildersalat. Das sind Bilder, die unzählige Elemente enthalten, die man unterbringen wollte. Aber: Kann ein Bild nicht innerhalb von drei Sekunden decodiert werden, wird es überblättert. Dieser Effekt tritt im Netz noch stärker auf. Die grundsätzlichen Codes (siehe Kasten) bleiben aber über lange Zeiträume gleich.
Was passiert, wenn man sie falsch einsetzt? Es gibt spezifische Codes für alle Produktgattungen, z. B. Milch, Bier, aber auch Technologie. Sie verwenden gewohnte Codes, die sich in Farben und Formen ausdrücken, die viele Unternehmen benützen. Das ist richtig, aber nicht eigenständig. Wenn man hervorstechen will, muss man es anders machen und den Code ganz leicht brechen. Wichtig ist aber, dass man es intelligent tut.
Wie gelingt das? Eine schwarze Milchpackung würde vermutlich hauptsächlich für Irritationen sorgen. Stimmt. Denken wir zum Beispiel an Ärzte. Sie stellen sich, ihrem klassischen Code entsprechend, immer wissenschaftlich, weiß, seriös und langweilig dar. Es gibt aber einen Zahnarzt in der Schweiz, der auf seiner Homepage mit Bildern in einem rosa Röckchen wirbt, wo er als Fee mit der Spritze in der Hand posiert. Das ist Codebreaking, das für viel Aufmerksamkeit sorgt. Doch will man von ihm eine Wurzelbehandlung? Nein, denn es werden auch Werte verletzt. Lustig ist nicht gut beim Zahnarzt.
Wie sieht gelungenes Codebreaking dann aus? Denken wir an Hornbach. Das Unternehmen wollte nicht kommunizieren, dass es Schrauben und gute Bohrer verkauft. Sie haben analysiert, was Heimwerken bedeutet. Es ist eine Domäne der Männer. Sie schaffen in ihren Kellern eine neue Welt. Sie haben dabei ein Erlebnis von Selbstwirksamkeit. Darauf basiert die Kampagne. Es geht nicht um Schrauben, sondern um Herzensprojekte. Hornbach inszeniert sich als Marke, die anders ist als das Alltägliche, als das Triviale.
Welchen Code verwendet Hornbach, um diese Botschaft zu vermitteln? Die Kampagne basiert in einer Reihe von Sujets auf dem sakralen Code. Wir sehen zum Beispiel einen Mann, der eine Pflanze wie einen besonders wertvollen Gegenstand hochhebt. Lichtstrahlen erleuchten die Szene beinahe himmlisch von oben. Mit so einem Bild vermittelt Hornbach, dass sie ein Erlebnis verkaufen, auf dem der Segen ruht.
Warum wirken solche Bilder bei allen Menschen auf die gleiche Weise? Es gibt ein kollektives Bildgedächtnis. Darin sind Muster und Formen abgespeichert, die eingeübt sind. Natürlich verändern sich mit der Zeit die dargestellten Inhalte. Heute werden keine blonden Frauen mehr am Herd oder rauchende Schlote gezeigt. Aber die Codes der Darstellung haben sich nicht verändert. Der Goldene Schnitt wirkt noch immer harmonisch, auch wenn das Prinzip aus der Antike stammt.
Unsere Gesellschaft beinhaltet heute immer mehr Menschen unterschiedlichster Herkunftsländer. Gibt es kulturelle Unterschiede, die bei der Nutzung von visuellen Codes berücksichtigt werden sollten? Hier ist Sensibilität gefordert. Doch: Allen gefallen zu wollen führt zu Mittelmäßigkeit. Das betrifft nicht nur unterschiedliche Ethnien. Die Kommunikation muss provozieren, wenn sie auffallen will. Sie sollte das allerdings intelligent tun.
Die klassischen Geschlechterrollen verschwimmen in der Werbung immer öfter. Ist das so eine Art der Provokation? Die männlichen und weiblichen Codes waren früher klar getrennt. Vor allem bei Produkten, die sexualisiert sind. Duschgels für Männer und Frauen etwa schauen bis heute anders aus. Sie basieren auf den Vorstellungen von männlichen und weiblichen Köpern. Jene für Herren sind hart, kantig, grau oder blau. Jene für Damen ähneln dagegen weiblichen Körpern. Sie sind rund, bunt, sie glitzern. So stehen sie immer noch in den Regalen, obwohl es heißt, es gibt keine Unterschiede mehr. Sehr lange wurde übrigens immer lediglich der männliche Code imitiert. Frauen tragen Hosen, aber Männer keinen Rock. Das geht jetzt in eine andere Richtung. Bei Modedarstellungen sind die Geschlechtercodes nicht mehr so eindeutig. Wir sehen, dass weibliche Codes in die männlichen eindringen. Das ist allerdings weniger eine Mode oder eine Provokation, sondern eine Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen. Wenn man sensibel ist, kann man solche Entwicklungen sicher aufnehmen. Doch wenn sie zu Tode geritten werden, verläuft sich der Effekt.
Obwohl wir ständig von Bildern umgeben sind, ist das Wissen um ihre Funktionsweise nicht gerade weit verbreitet. Woran liegt das? Mit den visuellen Codes ist es wie in der Kirche des Mittelalters, als die Messe auf Latein gelesen wurde. Alles spielt sich auf geheimnisvolle Weise ab, und niemand macht sich die Mühe zu verstehen, was gespielt wird. Würden wir in der Schule beispielsweise mehr über Semiotik lernen, könnte das schon einen großen Fortschritt bewirken. Es würde den Menschen dabei helfen, die vielen visuellen Eindrücke besser zu bewerten. Und Unternehmen würden dann bestimmt auch viel seltener Kampagnen fahren, die den Grundprinzipien visueller Wahrnehmung widersprechen.
Klassische Codes im Überblick:
Der Code des Sakralen zitiert religiöse Darstellungen, die Objekte durch Lichtsetzung, Position und Anordnung wertvoll, magisch und kraftvoll erscheinen lassen.
Der elitäre Code nobilitiert das dargestellte Objekt, indem es entweder durch ein minimalistisches Umfeld in den Vordergrund gerückt oder besonders opulent inszeniert wird.
Der Code der Intimität inszeniert Fürsorge, Liebe und Nähe zu Objekten, die sehr nahe an das Blickfeld des Betrachters herangerückt werden.
Der Code der Weite arbeitet mit Panoramen, benützt natürliche Farben und wird zum Beispiel gerne für touristische Kampagnen eingesetzt.
Der männliche, weibliche Code wird vor allem in Bereichen eingesetzt, die etwas mit dem Körper zu tun haben. Farben und Formen bestimmen das jeweilige Stereotyp.
Der Code der Wissenschaft arbeitet vorwiegend mit Text und zurückhaltenden Abbildungen, um Seriosität zu vermitteln.
_
zur Person
Helene Karmasin ist spezialisiert auf Motivforschung, Cultural Analysis, Semiotik, speziell Bildanalysen. Sie besitzt umfangreiche Erfahrung in der Umsetzung unterschiedlichster Marketingprojekte. Karmasin leitet das Institut Helene Karmasin Behavioural Insights in Wien. Sie studierte Psychologie, Semiotik und Anthropologie in Deutschland und England.