Anlass zur Sorge

12.11.2019

Die globale politische Lage sorgt für eine Verstimmung der Märkte, die Konjunktur trübt sich ein. Im Kurzinterview analysiert Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung die Hintergründe und erklärt, welche Branchen es besonders treffen wird und was die nächste Regierung tun könnte. 

Die Konjunktur trübt sich deutlich ein. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in den kommenden Jahren?

Für eine düstere Prognose gäbe es genügend Anlass: der schwelende Handelskrieg zwischen den USA und China, wirtschaftliche Desintegration durch den nahenden Brexit sowie zwischen Süd-Korea und Japan, fortbestehende Sanktionsregimes gegenüber Russland und dem Iran sowie anhaltende militärische Drohgebärden. Obwohl sich das aktuelle konjunkturelle Geschehen damit vor einer wirtschaftspolitischen Horrorkulisse vollzieht, ist aus derzeitiger Sicht dennoch keine Rezession in Österreich zu erwarten. Allerdings sei nicht verhehlt, dass dazu nicht mehr viel fehlt. Bei US-Zöllen gegen europäische Automobilexporte oder einem No-Deal-Brexit würde eine Reihe europäischer Länder in die Rezession abgleiten. Doch so weit ist es noch nicht, die Kombination aus der Internationalisierung des Wirtschaftens mit multipolaren Wachstumszentren, einer weiterhin ultraexpansiven Geldpolitik, einer recht robusten Binnennachfrage aufgrund eines zunehmenden Beschäftigtenstandes und einer noch florierenden Wirtschaft in Zentral- und Osteuropa ermöglicht weiterhin Wachstum in Österreich.

Was sind die Treiber der Entwicklung?

Die österreichische Wirtschaft wird sich der konjunkturellen Schwäche in der Eurozone nicht gänzlich entziehen können, wenngleich der Grad der Abhängigkeit von Deutschland im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen erheblich abgenommen zu haben scheint. Bei einem anhaltend hohen Ausmaß an wirtschaftspolitischer Unsicherheit ist für die deutsche Wirtschaft auch im kommenden Jahr nicht mit einer durchgreifenden Erholung zu rechnen. Vor diesem Hintergrund ist für die österreichische Wirtschaft ein BIP-Zuwachs in Höhe von 1 bis 1¼ % im Jahr 2020 zu erwarten. Wenngleich mit beträchtlicher Unsicherheit behaftet, ist auch für das folgende Jahr 2021 nur eine unterdurchschnittliche Dynamik wahrscheinlich. Zwar sollte die europäische Wirtschaft ihr Konjunkturtief bis dahin schon durchschritten haben, allerdings ist der US-amerikanische Konjunkturzyklus bereits in seine Reifephase eingetreten. Diese mag durch geld- und fiskalpolitische Maßnahmen – letztere insbesondere im Hinblick auf die im kommenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen – noch eine Weile gestreckt werden können, doch deutet eine Vielzahl von Vorlaufindikatoren auf eine sich allmählich abschwächende konjunkturelle Dynamik in den USA hin.

Welche Branchen wird es in Österreich besonders treffen?

Die konjunkturelle Durststrecke betrifft zum einen Branchen, deren Produktionsmuster typischerweise stark zyklisch ausgeprägt ist, etwa die Stahl-, Papier- und Verpackungsindustrie, zum anderen auch solche, welche in der Hochkonjunkturphase mit erheblichen Lieferengpässen zu kämpfen hatten wie der Maschinenbau. Zum Teil konnten die Lieferrückstände erst während des laufenden Jahres und damit bereits in die wirtschaftliche Abschwächung hinein abgebaut werden. Der daraus resultierende, zeitverzögert einsetzende Effekt einer zunehmenden Produktionskapazität verstärkt nun die aufgrund der hohen wirtschaftspolitischen Unsicherheit ohnedies bestehende Investitionszurückhaltung noch, da zurückgehende Kapazitätsauslastungen im Tandem mit einem hohen Preis- und Ertragsdruck schon per se nicht geeignet wären, substanzielle Erweiterungsinvestitionen auszulösen.

Mit welchen Maßnahmen könnte die neue Regierung gegensteuern?

Für die mittelfristigen Konjunkturaussichten für Österreich von wesentlicher Bedeutung ist die Frage, ob die neue Regierung einen weiterhin standortstärkenden wirtschaftspolitischen Kurs beibehalten wird. Dies gilt in besonderer Weise im Hinblick auf die Energie- und Klimapolitik, welche planbare Rahmenbedingungen nach Maßgabe ökonomischer Effizienzkriterien benötigt, wenn sie ihre Ziele erreichen möchte. Ein dezidiert auf die konjunkturelle Stabilisierung ausgerichtetes Ausgabenpaket benötigt Österreich hingegen nicht, vielmehr würden beträchtliche expansive Impulse zu erwarten sein, wenn die überwiegend regulatorischen Hemmnisse beseitigt würden, welche den Investitionsrückstau bei Wohnimmobilien ebenso wie bei der Digital-, Energie- und Verkehrsinfrastruktur bedingen. Weiters gilt es die schon geplante Tarifsenkung im Bereich der Körperschaftsteuer umzusetzen, welche investitions- und beschäftigungsfördernde Wirkungen auslösen würde. Da deren Inkrafttreten ursprünglich weit in die Zukunft verlagert wurde, wäre eine Realisierung entsprechend dem bisherigen Zeitplan trotz der Neuwahlen ohne Temponachteil nach wie vor möglich. Jedenfalls aber führt dieses Konjunkturbild zu dem Aviso, dass die kommende Bundesregierung, in welcher parteipolitischen Konstellation auch immer, mit weitaus herausfordernden konjunkturellen Rahmenbedingungen konfrontiert sein wird als die derzeitige sowie die vorhergehende. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung betrifft dies auch die fiskalischen Handlungsspielräume, welche sich ab dem kommenden Jahr als deutlich verengt darstellen werden.

In welchen Punkten unterscheidet sich Ihre Analyse von den Zahlen von Wifo und IHS?

Das von der Industriellenvereinigung gezeichnete Konjunkturbild fällt zum einen im Hinblick auf die für das kommende Jahr zu erwartende Dynamik etwas zurückhaltender aus als jenes von IHS und WIFO. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das IV-Konjunkturbarometer im Gegensatz zu dem von den Instituten unterstellten Muster des Quartalswachstums noch keinen Hinweis darauf liefert, dass die konjunkturelle Dynamik schon mit Jahresbeginn 2020 wieder zunehmen dürfte. Zum anderen betont die Industriellenvereinigung seit mehreren Monaten, dass sich die konjunkturelle Durststrecke mit unterdurchschnittlichen Wachstumsraten nicht auf das Jahr 2020 beschränken wird, sondern zumindest zwei Jahre anhalten dürfte.

Interview: Stephan Strzyzowski

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