Circular Economy
Systemisch denken
Der Glaspalast in der Rathausstraße, das Coca-Cola-Werk in Favoriten und das Ferry-Dusika- Stadion am Handelskai haben gemeinsam, dass sie schon jetzt oder bald Geschichte sind und dennoch Teile von ihnen weiterleben. So fanden etwa 1.100 Tribünenstühle des Dusika-Stadions private und gewerbliche Abnehmer und landeten in Vorzimmern, auf Balkonen oder Parkplätzen. 70 Steinblöcke aus dem Stadion-Außenbereich kommen bei der Parkgestaltung in Groß-Enzersdorf zum Einsatz, und Lautsprecher werden vom ImpulsTanz-Festival weiterverwendet. Insgesamt wurden 20.000 Kilogramm des Stadions in die Wiederverwertung vermittelt. Beim Coca-Cola-Werk wurden durch Re-Use gar 450.000 Kilo Abfall vermieden. Das Projektkonsortium BauKarussell sorgt seit der Gründung 2015 bei diesen und anderen Rückbauprojekten dafür, dass möglichst viel von den Bauten einen neuen Zweck findet, anstatt als Müll zu enden. Viele Ressourcen, die am Bau zum Einsatz kommen, sind endlich, ihr Abbau geschieht oft unter gesundheitlich, sozial und die Umwelt belastenden Bedingungen – und auch die Preise dafür steigen stetig. So wird es zum Gebot der Stunde, damit vorsichtig und sparsam umzugehen. Das Prinzip „Re-Use“ ist ein wichtiger Teil der Kreislaufwirtschaft.
Noch nicht im Mainstream
Für Matthias Neitsch, Geschäftsführer von RepaNet (Re-Use- und Reparaturnetzwerk Österreich) und einer der Partner von BauKarussell, ist die Circular Economy „noch nicht ganz im Mainstream der Wirtschaft und vor allem in der Industrie angekommen“. Neitsch beschäftigte sich mit Kreislaufwirtschaft schon, als es den Begriff noch gar nicht gab: Er begann 1990 in der kommunalen Abfallwirtschaft als Umwelt- und Abfallberater. Heute versteht man unter Kreislaufwirtschaft weit mehr als Abfallwirtschaft und Recycling. So weist etwa das Prinzip Cradle-to-Cradle (von der Wiege bis zur Wiege) darauf hin, dass schon bei der Entwicklung eines Produkts mitgedacht wird, wie dieses am Ende seiner Lebenszeit wieder in den Kreislauf kommt. Den Baubereich hält Neitsch für besonders wichtig: „Wir sprechen immer über das Vermeiden von Plastiksackerln und die Langlebigkeit von Elektrogeräten. Das ist alles wichtig, aber es sind eher homöopathische Schauplätze. Was wir drastisch reduzieren müssen, sind die riesigen Massen an Schotter, Sand, Zement, Erzen und so weiter.“ In diesem Bereich gebe es noch fast keine Kreislauf-Geschäftsmodelle.
Karin Huber-Heim, Executive Director des Circular Economy Forum Austria, welches Unternehmen bei der Transformation zur Kreislaufwirtschaft unterstützt, betont den Anfang: „Das Narrativ in Österreich ist: Kreislaufwirtschaft ist Abfallwirtschaft ist Recycling. Das negiert unendliches Potenzial für Innovation, weil wir dadurch immer noch linear arbeiten und erst am Ende darüber nachdenken, was wir mit all dem machen, was übrig bleibt.“ So wichtig es sei, Materialien recycelbar zu machen, sollte überlegt werden, ob wir Materialien überhaupt brauchen. Hier sieht Huber-Heim noch sehr große Systembarrieren, die solchen Überlegungen entgegenstehen. Deshalb brauche es eine „systemische Innovation für Kreislaufwirtschaft“. Das fängt in der Aus- und Weiterbildung an: „Wir produzieren immer noch ganz viele Wirtschaftstreibende, die nicht gelernt haben, vernetzt, kollaborativ und systemisch zu denken. In Wahrheit sollte das in Zukunft eine wirtschaftliche Kernkompetenz sein.“
Wir müssen das lineare Denken wieder verlernen.
Pflegen, warten, reparieren
Wenn die Wirtschaft zirkulär werden soll, muss es laut Matthias Neitsch gelingen, Geschäftsmodelle zu entwerfen, die Bedürfnisse mit möglichst wenig Material befriedigen: „Wir müssen von der industriellen Massenproduktion hin zum lokalen Werterhalt der Produkte kommen. Das nachhaltigste Produkt ist jenes, das wir schon haben.“ Die Wirtschaft der Zukunft werde ihr Geld damit verdienen „zu pflegen, zu warten, zu reparieren, zu reproduzieren, nicht damit, ständig etwas Neues zu produzieren, während alte Sachen weggeschmissen werden“. Im Baubereich bedeute das beispielsweise: Renovieren statt neu bauen. In einer Schlüsselrolle auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft sieht Neitsch KMU, weil sie leichter innovative Geschäftsmodelle entwickeln können als große Unternehmen. Ein klassisches Beispiel ist Carsharing, aber viele neue Geschäftsmodelle müssen hier erst entstehen. Neitsch nennt als Beispiel etwa eine Änderungsschneiderei, die ein Abo auf Leihkleidung geben kann, die auch gewaschen wird.
Auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft müssen wir zunächst etwas verlernen. Karin Huber-Heim: „Wir müssen das lineare Denken wieder verlernen.“ Dabei ist das Denken in Kreisläufen gar nicht neu: Huber-Heim verweist auf ein paar Jahrzehnte zurück, als etwa Milchflaschen immer wieder befüllt wurden und Autos so lange gefahren wurden, bis sie nicht mehr zu reparieren waren. Es klingt einfach, dazu zurückzufinden. Doch Huber-Heim sagt: „In Kreisläufen zu denken ist hochkomplex. Die Transformation von der
Linear- zur Kreislaufwirtschaft braucht sehr viele unterschiedliche Akteure an unterschiedlichen Stellen. Auch wenn das Wort Wirtschaft in Kreislaufwirtschaft steckt, kann die Wirtschaft diese Umstellung nicht alleine bewältigen.“
Abfallmaterial wird Ausgangsmaterial
Dazu gehören Produzenten, Logistik-Partner, Service-Partner, digitale Plattformen, Entsorgungsunternehmen etc. So haben die einen vielleicht ein Abfall-Material, das für die anderen zum Ausgangsmaterial werden könnte. Es braucht ganz neue Geschäftsmodelle wie etwa Nutzungs- und Miet- statt Kaufmodelle. Und es braucht die richtigen politischen Rahmenbedingungen, Anreize und Weichenstellungen. So war etwa der Anstoß für die Gründung von BauKarussell eine politische Rahmensetzung, nämlich die 2016 in Kraft getretene Recycling-Baustoff-Verordnung, die bei Rückbauten unter anderem dazu verpflichtet, eine Schad- und Störstofferkundung vorzunehmen – ein Service, den BauKarussell anbietet. In der Circular Economy spielt übrigens neben dem Umweltaspekt auch der soziale Faktor eine Rolle. Bei BauKarussell bekommen etwa unter anderem Langzeitarbeitslose über sozialwirtschaftliche Partnerbetriebe eine neue Chance, wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, indem sie meist für sechs Monate als Transitarbeitskräfte angestellt werden – und so werden auch sie wieder Teil des Kreislaufs der Wirtschaft.