So weit muss Bio gehen

CSR; Nachhaltigkeit
27.03.2023

Ein Wiener Unternehmer wollte für seine Schokoladenproduktion nicht nur hochwertigen Kakao kaufen. Er wollte das wahre Ursprungsprodukt, das noch immer unverändert im tiefen Regenwald gedeiht, verarbeiten. Entstanden sind aus dem Wunsch ein einzigartiges Geschmackserlebnis sowie ein Projekt zur Förderung der Piaroa-Indigenen.
Kakao

Manfred Berger ist nicht der typische Weltverbesserer, wie er im Lehrbuch steht. Vielmehr ist der charismatische Betriebswirt ein mit allen Wassern gewaschener Unternehmer, der in unterschiedlichen Bereichen seine Interessen und Leidenschaften verfolgt. Anstatt lange zu predigen, geht er lieber selbst konkrete Projekte an und arbeitet in kleinen Schritten an großen Veränderungen. Er schreibt Bücher, berät internationale Konzerne und – er produziert exklusive Schokoladen. Mit Erfolg und auch mit ansehnlichem Impact, wie sein aktuellstes Vorhaben beweist. Es führt bis tief in den Regenwald Venezuelas, wo die Piaroa-Indigenen beheimatet sind. In ihrem Lebensraum gedeihen wilde Kakaobäume, deren Früchte einen außergewöhnlichen, einen ganz ursprünglichen Geschmack in sich tragen. Der Grund für ihren besonders intensiven Geschmack liegt wohl im Umfeld, in dem die Cupuacu genannten Bäume gedeihen. Die bis zu 15 Meter hohen Gewächse fühlen sich in einem intakten Biotop am wohlsten und sollten idealerweise in einem Agroforstsystem angebaut werden. In Mischkulturen, die wohl die umweltverträglichste Kultivierungsmethode für Mutter Erde darstellen. Genau die Art, wie sie von den Piaroa kultiviert werden. Moderne Anbaumethoden, die in anderen Regionen der Welt zum Einsatz kommen, wären im Gebiet der Piaroa nicht denkbar. Von eitler Wonne kann im kolumbianischen Regenwald allerdings trotzdem keine Rede sein.

Vom Regenwald in die Traufe
Kolumbien und das Grenzgebiet zu Venezuela sind seit Jahrzehnten von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Guerilla-Gruppen, paramilitärischen Kräften und Regierungstruppen geprägt. Außerdem tragen Drogenkartelle und der lukrative Kokain­anbau ihre Konflikte selbst bis tief in die entlegenen indigenen Gebiete. Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen wird das Land von den Piaroa nicht im Sinne klassischer Landwirtschaft bestellt. Lediglich geringe Mengen des erlesenen Kakaos gelangten bisher über Zwischenhändler in urbane Gebiete und damit irgendwann auch zu Manfred Berger und seinen Partnern, die sofort vom unverfälschten Geschmack fasziniert waren. Nun ist Kakao allerdings nicht nur ein Rohprodukt, das in konfliktreichen Regionen angebaut wird, auch aus Nachhaltigkeitssicht bringen die Bohnen große Herausforderungen mit sich. Ungefähr 70 Prozent der weltweiten Ernte stammt aus Westafrika, wo der Kakaoanbau durch Rodungen, Monokulturen, Ausbeutung und Kinderarbeit zu massiven Umweltschäden und sozialen Verwerfungen führt. Die Hauptverdiener am Kakaogeschäft sind in der Regel multinationale Schokoladenkonzerne und Discounterketten. Sie zahlen möglichst niedrige Preise, die über Zwischenhändler bis zu den Kleinbauern zu Peanuts schrumpfen, die kaum für das Nötigste reichen. Ein Teufelskreis und nicht zuletzt ein System, das Manfred Berger und sein Partner Günther Mavec, Konditormeister und Chocolatier bei den Wilder Kaiser Schokoladen, sowie ihr Produktionspartner, die bayerische Confiserie Dengel, durchbrechen wollten.  

Keine Zwischenhändler, faire Preise 
Doch wie könnten sie die Bohnen direkt von den Piaroa erwerben, damit ihnen der gesamte Betrag zugutekommt? Kein einfaches Projekt, aber eine Herausforderung nach Manfred Bergers Geschmack. Hatte doch ein wesentlicher Teil der Karriere des Unternehmers mit dem Handel zu tun. Viele Jahre bei Unilever, wo Berger laufend neue Produkte eingeführt hat, waren eine gute Schule, die ihn unweigerlich in die Selbstständigkeit geführt hat. Als Unternehmer produzierte er Non-Food-Produkte für den Vertrieb über große Supermarktketten. Damen- und Herren-Unterwäsche unter dem Markennamen Stanford war eines seiner Konzepte, das viele Jahre für glänzende Geschäfte gesorgt hat. Aus der Zusammenarbeit mit dem Handel wurde zudem auch eine intensive Beratungstätigkeit für Billa. Vor allem die Frage, wie man Outlets an die Landschaft und an regionale Gegebenheiten anpassen könnte, hat Berger intensiv beschäftigt.

Wir zahlen den Piaroa-­Indigenen einen ­wirklich fairen Preis.

Manfred Berger, Wilder Kaiser Schokoladen

Manfred Berger,  Wilder Kaiser Schokoladen
Manfred Berger, Wilder Kaiser Schokoladen

Auch das 1994 entstandene „Ja! Natürlich“-Konzept samt Einführung stammt aus seiner Feder. Dem Handel blieb Berger selbst nach dem Verkauf von Stanford und Co an die Retailer treu, als er mit einer amerikanischen Agenturkette die Beratungsfirma Draft FCB Retail gründete. Bis er seine Anteile verkaufte, um sich neben seiner Beratertätigkeit auch eigenen Projekten zu widmen. So entstand auch sein Herzensprojekt namens Wilder Kaiser Bioschokoladen, das er mit der Confiserie Dengel in Angriff nahm. Im Zentrum stand dabei allerdings nie Gewinnmaximierung. Viel wichtiger war den Partnern, ihren Kunden ein besonders Produkt zu bieten, das neben einem außergewöhnlichen Geschmack auch mit extremer Nachverfolgbarkeit der Produkte und fairer Bezahlung der Lieferanten punkten sollte. Das Projekt wuchs um eine Produktlinie, die medizinische Schokoladen als Nahrungsergänzungsmittel positioniert und um Schokoladen in Form von Sticks für den raschen und vor allem gesunden Energiekick. Eine weitere Linie mit der ursprünglichsten aller Kakaobohnen zu kreieren, lag für Berger auf der Hand, als er von den seltenen Bohnen erfuhr. Zumindest, wenn er sie bekommen könnte.  

Klein, aber fein
Dass es nicht um eine Massendistribution gehen und das Projekt hart an der Grenze der Philan­thropie schrammen würde, war Berger klar. Doch die Idee, ein so hochwertiges Produkt auf den Markt bringen und damit zur Erhaltung von Biodiversität und Kleinstrukturen beitragen zu können, war dem Wiener Anreiz genug. Wichtig war ihm dabei, dass es keine großen Strukturen geben sollte, die unnötiges Geld für Marketing und Organisation verschlingen würden. Alles sollte vor Ort ankommen. Ein Wunsch, der ganz ohne Organisationen allerdings kaum zu bewerkstelligen ist. So sind mittlerweile sogar zwei Stiftungen involviert. Allerdings pro bono – wie sich von selbst versteht. Eine der Stiftungen heißt Weide. Die Initiative bietet eine Alternative zu Viehzucht, Kokaanbau und Drogenhandel sowie zum Bergbau und trägt damit zum inneren Frieden wie auch zum Schutz der Natur in der Region Caquetá bei. Der dortige Regenwald gehört zum genetischen Ursprungsgebiet des Kakaobaumes. Dies vermutete bereits 1820 der Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius während seiner Forschungsreise auf dem Río Caquetá. Daher rührt auch die Namensgebung für den gemeinnützigen Verein Martius. Sie ist die zweite beteiligte Stiftung, die 2022 gegründet worden ist, um die biologische Vielfalt des Regenwaldes zu bewahren und um Edelkakao nachhaltig zu nutzen. Bemühungen, die bereits Früchte tragen. „Die schwierige Lage der Kleinbauern in Kolumbien und Venezuela wurde durch die Kakao-Kooperation bereits erheblich verbessert“, berichtet Berger. Das Projekt sorgt unter anderem für höhere Ausbildung, eine bessere Infrastruktur und gerechte Bezahlung. Um die Entwicklung möglichst dauerhaft zu etablieren, errichtet Martius gerade ein eigenes Agroforst-Schulungszentrum für die Piaroa-Indigenen sowie ein Verarbeitungs- und Lagerzentrum für Früchte und Kakao. Dadurch sollen sie dauerhaft im Regenwald leben können und diesen schützen. Der Kreislauf ist logisch: Eine bessere Ausbildung ermöglicht höhere Erträge, ein sicheres Einkommen und bessere medizinische Versorgung. Funktionieren kann er allerdings nur, solange die indigenen Kleinbauern auch wirklich fair bezahlt werden.

Direkt ab Hof
Die insgesamt rund 200 beteiligten Familien des indigenen Stammes erhalten für ihre Ernte nun einen wesentlich höheren Preis als sonst üblich. Den Einkauf wickelt die Firma Dengel direkt über einen Vertreter des Stammes ab. „Wir geben einer der ärmsten Bevölkerungsschichten der Welt damit eine Möglichkeit, ihre einzigartigen Cupuacu-Kakaobohnen zu vermarkten, und wir garantieren ihnen zu 100 % einen fairen Preis, der im Moment das Vierfache davon ausmacht, was sie von den nicht immer sehr ehrlichen Zwischenhändlern bis jetzt erhalten haben“, erklärt Berger. „Dadurch können wir ihnen ein Leben ermöglichen, das ihre Dörfer über Generationen sichert.“ Ein Ansinnen, das auch durch den WWF bestätigt wurde. Positiv bestätigt wurde auch bereits die Biozertifizierung von 50 Hektar der gesamten Anbaufläche nach dem europäischen Standard. Ein teurer und aufwendiger Prozess, dessen Sinnhaftigkeit bei einer solchen Anbaumethode Berger durchaus infrage stellt, doch ohne Bio-Siegel sei im Handel nichts zu machen. Zudem hofft er mit dem Projekt die Bioqualität insgesamt auf ein noch höheres Niveau heben zu können. Was sich Berger und seine Partner wirtschaftlich von dem Projekt erwarten? Der Unternehmer winkt lachend ab. Reich werden könne man damit definitiv nicht. So begeistert auch alle Testkunden vom Geschmack waren, mehr als kleine Stückzahlen sind zunächst einfach nicht drin. Doch wenn es gut läuft und größere Mengen im Einklang mit den gesteckten Zielen produziert werden können, will er nach weiteren Vermarktungsmöglichkeiten suchen. Noch wichtiger als der große finanzielle Erfolg ist Manfred Berger, mit gutem Beispiel voranzugehen und Schule zu machen. „Wir wollen ein Vorbild sein und aufzeigen, dass es auch anders geht“, erklärt der Unternehmer. „Sonst würden wir die Entwicklung überhaupt nicht auf uns nehmen. Doch vielleicht kann Ähnliches auch mit Produkten wie Kaffee gelingen. „Damit würde ich mich gerne beschäftigen“, denkt Berger schon an den nächsten kleinen Schritt zur großen Veränderung.

Bio-Schoko