Nachhaltigkeit ist mehr als nur Ökologie
Wer nachhaltig agiert, wird Vorteile bei der Kreditvergabe genießen und bei Kunden punkten, meint Gerald Fleischmann. Die „braune Industrie“ muss sich dagegen auf Gegenwind und steigende Kosten gefasst machen. Wie sich die Nachhaltigkeitspläne der EU auf den Finanzsektor auswirken und warum es nicht immer nur um die Umwelt geht, erklärt der Generaldirektor der Volksbank Wien im Interview.
Die Europäische Union hat mit dem New Green Deal ambitionierte Ziele vorgelegt, die sich auch stark auf die Finanzbranche auswirken. Banken müssen nun etwa auch den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit ihrer Investitionen ermitteln. Wie wirkt sich das auf die Kreditvergabe aus? Die Green Economy stellt uns durchaus vor große Herausforderungen, da wir sehr umfangreiche Reportings erstellen müssen. Das schlägt sich auch auf die Unternehmen durch, da sie dafür sehr umfassende Daten zur Verfügung stellen müssen, auf deren Basis wir die Nachhaltigkeit beurteilen müssen.
Werden weniger nachhaltige Unternehmen infolge schwerer Kredite bekommen? Es wird klare Unterscheidungen zwischen grüner und brauner Industrie geben. Die grüne wird gewisse Preisvorteile genießen und die braune wird bestraft werden. Die große Diskussion dreht sich nun darum, wann Unternehmen zu welcher Gruppe zählen.
Bei welchen Fragen gibt es Unklarheiten? Es gibt beispielsweise Länder wie Frankreich, die Atomkraft für eine ökologische Lösung halten. Das sieht man in Österreich anders. Um solche Fragen wird noch auf politischer Ebene gerungen. Für die Unternehmen wird es wichtig sein, dass sie die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsmodelle darstellen können. Nicht nur den Banken, sondern auch den Kundinnen und Kunden gegenüber. Jeder tut gut daran, seine Nachhaltigkeit zu verbessern und dies auch belegen zu können. Wer das schafft, wird nicht nur bei den Banken einen Vorteil haben.
Wie viel teurer wird die Aufnahme von Krediten für die braune Industrie? Das ist noch nicht genau absehbar. Womöglich wird es unterschiedliche Kapitalunterlegungen geben.
„Unternehmen, die sich am Kapitalmarkt finanzieren wollen, werden sich ohne Nachhaltigkeitsratings sehr schwer tun.“
Nun kann nicht jedes Unternehmen sein Geschäftsmodell in Richtung Nachhaltigkeit verändern. An welchen Schrauben können etablierte Unternehmen rasch drehen, um sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten? Natürlich kann sich nicht jeder grundlegend umstellen. Die Bewertung wird etwa auch stark davon abhängen, mit welchen Methoden man produziert und was getan wird, um den CO₂- Ausstoß zu senken. Aber Nachhaltigkeit ist mehr als nur Ökologie. Auch soziale Fragen werden eine wesentliche Rolle bei der Bewertung spielen.
Der bürokratische Aufwand klingt extrem hoch. Wie wirkungsvoll schätzen Sie die Maßnahmen im Sinne der Umwelt ein? Der Aufwand ist dem Regulator egal. Hauptbelastete sind die Banken. Sie werden eingesetzt, um einen Transformationsmechanismus in Gang zu setzen. Die Logik dahinter lautet: Wenn Banken leichter grüne als braune Unternehmen finanzieren können, dann werden sich grüne Geschäftsmodelle durchsetzen.
Wie leicht lassen sich diese Anforderungen bei Ihren traditionellen Kunden anwenden? Wir unterscheiden stark zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. In der Ökologie sind uns zwei große Themengebiete wichtig: 1. Wie nachhaltig sind die Geschäftsmodelle, die wir finanzieren? Da tun wir uns als regionaler Banken-Verbund recht leicht, da wir vorwiegend Privat- und Gewerbekundinnen beziehungsweise -kunden finanzieren. Der Bäcker, der Schlosser oder das Kaffeehaus in der Region: Da sind wir daheim. Diese Betriebe haben kein Problem mit brauner Industrie. 2. Auch unsere Kundinnen und Kunden fragen vermehrt nach nachhaltigen Fonds, um ihr Geld zu investieren. Das ist ein echter Wachstumsmarkt, den wir mit entsprechenden Produkten bedienen. Extremer Druck kommt auch von institutionellen Investoren. Unternehmen, die sich am Kapitalmarkt finanzieren wollen, werden sich ohne Nachhaltigkeitsratings sehr schwer tun. In den nächsten Jahren wird es sich kein Unternehmen mehr leisten können, keine Nachhaltigkeitsstrategie zu haben. Wenn man eine gewisse Stufe nicht erreicht, wird man Emissionen kaum mehr am Markt platzieren können.
Welche Rolle spielt die soziale Dimension, die Sie angesprochen haben? Da haben wir den Vorteil des genossenschaftlichen Modells. Die Volksbanken sind vor 150 Jahren als Genossenschaft gegründet worden. Gewerbetreibende aus den Regionen haben Vorsorgekassen gegründet. Da konnten sie Geld einlegen, und regionale Betriebe konnten sich Geld ausborgen. Das hat in den Regionen für Wachstum gesorgt. Diesen Kreislauf halten wir nach wie vor hoch. Der Volksbanken-Verbund hat bis heute nur Genossenschaften als Eigentümer. Dadurch bleibt alles in der Region und wird dort investiert.
Wie verankern Sie das Thema bei Ihren Mitarbeitern? Wurde der Fokus auf nachhaltige Produkte incentiviert? Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen verpflichtende Nachhaltigkeits- und Genossenschaftsschulungen. Jeder soll unsere DNA kennen und wissen, wie wir agieren wollen. Es geht um Empathie und regionale Verankerung. Incentives für Verkäufe gibt es nicht. Denn wir wollen unseren Kundinnen und Kunden immer das verkaufen, was sie gerade in ihrer jeweiligen Situation brauchen.
Lassen Sie bereits finanziell gutes Geschäft liegen, um nachhaltig zu sein? Ja, allerdings nur im Kleinen. Wir haben es ja vorwiegend mit Gewerbekundinnen und -kunden zu tun.
Sehen Sie eine Chance darauf, dass Nachhaltigkeit den extrem hohen Takt der Finanzbranche verlangsamen könnte? Das alleine sehe ich nicht als entscheidenden Faktor. Eine Entschleunigung wird nicht vom Kapitalmarkt oder den Investoren kommen. Der Wandel wird stark von der Bevölkerung ausgehen. Es gibt zum Beispiel eine starke Tendenz zu Regionalität und Werthaltigkeit. Die Menschen wünschen sich umweltschonend produzierte Waren, die nicht erst um die halbe Welt transportiert werden müssen. Das wird sich mittelfristig auswirken.
Wann wird Nachhaltigkeit im Finanzbereich so selbstverständlich sein wie die Tatsache, dass in Flugzeugen nicht geraucht werden darf? Die Entwicklung schreitet extrem rasch voran. In zwei bis drei Jahren wird Nachhaltigkeit Standard sein.