Lieferketten-Bürokratie ist nicht genug

Lieferkette
27.03.2023

Das deutsche Lieferkettengesetz betrifft auch österreichische Zulieferer. Und auch ein EU-Gesetz ist in Arbeit. Das macht KMU zu schaffen, denn es gilt Nachweise zu liefern, dass ihre Lieferanten Arbeits-, Menschenrechts- und Umweltstandards befolgen.

Lieferketten CSR konform

Zukaufen bei Unternehmen, wo Menschen zwölf Stunden täglich ohne Tageslicht arbeiten? Logistiker beauftragen, deren Fahrer zu wenige Pausen machen? Mit Partnern zusammenarbeiten, die das Abholzen der Amazonas-Wälder fördern? Wenn es nach der Europäischen Union geht, soll mit all dem bald Schluss sein. Die EU arbeitet an einem Lieferkettengesetz, das Umweltstandards, Arbeits- und Menschenrechte absichern soll. Eckpunkte gibt es schon, doch Details werden noch ausgearbeitet. Sicher ist: Das Gesetz wird Unternehmen herausfordern, denn sie werden nicht nur nachweisen müssen, dass sie sich selbst an Menschenrechte und Umweltstandards halten, sondern auch, dass ihre Lieferanten das tun.
Unternehmen, die größere deutsche Unternehmen beliefern, sind schon jetzt in dieser Situation, denn Deutschland hat seit Anfang 2023 ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Deutsche Unternehmen – derzeit jene ab 3.000 Mitarbeitern, ab 2024 auch alle ab 1.000 Mitarbeitern – haben seither umfangreiche Compliance-Verpflichtungen für ihr eigenes Geschäft, aber auch für das ihrer unmittelbaren Zulieferer. Dazu gehört die Errichtung eines speziellen Risikomanagementsystems, regelmäßige Risikoanalysen und Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie die Einführung von Beschwerdestellen. Schon jetzt können Zulieferer großer deutscher Firmen also aufgefordert werden, Informationen zu menschenrechts- und umweltbezogenen Standards bereitzustellen – und zwar wiederum auch für ihre eigenen Zulieferer. Konkret müssen Unternehmen sich von ihren Zulieferern vertraglich zusichern lassen, dass auch diese sich an die Compliance-Regeln halten – und sich von Lieferanten ohne saubere Weste verabschieden.

Gute Basis geschaffen
Schon jetzt indirekt vom deutschen Lieferkettengesetz betroffen ist etwa das Vorarlberger Familienunternehmen Haberkorn, einer der führenden technischen Händler Europas mit 2.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und mehr als 30 Standorten im DACH-Raum und Osteuropa. Und da das Unternehmen mit tausenden Lieferanten zusammenarbeitet – allein im österreichischen Shop bietet Haberkorn 250.000 Produkte an – wird es auch vom EU-Gesetz direkt betroffen sein. Das Gute ist: Schon seit 2008 beschäftigt sich Haberkorn mit dem Thema Nachhaltigkeit. Vorstandsvorsitzender Gerald Fitz, der auch im Vorstand von respact, einer Unternehmensplattform für verantwortungsvolles Wirtschaften, ist, sagt: „Wir sind beim Thema nachhaltige Lieferketten unabhängig von gesetzlichen Anforderungen schon seit vielen Jahren vorneweg gegangen. Darum haben wir jetzt schon eine sehr gute Basis.“
2011 startete man ein großes Projekt, in dem versucht wurde, das gesamte Sortiment nach möglichen Risikobereichen zu screenen und herauszufinden, welche Produkte wie nachhaltig einzustufen sind. Außerdem wurde ein Code of Conduct für die eigenen Lieferanten entwickelt. Ein Großteil der A- und B-Lieferanten hat laut Fitz den Code of Conduct bereits unterzeichnet. Und im Vorjahr, als das deutsche Lieferkettengesetz beschlossen wurde, initiierte Haberkorn das Projekt „Weiterentwicklung Lieferantenmanagement“: „Damit wollen wir die Prozesse in der ganzen Gruppe so aufsetzen, dass sie dem deutschen Lieferkettengesetz gerecht werden.“ Außerdem ist man dabei, den Lieferanten-Selbstauskunftsbogen zu erweitern, einen Menschenrechtsbeauftragten einzusetzen und die Kontrolle des Managements sicherzustellen, sodass in Zukunft die geforderten Risikoanalysen umgesetzt werden können.

Chaos bei KMU
Betroffen sind aber auch KMU, die sich ebenfalls um die Nachweise kümmern müssen – und zwar spätestens mit der neuen EU-Richtlinie. Es wäre also gut, sich vorzubereiten. Doch das ist nicht einfach, wie René Schmidpeter, Nachhaltigkeits-Pionier und Management-Professor an der Berner Fachhochschule BFH, erklärt: „Besonders bei KMU herrscht derzeit Chaos, weil sich die Dinge laufend ändern und sie nicht genau wissen, was auf sie zukommt.“ Das Lieferkettengesetz ist nur eine von vielen Herausforderungen – Schmidpeter nennt auch die ESG-Regeln (Environment, Social, Governance) in der EU-Taxonomie, die UN Sustainable Development Goals (SDG) oder die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die ab 2025 kommen wird. „Dass sich da KMU nicht mehr auskennen, ist nachvollziehbar“, sagt Schmidpeter, vor allem, weil die Bildungspolitik verabsäumt habe, frühzeitig an Schulen und Universitäten zu beginnen, das Wissen für eine nachhaltige Wissensgesellschaft aufzubauen. Er bezweifelt, dass sich die geplanten politischen Instrumente, die oft einen erheblichen bürokratischen Aufwand darstellen, alleine eignen, um eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu erreichen. Er glaubt, dass derzeit vor allem Berater davon profitieren, die von Großunternehmen bezahlt werden, um „Box-Ticking“ zu betreiben: „Das Ganze ist oft mehr Show als eine echte Transformation. Und KMU können sich diese Berater vielfach nicht leisten.“ Für Schmidpeter sind die bürokratischen Vorgaben ohnehin nur Pflicht – viel interessanter sei die Kür: „Nur in der Kür können wir erreichen, dass wir Nachhaltigkeit und Profit integrativ denken.“ In Fachkreisen spricht man daher bereits von „beyond ESG“, was über die ESG-Kriterien hinausgehend bedeutet: „Das heißt, die Gesetze und Regeln der EU werden nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Wir haben schon zu viel Zeit verloren. Wir hätten mit alldem schon vor 20 Jahren beginnen müssen.“ Er nennt ein Beispiel: Das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2040 hätte zum Beispiel in der Autoindustrie viel früher vorbereitet werden müssen. Schmidpeter rechnet vor: „Es dauert ca. sieben Jahre, um ein Automodell zu entwickeln, dann wird es sieben Jahre am Markt verkauft und ist im Schnitt zehn Jahre auf der Straße.“ Das sind 24 Jahre.

Geschäftsmodelle überdenken
Nur das Nötigste zu tun wird also nicht reichen. Schmidpeter: „Unternehmen, die nur die bürokratischen Vorschriften erfüllen, werden verschwinden, weil der Marktdruck durch die gesellschaftlichen Anforderungen immer weiter zunehmen wird.“ Was also tun? „KMU werden sich grundlegend fragen müssen, ob ihr gegenwärtiges Geschäftsmodell den Ansprüchen der Zukunft gerecht wird.“ Bis sie neue Business-Modelle aufgebaut haben, können sie die alten Modelle weiterfahren, Know-how aufbauen und dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter nachhaltig denken. Und wenn dann alle Produkte, Prozesse und Strategien nachhaltig gestaltet sind, erfüllt man auch sämtliche Lieferkettengesetze und Berichtspflichten – quasi als Nebeneffekt – gleich mit.