BM Leonore Gewessler
„Der Markt der Zukunft verlangt grüne Produkte“
Leonore Gewessler leitet seit 2020 das „Superministerium“ für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Die aus der Steiermark stammende Politikerin der Grünen war u.a. Gründungsdirektorin der europäischen politischen Stiftung Green European Foundation und Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000 und setzte sich unter anderem gegen den Einsatz von Glyphosat, das Atomkraftwerk Mochovce und die Handelsabkommen CETA und TTIP ein.
Im großen Interview mit "Die Wirtschaft" spricht sie über das Klimaschutzgesetz, das Lieferkettengesetz, Förderungen für die Wärme- und Energiewende, Fotovoltaik, die Verkehrswende und über die Klimaproteste.
Interview: Stefan Böck und Alexandra Rotter, Fotos: Bubu Dujmic
Die Wirtschaft: Frau Bundesminister, Sie haben angekündigt, das Klimaschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Angenommen, das gelingt: Was kommt dabei auf kleinere und mittlere Betriebe zu?
Leonore Gewessler: Wir haben in dieser Legislaturperiode bereits viele Klimaschutzgesetze beschlossen und durchgesetzt. Dazu gehören der Bahnausbau, der Erneuerbaren-Ausbau, Einweg-Pfand und Mehrwegquoten, die Investitionen in die Bahninfrastruktur oder das Klimaticket. Das Klimaschutzgesetz ist so etwas wie der institutionelle Rahmen für diese Gesetze. Und wie alle Gesetze es für Unternehmen zwei Dinge lösen: langfristige Planbarkeit und Klarheit in der Perspektive. So können sie die Investitionen tätigen, die es braucht, um klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen und in den Produktionsprozessen die Emissionen zu senken. Es geht nicht darum, die Emissionen von heute auf morgen auf Null zu reduzieren, sondern Unternehmen müssen die Investitionen zu dem für sie jeweils optimalen Zeitpunkt machen können. Da ganz viele Regularien, die für Unternehmen wichtig sind – zum Beispiel der Wohnbau – Länderkompetenzen sind, muss auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sichergestellt werden. Und dafür braucht es einen institutionellen Rahmen. Besonders wichtig ist dabei, dass wir diese Veränderung mit den entsprechenden Förderungen unterstützen. Seit meinem Amtsantritt haben diese ungeahnte Höhen erreicht.
Zum Beispiel?
Seit ich im Amt bin, haben wir die Photovoltaik-Förderungen von 50 auf 600 Millionen hochgeschraubt. Wir haben die Sanierungsförderung mit 2,6 Milliarden in den nächsten Jahren abgesichert. Wir haben mit der Industrietransformation erstmals eine Förderung, die eine langfristige Perspektive bis 2030 abbildet.
Eröffnet das Klimaschutzgesetz also neue Fördertöpfe und einen leichteren Zugang zu den bestehenden?
Wir schauen, dass wir Schritt für Schritt das Umfeld für die Unternehmen so gestalten, dass wir ihre notwendigen Investitionen in den Klimaschutz bestmöglich unterstützen. Deshalb evaluieren wir regelmäßig und gemeinsam mit der Wirtschaft und den Branchen, wie wir Förderungen weiterentwickeln und den Zugang für die Unternehmen vereinfachen können. Grundsätzlich müssen wir zwei Dinge auseinanderhalten: Da ist auf der einen Seite die gesetzliche Absicherung in einem Klimaschutzgesetz – Klimaneutralität 2040: Dorthin geht die Reise und darauf kann ich mich als Unternehmen verlassen und meine Investitionen bauen. Auf der anderen Seite gibt es eine Förderkulisse, die das unterstützt.
Viele KMU sind allerdings jetzt schon von der Bürokratie im Förderdchungel überfordert. Wie stellen Sie sicher, dass das Fördersystem der Zukunft niederschwellig und smart umgesetzt wird?
Dieses Thema diskutieren wir gerade sehr intensiv beim Lieferketten-Gesetz. Hier möchten wir sicherstellen, dass jene Verpflichtungen, die auf Unternehmen zukommen, möglichst mit anderen gesetzlichen Regelungen im Einklang stehen und so der zusätzliche Aufwand möglichst gering ausfällt. Im Rahmen des betrieblichen Umweltmanagements etwa sammeln viele Firmen schon jetzt Daten zu den Umweltauswirkungen oder machen ein Lieferanten-Audit. Wir bemühen uns gerade auf europäischer Ebene, dass das Lieferketten-Gesetz und das Gesetz zur Nachhaltigkeitsberichterstattung möglichst ineinandergreifen und auf die gemeinsame Taxonomie referenzieren. Der Aufwand für die Unternehmen soll dadurch überschaubar sein, damit wir einen gesellschaftlichen Mehrwert erreichen und zu höheren und besseren Standards im Umweltbereich kommen.
Glauben Sie wirklich, dass es funktionieren kann, eine zusätzliche gesetzliche Klammer zu schaffen, mit der am Ende alles leichter wird, obwohl noch mehr Vorschriften kommen?
Wir bemühen uns wirklich, dass bei den drei angesprochenen europäischen Gesetzesmaterien die Dinge gut ineinandergreifen. Beim Lieferketten-Gesetz, das wie gesagt noch in Verhandlung ist, wird sehr darauf geachtet, ab welcher Unternehmensgröße es überhaupt relevant ist. Wir sehen 500 Beschäftigte als Grenze. Das heißt, kleinere Unternehmen betrifft es nur, wenn sie ein Teil der Lieferkette eines großen Unternehmens sind und da auch nur in den Risikosektoren wie etwa Bergbau oder Textil. In diesem Gesetz sind auch Informationspflichten, Unterstützungsangebote, Plattformen und finanzielle Unterstützung durch die Regierungen vorgesehen. Das Gesetz selbst berücksichtigt damit also auch die nötige Unterstützung von Unternehmen. Aber klar, das sind große neue Materien, die natürlich eine Einführungsphase benötigen werden, die wir bestmöglich unterstützen möchten.
Könnte man nicht einige dieser Themen auch über eine freiwillige Verpflichtung steuern, ganz ohne neue Vorschriften? Viele Unternehmen spüren ohnehin den Druck des Marktes in Richtung mehr Nachhaltigkeit.
Ich bin überzeugt, dass die Wettbewerbsfähigkeit und der Markt der Zukunft in grünen Produkten, Dienstleistungen, Technologien und Prozessen liegt. Aber Markt und Gesetze sind keine Gegenpole. Jeder Markt funktioniert innerhalb politischer und gesetzlicher Rahmenbedingungen. Bei dieser Debatte wird oft übersehen, wie wichtig Leitplanken sind, um Innovation zu fördern, Klimaschutz-Technologien voranzubringen und dafür zu sorgen, dass der Markt dort investiert, wo es für die Zukunft wichtig ist und diese Investitionen volkswirtschaftlich effizient erfolgen. Die Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der Umstieg auf ein klimaneutrales Wirtschaften gelingt.
Was treibt Unternehmen aus Ihrer Sicht an, sich mehr für Nachhaltigkeit zu engagieren?
Ich bin viel im Austausch mit Unternehmerinnen und Unternehmern. Sie erzählen mir, dass die großen Treiber für das Thema Nachhaltigkeit oftmals die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder die Kundinnen und Kunden sind. Das sind gute Neuigkeiten, weil es zeigt, dass diese Themen in der Breite angekommen sind. Ich höre von den Betrieben aber auch die Bitte, konsequente, ambitionierte Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich alle gemeinsam in die richtige Richtung bewegen. Wir dürfen nicht bremsen und verzögern. Die Transformation findet statt, deswegen müssen wir sie gemeinsam gestalten. Der Markt der Zukunft verlangt grüne Produkte. Österreich und Europa müssen davon profitieren können und vorne dabei bleiben. Wir haben in unserem Land dafür die besten Voraussetzungen: innovative Unternehmen, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einen hohen Anteil an erneuerbarer Energie. Daraus können wir wirklich etwas machen, das ist unser gemeinsamer Auftrag.
Wird die Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Österreich noch in dieser Legislaturperiode spruchreif?
Momentan wird noch auf europäischer Ebene verhandelt. Zuerst legt die Kommission einen Vorschlag vor, dann beschließen das Parlament und der Rat ihre jeweiligen Verhandlungspositionen und danach verhandeln die drei Partner miteinander im Trilog – und in diesem Zustand ist das Lieferkettengesetz gerade. Das Ziel ist, es noch vor den Europawahlen, also im ersten Halbjahr 2024, abzuschließen. Das heißt, die nationale Umsetzung fällt dann zum allergrößten Teil in den Zeitraum nach dem Ende der laufenden österreichischen Legislaturperiode.
In der Bauwirtschaft schrillen die Alarmglocken. Kann der Staat die Bagger anwerfen? Gibt es Infrastrukturprojekte, die beauftragt oder vorgezogen werden können, um der Bauwirtschaft zu helfen?
Wir haben in meinem Ressort, was Investitionen in die Infrastruktur betrifft, von Anfang an ausgereizt, was geht. Warum? Weil wir diese Investitionen in eine nachhaltige Infrastruktur zum Beispiel im Eisenbahn- oder im Strombereich für die Transformation Richtung Klimaneutralität brauchen. Wir haben für den Bahnausbau ein Rekordbudget von 19 Milliarden Euro für Bahninfrastruktur-Projekte in den nächsten sechs Jahren. Die Asfinag investiert jährlich mehr als eine Milliarde in Projekte und Sanierungen. Wir investieren im Strombereich massiv ins Netzwerk und haben vor wenigen Wochen einen österreichischen Netz-Infrastrukturplan vorgelegt, der die mittelfristige Entwicklung in der Energieinfrastruktur, also Strom, Gas, Wasserstoff vorzeichnet. Aus alldem leiten sich ganz konkrete Bauprojekte ab. Wir haben einen riesigen Bedarf beim Thema thermische Sanierung und generell bei der Sanierung des Gebäudebestandes. Auch dafür haben wir die Förderungen erhöht und gemeinsam mit der Bauwirtschaft eine Informationskampagne gestartet, um das anzukurbeln. Das schafft lokale und regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Das ist also auch für die Baubranche eine große Chance.
Vermutlich würde die Bauwirtschaft gerne noch ein paar neue Vorhaben genannt wissen, aber die ganz großen Projekte sind offenbar schon am Entstehen.
Die sind auf Schiene, vom Brenner- über den Koralm- zum Semmering-Basistunnel. Wir investieren nicht nur in den Strecken-Neubau, sondern auch in die Sanierung und Elektrifizierung. Und wir sanieren im hochrangigen Straßennetz. Wir schauen wirklich, dass wir Impulse setzen, wenn auch etwas anders als in der Vergangenheit. Denn diese Investitionen sollen uns gleichzeitig bei der Transformation helfen, die wir für den Klimaschutz brauchen.
Die Wirtschaftskammer hat diesbezüglich im Juli Forderungen präsentiert, darunter die Anpassung der Baukosten-Obergrenzen bei der Wohnbauförderung, leichtere Kreditvergabe im privaten Wohnbau, Senkung der Grunderwerbssteuer, Eigenheimzulage und Handwerkerbonus. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen?
Ich glaube, man muss bei allen Maßnahmen, die wir als Gesellschaft oder als Bundesregierung setzen, sehr darauf achten, ökologisch, sozial und wirtschaftlich vernünftig zu handeln. Der Handwerkerbonus ist ein gutes Beispiel. Während diese Maßnahme in der Vergangenheit quer über alle Sektoren gesetzt wurde, setzen wir jetzt Maßnahmen, die zwar auch alle das Handwerk unterstützen, aber eben in den Bereichen, die wir brauchen, um unsere Klimaziele zu schaffen: die Photovoltaikförderung, der Reparaturbonus, die Sanierungsoffensive, der Raus-aus-Öl-und-Gas-Bonus brauchen alle Handwerkerinnen und Handwerker zur Umsetzung. Als zweites Beispiel will ich die Eigenheimzulage herausgreifen: Wir haben in Österreich eine gut funktionierende Wohnbauförderung, die Ländersache ist und den Wohnbau unterstützt. Da sehe ich nicht zwingend den Bedarf, eine neue Zulage zu machen, die nur jene anspricht, die sich ein Eigenheim leisten können oder wollen. Das ist ungerecht gegenüber jenen, die kein Eigenheim bauen wollen oder in Miete wohnen. Da ist eher die Frage, wie man es schafft, die Wohnbauförderung wieder stärker in Richtung Wohnbau zu lenken. Wir verhandeln ja gerade den Finanzausgleich. Finanzminister Magnus Brunner ist gefordert, die Zweckwidmung der Wohnbauförderung umzusetzen, damit die Länder auch wieder stärkere Schwerpunkte setzen und die Wohnbauförderung dort einsetzen können, wo sie gebraucht wird.
Werden die Förderungen bei der Gebäudesanierung weitergeführt?
Ja, wir entwickeln unsere Förderungen stetig weiter und haben etwa den Sanierungsbonus auf maximal 14.000 € erhöht. Und es läuft gerade eine große Kampagne, die die Menschen auf die Möglichkeit der Unterstützung einer Sanierung hinweist. Wir haben uns nämlich angeschaut, was die Menschen davon abhält, eine Sanierung oder einen Heizkesseltausch anzugehen. Und ganz oft ist es die fehlende Information über die Unterstützungsmöglichkeiten.
Branchenvertreter wünschen sich im Wärmebereich mehr Technologieoffenheit und meinen, ein Verbot von Öl- und Gasheizungen schaffe ein zu enges Korsett und verhindere etwa die Möglichkeiten von Hybridheizungen. Wie sieht der Fahrplan aus?
Wir haben im Klimaschutz eine große Herausforderung im Gebäudebereich, denn es gibt in Österreich noch viele Wohnungen und Gebäude mit fossilen Heizsystemen. Klimaneutraler Gebäudebestand heißt: Wir müssen raus aus diesen Heizsystemen. Niemand stellt sich freiwillig gern einen Öltank in den Keller, weil er so gut riecht oder so schön ausschaut. Das war früher der technologische Standard, aber jetzt haben wir bessere Alternativen – mit der Wärmepumpe, mit Erdwärme, Fernwärme, mit einem Nahwärmenetz, mit einer Biomasse-Heizung. Diese besseren Alternativen unterstützen wir, weil uns die Abhängigkeit von fossilen Heizsystemen teuer zu stehen kommt. Das haben wir im letzten Jahr deutlich gesehen und zu spüren bekommen. Wir müssen die Rahmenbedingungen deshalb so setzen, dass niemand mehr einer jungen Familie einreden kann, die Gasheizung sei eine super Idee und das System der Zukunft. Wir müssen raus aus fossilen Heizsystemen und benötigen dafür gesamtgesellschaftlich gute Regelungen. Das wird auch der Rahmen im Erneuerbaren-Wärmegesetz abbilden, das mit Förderungen mit mehr als zwei Milliarden Euro langfristig abgesichert ist. Wir unterstützten einkommensschwache Haushalte mit unserer Förderung beim Umstieg auf ein neues klimafreundliches Heizsystem sogar zu 100 Prozent.
Energieintensive Branchen kämpfen immer noch mit den gestiegenen Energiekosten – und manche sogar ums Überleben. Gibt es in Ihrem Ressort einen Plan, Unternehmen rasch und unkompliziert finanziell zu unterstützen?
Wir arbeiten hier auf drei Ebenen: unmittelbare Krisen-Unterstützung, strukturelle Veränderungen im Strommarkt und Unterstützung in der Transformation, damit wir die Unternehmen in Österreich gut begleiten. Erstens haben wir als Bundesregierung in dieser Krisensituation, in der wir uns befinden, weil Wladimir Putin Energielieferungen nach Europa als Waffe in einem Angriffskrieg in der Ukraine verwendet und Europa mit den Lieferungen erpresst, zum Beispiel mit dem Energiekosten-Zuschuss und der Energiekosten-Pauschale rasch und unkompliziert geholfen. Wir haben auch die Erdgasabgabe und die Elektrizitätsabgabe gesenkt. Zweitens gehen wir das Thema strukturell an: Eines meiner Hauptthemen auf europäischer Ebene ist die Reform des europäischen Strommarkts. Wir brauchen mehr Erneuerbare im System, denn das ist langfristig der Weg aus der Kostenfalle der fossilen Energien.
Was ist der dritte Punkt?
Die dritte Ebene sind Investitionen in die Zukunft. Wir haben einen Transformationsfonds mit knapp drei Milliarden Euro bis 2030 aus dem Klimaschutzministerium für die Industrie aufgelegt und damit langfristige Planbarkeit und Klarheit geschaffen. Dieser Fonds unterstützt besonders die produzierende und energieintensive Industrie dabei, die Investitionen zu tätigen, die es für die Transformation braucht.
Wir haben in Österreich vor allem mittelständische Unternehmen, von denen schon jetzt viele in gewissen Bereichen Weltmarktführer sind. Sie stehen in einem sehr starken Wettbewerb und haben einen extrem hohen Investitionsdruck. Wie kann man dafür sorgen, dass diese Unternehmen nicht den Anschluss verlieren?
Wir haben die betriebliche Umweltförderung im Inland, wo wir betriebliche Investitionen in die Transformation unterstützen. Das reicht von Abwärmenutzung zu Prozessumstellung bis zur Heizungsumstellung. Diese Gelder sind für Großunternehmen und natürlich auch für kleine Betriebe und Gemeinden da. Ich will auch, dass das Geld ausgegeben wird und bei den Unternehmen ankommt.
Wie kann man speziell im urbanen Bereich von der Gastherme wegkommen?
Die Wien Energie hat hier sehr ambitionierte Pläne mit einem Dekarbonisierungs-Fahrplan bis 2040. Wien ist da ein wichtiger Player, weil es da noch so viele Gasheizungen gibt. In Wien gehört zu den Alternativen u.a. eine Kombination aus Fernwärme und Erdwärme. Wien hat ja das Glück auf einem geothermischen Potenzial zu sitzen und ein Fernwärmenetz zu haben. Der nächste Schritt wird sein, Fernwärmegebiete und -ausbaugebiete zu definieren, damit die Menschen wissen, was in ihrem Wohnbereich die Lösung ist.
Die Geschäftsführerin vom Photovoltaik-Verband hat kürzlich in einer Aussendung betont, wie wichtig der Netzausbau ist. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig?
Wir haben in Österreich momentan einen Photovoltaik-Rekord. Wir haben 2022 erstmals in der Geschichte dieser Republik mehr als ein Gigawatt Photovoltaik-Leistung ans Netz gebracht. Wir haben von 2020 bis 2022 so viel Photovoltaik zugebaut, dass wir die Leistung verdoppelt haben. Der Boom ist enorm. Wir haben im letzten Jahr schon viel mehr gefördert als gebaut werden konnte. Und wir konnten mit dem Rekord-Fördertopf dieses Jahr alle Förderanträge von Privatpersonen und jene aus den letzten Jahren abarbeiten. Dennoch schauen wir uns immer gemeinsam mit der Branche und dem Regulator, also der e-Control, an: Wo sind Hürden in den Strom- und Energiesystemen, die für die fossile Vergangenheit gebaut wurden? Wo müssen wir nachbessern, damit wir der Photovoltaik, der Windenergie, der Wasserkraft den Weg ebnen? Mein Ministerium hat eine Studie gemacht, auf dem ein Aktionsplan der e-Control aufbaut.
Worum geht es da?
Die wichtigsten Fragen sind: Wie macht man die Netz-Anschlüsse leichter? Wie kommt man zu besser strukturierten und schnelleren Verfahren? Parallel dazu arbeiten wir gerade an einer Reform des Gesetzes zum Strommarkt in Österreich, wo wir dem Netzausbau mehr Gewicht geben wollen. Wir brauchen die Netze, sie sind ein wichtiges Rückgrat der Energiewende. Sie stellen uns vor viele Herausforderungen. Es gibt einen Reinvestitions-Zyklus. Teilweise sind sie alt. Deshalb muss hier investiert werden. Die Digitalisierung ist eine Herausforderung. Und wir brauchen sie für die Energiewende. Da haben wir einen Auftrag und das wollen wir im Strommarktgesetz neu auch auf der kleinteiligen Verteilnetz-Ebene besser regeln.
Wird das Fördersystem für Photovoltaik, das bisher nach dem First-Come-First-Serve-Prinzip funktioniert hat, reformiert?
Wir haben 2023 mit dem Budget von 600 Millionen Euro alle privaten Anträge abgearbeitet, ganz egal, ob man in der ersten Stunde der Frist oder drei Wochen später beantragt hat. Wir sind also für dieses Jahr gut aufgestellt. Und trotzdem sehen wir jetzt, dass mit dieser enormen Nachfrage – wir hatten bei der Photovoltaik im ersten Halbjahr 100.000 Anträge – ein Fördersystem an seine Grenzen gelangt. Deswegen habe ich dem Finanzminister den Vorschlag gemacht, dieses System zu ändern, sodass die Mehrwertsteuer für die Photovoltaik entfällt: So würde die Installation günstiger werden und es wäre eine wesentliche Erleichterung, weil der Bürokratieaufwand wegfallen würde. Das ist ein System, das in Deutschland bereits umgesetzt worden ist. Ich glaube, das wäre bei diesem Wachstum und diesem Volumen eine gute Weiterentwicklung.
Wie sehen die Pläne zum weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos aus?
Wir sehen bei der E-Mobilität, dass unsere Förderungen wirken. Das ist großartig. Wir hatten 2022 bei den Neuzulassungen 18 Prozent reine Elektroautos. Wir müssen parallel dazu aber auch die Infrastruktur ausbauen. Deswegen haben wir auch hier die Förderungen weiterentwickelt. Man kann sich auch nachträglich den Infrastruktur-Einbau fördern lassen, um ein Beispiel zu nennen. Ein zweiter Bereich ist das hochrangige Straßennetz, wo wir mit der Asfinag als bundeseigener Autobahnbetreiberin auch eine Möglichkeit haben, vorausschauend zu agieren. Die Asfinag hat ein sehr ambitioniertes Ausbauprogramm für die Ladeinfrastruktur sowohl für Pkw als auch für Lkw. Bis 2030 errichtet die Asfinag 1.500 Ladepunkte für Pkws. Wir haben am hochrangigen Straßennetz eine der am besten ausgebauten Ladeinfrastrukturen Europas und erfüllen die Ziele, die wir 2025 erreichen müssen, beinahe schon jetzt. Aber wir wollen hier weiter investieren, und das tut die Asfinag.
Stichwort eFuels: Wird es da Unterstützung für die Industrie geben?
Wir sehen, dass alle großen Automobilhersteller in Europa für sich entschieden haben, dass die Reise Richtung E-Mobilität geht. Warum? Weil es die effizienteste und günstigere Technologie ist. eFuels sind wahnsinnig energieaufwändig und werden auch wahnsinnig teuer sein. Wenn 2030 ein Liter eFuel, den es ja jetzt noch gar nicht gibt, sechs Euro kostet und sich dann nur mehr die Porsche-NutzerInnen das Autofahren leisten können, ist das kein sinnvoller Weg. Wir werden eFuels in großen Mengen im Flugverkehr und in der Schifffahrt brauchen. Und dort fördern wir auch die Forschung und Entwicklung, zum Beispiel in unserem Luftfahrt-Programm Take Off.
Glauben Sie, dass Ihr Ressort etwas beitragen kann, einen Ausgleich zu schaffen zwischen den Klimaprotesten und den Autofahrern? Da ist die Stimmung derzeit aufgeheizt.
Ich glaube, jeder und jede, die in Verantwortung ist, hat auch Verantwortung in solchen gesellschaftlichen Debatten. Ich verstehe, dass Menschen, die wegen einer Aktion im Stau stehen und nur ihr Kind in die Schule bringen oder zur Arbeit kommen wollen, genervt sind. Ich verstehe aber auch eine Generation, die Angst hat um ihre Zukunft, weil da geht es um etwas Fundamentales. Die Klimakrise ist nicht irgendein nebensächliches politisches Problem. Da geht es um die Frage, ob wir 2040, 2050 auf diesem Planeten und in diesem Land noch gut leben können. Haben wir da eine gute Zukunft, ist ein gutes Wirtschaften möglich? Wir werden nur auf einem intakten Planeten und in einem guten Klima wirtschaften können. Deswegen ist mir so wichtig, bei der Debatte das Augenmaß nicht zu verlieren. Was bei den Aktionen passiert, ist ziviler Ungehorsam. Und eine starke Demokratie hält zivilen Ungehorsam aus. Wenn es darüber hinausgeht, und etwa Menschen gefährdet oder Sachen beschädigt werden, gibt es schon jetzt Gesetze, die dann auch zur Anwendung kommen sollen.
Vielen Dank für das Gespräch.