Interview
Wer die Krise durchtauchen will, kann dabei ertrinken
Die Wirtschaft: Sie haben 2008 die Beratungsagentur plenum mitgegründet. Welche Unternehmen beraten Sie?
Alfred Strigl: Wir beraten große Konzerne wie Swarovski, Raiffeisen oder die Post. Mit den Bundesforsten haben wir den ersten Nachhaltigkeitsbericht Österreichs erstellt, weil wir dies als wichtiges Tool betrachten, um Nachhaltigkeit in Unternehmen zu bringen.
Wie glaubwürdig ist die Nachhaltigkeit großer Konzerne?
Fest steht: Nachhaltigkeit darf nicht zu einer schaumschlägerischen Massenbeschäftigungstherapie werden. Natürlich ist bei den großen Konzernen Skepsis angebracht. Die reale Nachhaltigkeit wie Eindämmung der Bodenversiegelung, Wasser oder Kreislaufwirtschaft ist vielerorts noch gar nicht da. Zugleich sind Rüstungsindustrie, Alkohol, Tabak oder Suchtmittel Teil unserer Gesellschaft und mit dieser Wirklichkeit arbeite ich. Ich verwehre mich auch nicht dagegen, dass die großen Konzerne von uns selbst erschaffen wurden. Allerdings muss vonseiten des Unternehmens die Bereitschaft da sein, etwas zu verändern. Dann entwickle ich aus der Vision einer schönen Zukunft Schritt für Schritt das gegenwärtige Modell.
Haben Sie auch schon negative Erfahrungen gemacht?
Ich habe früher mit der OMV zusammengearbeitet, da die damaligen Vorstandsvorsitzenden bereit waren, sich für Veränderungen einzusetzen. Mit Gerhard Roiss habe ich den Future Energies Fund gegründet und gemeinsam mit Alexander Van der Bellen und Helga Kromp Kolb viel Geld investiert. 2015 kam dann der neue Vorstandsvorsitzende Rainer Seele, der alles abwürgte und sich nicht einmal dazu bereit erklärte, mich zu empfangen.
Wie kann Nachhaltigkeit in Unternehmen gelingen?
Äußere Nachhaltigkeit gelingt nur, wenn die inneren Werte und Haltungen stimmen – individuell, in den Teams und Organisationen. Darauf basieren auch die Inner Development Goals (IDGs), die in Anlehnung an die Sustainable Development Goals (SDGs) geschaffen wurden. Dabei geht es um die Überzeugung, dass innere Entwicklung ein wesentlicher Hebel ist, um mit globalen Problemen und Veränderungen effektiv umgehen zu können.
Was kann man sich darunter vorstellen?
Wenn du als Unternehmer deine Löhne nicht zahlen kannst und das mit deiner Belegschaft teilst, ihr gemeinsam nach Lösungen sucht, dann entsteht dauerhafte Lebensfreude. Wenn ich mit anderen über Gefühle der Angst oder Ohnmacht reden kann, ist das ein erster Schritt. Das schaffen wir nur über den Umweg, nach innen zu gehen und uns selbst liebzuhaben. Immer mehr Unternehmen erkennen, welche Kultur sie im Innen leben. Wie arbeiten die Menschen zusammen, gibt es eine Begegnung auf Augenhöhe? Den KMUs wird immer mehr bewusst, dass man niemanden knebeln und fesseln kann. Die Menschen werden immer bewusster, machen Yoga und Retreats – und dann sollen sie in der Arbeit noch vorsintflutliche Verhältnisse akzeptieren? Das geht sich nicht mehr aus.
Haben Sie auch Erfahrung mit KMUs?
Ich begleite in Kursen auch KMUs. Sie sind eher an einer authentischen Nachhaltigkeit dran als große Konzerne, wo es viel mehr Greenwashing gibt. KMUs sind mehr mit dem regionalen Umfeld verbunden und betreiben eher gutes Beziehungsmanagement mit Kunden und Partnern.
Sie haben einen Lehrauftrag für nachhaltiges Bauen an der Technischen Universität Wien. Wie können KMUs die aktuelle Krise am Bau für die notwendige Transformation nutzen?
Ich glaube, Europa ist gebaut. Es geht nicht mehr um Neubau, um Neuerschließung und -versiegelung, sondern wir benötigen einen Umbau, der regeneriert und Flächen freilegt. Bis vor Kurzem hatte die Baubranche eine günstige Großwetterlage, doch jetzt ist die Inflation da und Häuslbauerkredite sind nicht mehr möglich. Die Verantwortlichen sollten sich folgende Fragen stellen: Brauchen wir weiterhin so viele Gewerbe und Jobs in der Baubranche? In anderen Bereichen werden Menschen gesucht, wie etwa bei Bildung, Training, Gesundheit. Wo ist ein guter Weg, mit den Trends wie Digitalisierung oder Kreislauffähigkeit zu gehen? Mein Rat für KMUs ist, nahe an den Bedürfnissen der Menschen zu bleiben. Nicht die Krise gehorsam zu „durchtauchen“, sondern wendig bleiben. Viele, die durchtauchen wollen, tauchen nie wieder auf.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ich habe einen Schlossereibetrieb beraten, der schließen musste. Er hat sich auf Digitalisierung spezialisiert und seine Mitarbeiter umgeschult. Oder ein Polier mit pädagogischen Fähigkeiten könnte an der Baufachakademie Kurse geben. Kollaboration und Kommunikation sind ebenfalls wichtig: so können Baumeister regionale Stammtische zum Beispiel mit Installateuren oder Rauchfangkehrern einführen und sich mit Rotary Club oder Baufachakademie vernetzen. Nachhaltigkeit bedeutet auch, regional und gemeinsam zu wirtschaften. Und echtes nachhaltiges Wirtschaften bedeutet auch, bestehende Gesetze zu brechen und Regeln zu missachten.
Können Sie das näher erklären?
Die heutigen Gesetze sind einer tiefen Nachhaltigkeit entgegenstehend. Ich bin etwa für transparente Absprachen mit Shareholdern und Stakeholdern und für die Offenlegung sämtlicher Kosten, inklusive der Finanzströme der Geld- und Kreditgeber: Steuern, Abgaben, Kreditverpflichtungen, Tilgungen. In einem assoziativen Wirtschaftskreis erkennen die Kunden, wo und wem sie wie viel Geld bezahlen. Der Lebensmitteleinzelhandel etwa nimmt sich sehr hohe Gewinnmargen raus - wieso müssen wir das zahlen? In meinem Kopf des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens sitzt der Bauer mit dem Banker, dem Händler und den Medien an einem Tisch und bespricht öffentlich die Preise. Sind wir schon so erwachsen? Nein.
Glauben Sie, dass angesichts multipler Krisen nachhaltige Veränderung überhaupt noch möglich ist?
Die Medien und die Akademiker reden uns Katastrophen ein: Klima, Weltuntergang, CO₂-Kollaps. Das macht uns Angst und führt dazu, dass wir uns ohnmächtig fühlen und zu der Annahme, dass wir ohnehin nichts ändern können. Das bereitet mir Sorgen und deshalb trete ich bewusst anders auf. Ich fordere dazu auf: erkenne deine Angst, nimm die Angst als Chance wahr, arbeite mit ihr. Inner development bedeutet auch, Gefühle zuzulassen, in die Empathie gehen, auch mit sich selbst. Ganz wichtig ist auch, auf das Gute zu schauen.