Die Politik kann das Problem nicht lösen
Der Vordenker Professor Franz Josef Radermacher macht eines deutlich: Klimawandel und Bevölkerungsexplosion hängen direkt zusammen. Nur wenn auch Privatpersonen tief in die Tasche greifen, wird sich ein Kollaps abwenden lassen. Welche Rolle Methanol dabei spielt und warum wir die Herausforderungen nicht in Europa lösen können, erklärt der Wissenschaftler im Interview. Interview: Stephan Strzyzowski

Auch wenn extreme Wetterereignisse kontinuierlich zunehmen, sind die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels halbherzig. Sie haben ein Buch mit dem Titel „Der Milliarden Joker“ verfasst, mit dem Sie zeigen wollen, wie Europa den globalen Klimaschutz jetzt revolutionieren kann. Wo kann man ansetzen? Zunächst muss man feststellen, dass das zentrale Problem im Klimabereich heute China ist. Das Land verursacht mehr CO2-Emissionen als die USA, Europa und Japan zusammen. Das nächste Problem werden Afrika und der indische Subkontinent sein. Dort findet nach wie vor ein sehr hohes Bevölkerungswachstum statt. In 30 Jahren wird es dort dreimal so viele Menschen wie in China geben. Heute emittieren diese Menschen im Mittel nur etwa eine Tonne C02 pro Jahr, sie sind aber auf dem Weg zu drei bis vier Tonnen. Wer also das Klimaproblem lösen will, muss die Wachstumsprozesse in Afrika, auf dem indischen Subkontinent und in weiteren Schwellenländern klimaneutral realisieren.
Welche Rolle spielt Europa bei der Gestaltung dieser Entwicklung? Bis heute keine relevante Rolle. Das Problem wird kaum diskutiert. Unsere Orientierung geht völlig am Thema vorbei. Die Europäer müssen sich endlich und dringend von der Vorstellung verabschieden, dass wir das Klimaproblem in Europa lösen können. Was wir da tun, ist teuer, ineffizient und hilft wenig. Es geht heute vielmehr darum, den privaten Sektor zu mobilisieren. Die Top-Emitter, die Spitzengruppe in Einkommen und Besitz, müssen wir motivieren, aus Eigeninteresse das Richtige zu tun. Da geht es nicht darum, in Österreich Gebäude energetisch zu sanieren oder E-Autos zu fahren. Vielmehr müssen Milliarden an Euro in Projekte in Afrika und Indien investiert werden. Dort erreichen wir eine wesentlich größere Wirkung mit den eingesetzten Mitteln.
Von welchen Summen sprechen wir? Wir brauchen nach meinen Schätzungen etwa 500 Milliarden Euro pro Jahr, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Die Politik wird diese Beträge nicht aufbringen.
China, Indien, Europa, USA und private Top-Emitter: Um den Klimawandel einzudämmen, müssen viele verschiedene Player mit sehr unterschiedlichen Interessen am gleichen Strang ziehen. Wie bekommt man sie dazu? Das ist genau die Herausforderung. Wenn man an den US-Präsidenten denkt, der Fracking forciert, kann einem Angst und Bange werden. Die Ölproduktion der Amerikaner ist mittlerweile höher als die von Russland beziehungsweise den Saudis. Jetzt will uns Trump nötigen, bei ihm Flüssiggas zu kaufen, und das Gasgeschäft mit Russland einschränken. Sein Ziel ist, billige Energie und wirtschaftliche Probleme in Russland und im Iran zu erzeugen. Das ist Geopolitik – keine Klimapolitik. Mit so jemandem bekommt man keine politische Regelung hin. Genau hier liegt meine Kernbotschaft: Die Politik kann das Problem nicht lösen. Aber der Einzelne, der sein Eigentum durch den Klimawandel bedroht sieht, der seinen Lebensstil und die Demokratie bedroht sieht, der kann sich sofort in sinnvollen Projekten engagieren. Der muss mit niemandem eine Vereinbarung treffen.
Der Schlüssel liegt also darin, zu kompensieren, Zertifikate zu kaufen und sie stillzulegen, beziehungsweise darin, Projekte vor Ort in Entwicklungs- und Schwellenländern umzusetzen? Ja. Dadurch entstehen nämlich wirtschaftlich sinnvolle, hochwertige Projekte, die Arbeitsplätze schaffen, Wohlstand in ärmeren Ländern aufbauen und zusätzlich CO2 binden.
Die weltweite Primärenergie wird zu 75 Prozent aus Öl, Kohle und Gas produziert. China, Indien und die USA bauen diesen Bereich aktuell weiter aus. Auch in der Arktis werden neue Explorationsfelder eröffnet. Kann man diesen Wettlauf gegen immer mehr CO2-Ausstoß überhaupt mit Kompensationen gewinnen? Ja, das geht sich aus, obwohl der Weltenergiebedarf weiter erhöht bleibt. Weil Negativemissionen über Aufforstung und Humusbildung der Atmosphäre viel CO2 wieder entziehen können. Im fossilen Bereich besteht eine vernünftige Option darin, dass Erdgas in dem Mix immer bedeutsamer im Vergleich zu Kohle und Erdöl wird.
Warum? Weil Erdgas bei gleicher Menge an Energie weniger CO2 erzeugt als Kohle und Öl. Innerhalb des Segments kann dadurch substanziell eingespart werden. Aber noch wichtiger ist die Methanol-Ökonomie.
Worum handelt es sich dabei? Sie fällt auch in das Segment der fossilen Energieträger. Aber sie resultiert aus dem Recycling von CO2. Man nimmt bei dieser Methode CO2 aus Kohlekraftwerken und der Schwerindustrie und verknüpft dieses mit Wasserstoff, den man etwa aus Meerwasser mit erneuerbarer Energie aus der Wüste erzeugt. Damit lässt sich bis 2050 das CO2-Volumen im fossil basierten Energiebereich halbieren und zwar durch Recycling des Kohlestoffs. Die halbierte Menge kann man über biologische Prozesse wie Aufforstung und Humusbildung neutralisieren. Man muss dazu im großen Stil CO2 aus der Atmosphäre holen, man muss es final in Holzkohle und Pflanzenkohle verwandeln und diese muss man in die Erde bringen. Die Kohle fördert die Humusbildung und erhöht die Fruchtbarkeit der Böden.
Ist diese Idee in Einklang mit den Bedürfnissen der globalen Player zu bringen? Darauf wird es ankommen. Denn es geht auch um Macht. Wir können nur eine vernünftige Zukunft haben, wenn wir die Interessen aller Partner berücksichtigen. Wer heute seinen Wohlstand auf fossile Energieträger, auf den Transport dieser Energieträger und auf Raffinerien aufbaut, der muss mit der Transformation, die da kommt, ökonomisch gut leben können. Mit der Methanol- Ökonomie wäre das möglich.
Was ist der Ansatz der US-Administration? Im Moment versucht Präsident Trump, mit der Waffe billiger Energie die anderen Akteure geopolitisch klein zu machen. So lange er das tut, bekommen wir keine Lösung des Klimaproblems und keine Absprachen mit Russland. Aber dann haben wir auch keine friedliche Zukunft. Dann enden wir in einer Welt, die von Konflikten geprägt ist. Ich hoffe ja, dass wir irgendwann wieder ein Umdenken in Richtung Kooperation erleben werden. Dann wird es eine Arbeitsteilung geben, und jeder tut, was er am besten kann. Die Saudis, die Iranis und die Russen brauchen erhebliche Einkünfte aus dem Energiesektor. Sie können aber mit einer Transformation von Fossil zu Methanol leben. Weil das Co2 aus ihren Kohlekraftwerken dadurch einen Wert bekommt, dass man es für das Methanol braucht. Weil das Methanol genauso zu Benzin und Diesel raffiniert werden muss. Weil es auch transportiert werden muss. Damit kann man die CO2-Emissionen halbieren, ohne die entsprechenden Wirtschaftszweige in ihrem ökonomischen Potenzial zu bedrohen.
Neben den staatlichen Playern sehen Sie private Unternehmen und Top-Emitter in der Pflicht. Wie macht man ihnen das Thema schmackhaft? Top-Emitter sind Menschen, die sehr reich sind. Sie machen viele Flugreisen, Partys, haben Jachten und viele Häuser. Diese Menschen wissen oft gar nicht, dass sie Top-Emitter sind. Wenn man sie darauf hinweist, sind sie meistens gerne bereit, ihre Emissionen zu kompensieren – wenn dies die Gesellschaft würdigt. Umso mehr, wenn sie sehen, dass ihr Eigentum bei einer Klimakatastrophe massiv gefährdet ist. Und wenn sie mit Einschränkungen ihres Lebensstils rechnen müssen.
Welcher Art? Regierungen könnten eine Kontingentierung der Anzahl der privaten Flugreisen beschließen. Oder eine massive Begrenzung der Motorstärke von Autos. Das würde die Top-Emitter persönlich stark einschränken. Bei den Kompensationen geht es für sie dagegen eher um Peanuts. Selbst eine Kompensation von 1000 Tonnen zu 30 Euro ist für sie nicht viel Geld. Die Kompensation muss aber aus der Ecke Freikauf und Greenwashing heraus. Wenn das Thema positiv aufgeladen wird, kompensieren auch ihre Firmen und ihre Communitys. Man könnte bei Leihwagen und Flügen automatisch Kompensation vorsehen, wenn der Kunde nicht ausdrücklich widerspricht. Da müssen wir hin. Es muss normal sein, zu kompensieren.
Aber ohne die Drohung, den Lebensstil zu beschneiden, wird es nicht gehen. Sie meinen trotzdem, dass die Regierungen weniger Druck auf die Bürger ausüben sollten. Warum? Unsere hochmotivierten, grünen Weltretter müssen aufhören, mit immer mehr Druck auf ihre nationalen Regierungen das Weltklimaproblem lösen zu wollen. Das passiert aber zum Beispiel in Deutschland. Entscheidend ist doch, dass wir unsere Klimaziele insgesamt in Europa erreichen. Deutschland wird bis 2020 seinen Beitrag teilweise dadurch leisten, dass es CO2- Kontingente der Rumänen und Bulgaren kauft. Das wird einige Milliarden kosten. Das ist ein legitimer und kluger Mechanismus der Kooperation. Das wird aber von vielen Umweltaktivisten nicht anerkannt und schlechtgeredet. Für sie ist ein Klimaziel nur dann erreicht, wenn wir das Reduktionsziel auf deutschem Boden erreichen.
Was aber wesentlich mehr kosten würde? Ja, während die Bulgaren und Rumänen den Geldzufluss brauchen und eher zu viele Emissionsrechte haben. Klima ist ein EU-Thema und kein nationales. Wir sind in einem gemeinsamen Markt. Es ist deshalb Schwachsinn, Klimaziele innerhalb der EU ausschließlich national umsetzen zu wollen. Aber es sind diese komischen Sichten, gegen die man argumentieren muss. Wir haben mit den Gelbwesten in Frankreich gesehen, was bei überzogener Politik passieren kann. Sobald die Politik überzieht und dies allzu sehr zulasten kleiner Leute geht, ist der Ärger groß. Bei uns geht es jetzt mit dem Diesel los. Für den Klimaschutz werden Menschen mit wenig Geld enteignet, während die reichen Bürger sogar daran verdienen. Deswegen sollten wir nicht mehr Druck auf Regierungen ausüben, sondern Top-Emitter mobilisieren. Die Regierungen sollen das begleiten, ihnen helfen, vielleicht durch Steuervergünstigungen für Kompensationen oder dadurch, dass diese als Betriebsausgaben abgesetzt werden dürfen.
Landet bei den Kompensationsprojekten das Geld auch wirklich vor Ort? Ja, darin liegt übrigens auch ein weiterer Grund, warum die Kompensation besser ist, als wenn man die Entwicklungshilfe erhöht. Bei der Entwicklungshilfe kommt vor Ort vielleicht ein Viertel wirklich an. Bei der Kompensation haben wir dagegen einen Entwickler, der damit Geld verdienen will und sich um den Erfolg persönlich kümmern muss. Er muss laufend Rechenschaft ablegen. Die Bürger, die die Zertifikate kaufen, verfolgen den Projektfortschritt. Da bleibt nur wenig in Bürokratien und Ineffizienz hängen. Die Wirkung ist mehrfach höher. Wir müssen diesen freiwilligen Markt verhundertfachen. Dort werden dann Zehntausende Menschen arbeiten. Sie werden Zertifikate verkaufen, auditieren, Standards entwickeln und sich vor Ort um die Projekte kümmern. Genau eine solche Anstrengung ist zum Schutz des Klimas nötig.
Hier entsteht also eine völlig neue Industrie? Eine riesen Industrie sogar. Wenn man alleine 500 Milliarden Euro pro Jahr an verlorenen Zuschüssen zahlt, lässt sich das Klimaproblem lösen. Es gibt dazu Zahlen der Weltbank und der OECD. Insgesamt werden so einige Billionen Euro pro Jahr aktiviert. Mit diesem Mitteleinsatz könnte man auch die benötigten Arbeitsplätze in Afrika schaffen.
Womit sollen sich diese Projekte inhaltlich befassen? Sie sollen Hunderte Millionen Hektar semiaride Böden zu Landwirtschaftsflächen verbessern. Sie sollen Hunderte Millionen Hektar degradierter Böden in den Tropen wieder zu Wäldern machen. Man sollte um die Sahara herum eine Methanol-Ökonomie aufbauen.
Kann es sein, dass sogenannte Tippingpoints das Klima vorher kippen lassen? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Aber egal, was kommt, wir werden es als Menschheit so oder so überleben. Es geht nicht darum, ob die Menschheit überlebt. Es geht darum, dass es hässlich werden könnte. Es kann bei uns etwa so werden wie heute in Brasilien, wo die Schere zwischen extremer Armut und Reichtum riesig ist. Als Folge von Klimaveränderungen könnten auch ein paar Milliarden Menschen viel früher sterben als im Status quo, weil sie zum Beispiel keine ausreichende medizinische Versorgung mehr erhalten würden. Das ist furchtbar, aber nicht das Ende. Den Weg der beschriebenen Projekte zu gehen ist deshalb auf alle Fälle sinnvoll, weil die Probleme dadurch in jedem Fall kleiner ausfallen werden.
So wie Sie es beschreiben, ist das Klimaproblem hauptsächlich eine Folge der Bevölkerungsexplosion. Kann es überhaupt gelöst werden, wenn es immer mehr Menschen gibt? Das Bevölkerungswachstum ist das Thema hinter allen Themen. Seit 2000 sind eineinhalb Milliarden Menschen dazugekommen. Bis 2050 kommen noch einmal 2,5 Milliarden dazu. Jedes Jahr kommen weitere 80 Millionen Menschen dazu. Für Afrika ist für das Ende des Jahrhunderts im schlimmsten Fall eine Vervierfachung der Bevölkerung absehbar. Da kämen dann allein in Afrika drei Milliarden dazu. Wer das Einmaleins beherrscht, sieht, dass hier das zentrale Problem liegt. Wobei es nur dann ganz schwer wird, wenn diese Menschen alle mehr Wohlstand erreichen – was das Ziel der internationalen Politik ist. Viele Menschen und immer mehr Wohlstand sind als Tandem die Herausforderung. Global stabilisiert sich auch das Bevölkerungswachstum irgendwann. Auch in Indien und Afrika, vor allem infolge von mehr Wohlstand. Aber die Kurven laufen noch lange und zehn Milliarden sind praktisch nicht zu verhindern.
Wenn es so weitergeht: Wir schätzen Sie die Chancen ein, dass es hässlich wird? Ich schätze 65 bis 70 Prozent. Das heißt, ich glaube, dass wir nur eine 30- bis 35-prozentige Chance auf eine vernünftige Zukunft haben. Die Weltzweiklassengesellschaft hat eine Wahrscheinlichkeit von etwa 50 Prozent. Ein Kollaps mit Milliarden Toten liegt bei vielleicht 15 Prozent. Wir haben zwar immer bessere Technik zur Verfügung und wir wissen auch immer mehr. Aber die Probleme sind eben auch massiv. Das Bevölkerungswachstum, die Zweiklassengesellschaft und die Unzufriedenheit vieler Menschen werfen große Probleme auf. Dies gilt ebenso für die Tendenzen zur Renationalisierung und den teilweise aufkommenden Hass vieler Akteure gegeneinander. All das erschwert weltweite kluge Kooperation. Und genau diese wäre erforderlich für kluge Lösungen der Probleme.