Nachhaltig Investieren
Der grüne Geldkreislauf
Liegt der Marktanteil von nachhaltigen Fonds schon im einstelligen Prozentbereich? So lautete eine der Forschungsfragen der Diplomarbeit, die Reinhard Friesenbichler, Experte für nachhaltiges Investment und Management, in den 1990er-Jahren zum Thema ethisches Investment geschrieben hat. Die Antwort war ein klares Nein. „Damals war nachhaltiges Investment ein Nischenthema“, sagt Friesenbichler, der 1997 die rfu Unternehmensberatung gegründet hat, die auf nachhaltiges Investment spezialisiert ist und unter anderem einen österreichischen Nachhaltigkeits-Index ins Leben gerufen hat. Friesenbichler zieht einen Vergleich: „Vor 25 Jahren mussten wir für Bio-Lebensmittel zum Bauern unserer Wahl fahren und quasi dem Hendl das Ei unter dem Popo wegziehen. Später ging man ins Reformhaus. Und heute haben Billa und Spar schon ein mehr oder weniger großes und glaubwürdiges Bio-Produkt-Segment, ohne das sie nicht mehr existieren können.“ Ähnlich habe sich die Produktpalette der Finanzhäuser entwickelt: „Das Angebot wurde immer breiter, immer vielfältiger, qualitätsmäßig tendenziell besser, auch wenn es ein paar Schwachpunkte gibt.“ Während damals etwa vor allem Ausschlusskriterien für nachhaltige Fonds festgelegt wurden, kommen heute Aspekte wie Engagement, Impact-Investment und thematische Ausrichtungen hinzu.
Die Frage, wie hoch die Anteile derzeit sind, die nachhaltige Investments am gesamten Investmentmarkt ausmachen, ist nicht leicht zu beantworten, vor allem, weil es keine eindeutige Definition von Nachhaltigkeit gibt. Die aktuelle Debatte in der EU über die Frage, ob Atomkraft als grüne Energieform eingestuft und in die EU-Taxonomie aufgenommen werden soll, macht gerade besonders deutlich, wie viel Unsicherheit hier besteht. Aber auch bei gemeinhin als klimafreundlich geltenden E-Autos und anderen Technologien wird immer wieder darüber diskutiert, wie nachhaltig diese sind. Ganz allgemein gesprochen, zeichnen sich nachhaltige Finanzprodukte dadurch aus, dass sie neben finanziellen Kriterien auch ökologische oder soziale Kriterien oder sogar beide berücksichtigen. Heidrun Kopp, Expertin für CSR und Nachhaltigkeit und Gründerin des Instituts für nachhaltiges Finanzwesen (Inafina), verweist auf das „goldene Dreieck der Kapitalanlage“, bestehend aus Rendite, Sicherheit und Liquidität, welches durch Nachhaltigkeit als vierte Dimension ergänzt wird.
Nischenthema wird Mainstream
Klar ist jedenfalls: Seit Reinhard Friesenbichlers Diplomarbeit, die jetzt ein Vierteljahrhundert alt ist, ist in Sachen nachhaltige Investments und nachhaltige Finanzierung kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Aus dem Nischenthema wurde Mainstream. Die Anteile nachhaltiger Investments sind stark gestiegen und steigen weiter. Heidrun Kopp sagt: „Es gibt für alle klassischen Produkte de facto bereits nachhaltige Alternativen.“ Dazu gehören unter anderem Fonds, ETFs, Anleihen (Green Bonds) und grünes Crowdfunding. So erfreuen sich etwa nachhaltige Fonds bereits „seit Jahren großer Beliebtheit, nicht nur bei institutionellen Anlegern, sondern auch zunehmend bei privaten Anlegerinnen und Anlegern“. Institutionelle Anleger sind etwa Pensionsfonds, Banken und Versicherungen.
Vorsorgekassen waren die Keimzelle für nachhaltiges Investment.
Kopp weist etwa darauf hin, dass allein beim Österreichischen Umweltzeichen für nachhaltige Finanzprodukte (UZ49) schon weit mehr als 150 grüne Investmentfonds registriert sind und der Markt für Green Bonds und zunehmend auch Social Bonds weltweit in den vergangenen Jahren enorm angestiegen ist. Die rfu Unternehmensberatung von Reinhard Friesenbichler arbeitet derzeit an einer detaillierten Studie, die versucht, die Frage des Marktanteils für die österreichische Fondsbranche zu beantworten. Ohne den Studienergebnissen vorgreifen zu wollen, schätzt die rfu den Anteil anspruchsvoller ESG-Fonds unter den Publikumsfonds österreichischer Fondsgesellschaften für 2021 auf rund ein Viertel. ESG steht für überprüfbare Kriterien bei der Geldanlage in den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Laut Gerald Fleischmann, Generaldirektor der Volksbank Wien AG, laufen in seiner Bank bereits ein Drittel der Absätze im Wertpapierbereich über nachhaltige Fonds.
Doch wie kam es, dass nachhaltige Investments in den letzten 25 Jahren so einen starken Zulauf bekommen haben und für Investoren noch attraktiver geworden sind? Laut Reinhard Friesenbichler ist dieser Markt relativ langsam gewachsen, doch drei Ereignisse haben zu einer sprunghaften Entwicklung geführt. 2003 wurde die Abfertigung neu, ein Instrument der betrieblichen Altersvorsorge, eingeführt. Friesenbichler: „Niemand will seine Pension dadurch aufgebessert haben, dass ein Kollege in einer südostasiatischen Fabrik ausgebeutet wird.“ Daher haben die Vorsorgekassen praktisch flächendeckend das Thema nachhaltiges Investment aufgegriffen: „Das war die österreichische Keimzelle für nachhaltiges Investment.“ In der Folge haben auch Banken begonnen, Fonds für die Vorsorgekassen zu produzieren. Der zweite „Milestone“ war die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 bis 2009: „Auch wenn die Krise zuerst eine Schockstarre bei den Fonds-Anbietern ausgelöst hat, hat man sich nach relativ kurzer Zeit besonnen, dass man die damalige Immobilienblase, die Bankenkrise und so weiter auch als Mangel an Nachhaltigkeit im Sinne von Mangel an Geschäftsethik interpretieren konnte.“ Die Banken standen als Mitverursacher der Krise in der Kritik, und daraus habe sich ein stärkeres Bewusstsein für die Verantwortung des Finanzsektors für die Realwirtschaft entwickelt. Friesenbichler: „Damals kam nachhaltiges Investment aus der Nische heraus und wurde zu einem eigenen Segment mit einem Marktanteil in der Größenordnung von zehn Prozent.“ Und schließlich bezeichnet Friesenbichler die aktuellen regulatorischen Maßnahmen wie die EU-Taxonomie als dritten Meilenstein.
Nachhaltigkeit & Rendite kein Widerspruch
Auch die Renditen spielen eine große Rolle auf dem Erfolgsweg nachhaltiger Anlage. Doch wie rentabel sind nachhaltige Investments im Vergleich zu konventionellen Investment-Möglichkeiten, die keine Nachhaltigkeitskriterien aufweisen? Laut Gerald Fleischmann, Generaldirektor der Volksbank Wien AG, schließen sich Rendite und Nachhaltigkeit nicht aus: „Ein Nachhaltigkeitsfonds performt nicht notwendigerweise schlechter als jeder andere Fonds – vielleicht sogar besser, weil es theoretisch sein kann, dass so viele Leute an nachhaltigen Investments interessiert sind, sodass diese Aktiva besonders stark steigen.“ Umgekehrt könnte es sein, dass sich Investitionen in eine Technologie, die zwar derzeit noch sehr viel Geld verdient, sich aber gar nicht in Richtung Nachhaltigkeit transformieren will, negativ entwickeln werden, wenn sich viele Investoren abwenden.
Reinhard Friesenbichler geht beim Kernthema Nachhaltigkeit und Rendite noch weiter und verweist auf die wissenschaftliche Evidenz. Früher musste er in seinen Vorlesungen zu diesem Thema „Massen von Studien herauskramen“. Jetzt kann er auf die 2015 erschienene Metastudie „ESG and Financial Performance: Aggregated Evidence from more than 2000 Empirical Studies“ verweisen. Aus ihr geht hervor, dass ein Großteil der Studien einen positiven Zusammenhang zwischen ESG-Kriterien und der finanziellen Performance von Unternehmen nachweisen konnte. Und auch beim 2005 von der rfu gegründeten VÖNIX-Nachhaltigkeits-Index zeigt sich nach mittlerweile 17 Jahren eine jährliche Outperformance von 1,5 bis 2 Prozent im Vergleich zum ATX Prime.
Angebot hinkt Nachfrage hinterher
Natürlich beeinflusst die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Investments auch die Unternehmen: Sie können mit grünen, nachhaltigen oder ethischen Produkten und Projekten immer mehr bei den Investoren punkten. Doch finden all die an nachhaltigen Finanzprodukten interessierten Investoren genug Angebot? Anders gefragt: Gibt es genug Unternehmen, die nach einer Finanzierung für ihre nachhaltigen Produkte und Projekte suchen? Reinhard Friesenbichler erklärt dazu, dass es für einen Investor, der von konventionell auf nachhaltig umsteigen will, wesentlich einfacher ist als für ein Unternehmen: Der Investor müsse nur seine Kriterien definieren und seinen Investment-Prozess umstellen. Doch „wenn ein Unternehmen wie die OMV oder die Post künftig nachhaltig sein will, ist das mit Sach-Investitionen und einem strategischen Shift verbunden, der Jahre dauert“. Deshalb sei es logisch, dass das Angebot der Nachfrage zeitlich hinterherhinkt. Aber „nachdem der Kapitalmarkt effizient ist, mache ich mir keine Sorgen, dass dieses Angebot nicht entsteht“.
Treiber dieses Trends sind die politische Regulatorik und die Entwicklung des Kapitalmarkts sowie der Konsumenten, deren Bedürfnis nach Nachhaltigkeit und Transparenz steigt. Heidrun Kopp sagt dazu in Bezug auf nachhaltige Fonds, dass zwar genügend Angebot vorhanden, die Qualität allerdings sehr unterschiedlich sei. So gebe es Umsatzgrenzen, die besagen, dass zum Beispiel zehn Prozent nichtnachhaltige Titel in einem nachhaltigen Fonds sein können, was bedeutet, dass auch „Spurenelemente von Waffen, Glücksspiel oder fossilen Energieträgern darin enthalten sein können“. Gerald Fleischmann betont bei diesem Thema, dass auch Unternehmen, deren aktuelles Geschäftsmodell noch nicht nachhaltig ist, die aber Schritte in Richtung Nachhaltigkeit machen, Teil nachhaltiger Fonds sein können: „Da geht es um die Transformation in die Nachhaltigkeit. Es kann theoretisch sein, dass dort ein Ölproduzent drin ist, der aber eine Transformation in eine nachhaltige Technologie macht.“
Einschlägige Aus- und Weiterbildung nötig
In dieser Transformation gibt es sowohl für Investoren als auch für Unternehmen viele Herausforderungen. Inafina-Geschäftsführerin Heidrun Kopp: „Sämtliche regulatorische bzw. gesetzliche Änderungen stellen neue Herausforderungen für Expertinnen und Experten in Finanzunternehmen, aber auch anderen Unternehmen und Organisationen dar. Daraus ergibt sich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in zahlreichen Bereichen eines Unternehmens eine einschlägige Aus- und Weiterbildung im Bereich Sustainable Finance benötigen.“ Dazu gehören etwa die Kundenberatung für Veranlagung und Finanzierung, Fonds-, Risiko- und Produktmanagement, die Beschaffung, Treasury, Compliance, Investor Relations, Marketing und Kommunikation, Mobilitätsmanagement und Personalmanagement. Um das neue Wissen zu etablieren, wurde der MBA-Lehrgang „Sustainable Finance Management“ an der FH Wien der WKW konzipiert, welcher im September startet. Kopp erklärt: „Der Paradigmenwechsel weg von einzelnen nachhaltigen Projekten zu strategischem ESG-Management erfordert aktuelles Know-how, vernetztes Denken und bereichsübergreifendes Handeln, um die Zukunftsfähigkeit und Finanzierbarkeit von Unternehmen langfristig sicherzustellen.“ Dazu müsse das Wissen um die wirtschaftlichen Zusammenhänge in Zukunft um Sustainable Finance, also um ESG-Aspekte, erweitert werden, um zukunftsfähiges und klimaneutrales Wirtschaften professionell zu managen.
Leichter und billiger an Finanzierungen
Gerald Fleischmann, Generaldirektor der Volksbank Wien AG, erklärt, wie sich Nachhaltigkeits-Regulatorien auf die Kreditmöglichkeiten der Unternehmen auswirken.
Als Bank sind Sie verpflichtet, bei Kreditvergaben Nachhaltigkeits-Reportings zu machen. Wie läuft das in der Praxis ab? Die ESG-Finanzierungsregeln teilen sich in zwei Bereiche: Einer ist die Taxonomy, die regelt, was wir in Zukunft an die Aufsicht reporten müssen. Das sind 150 relativ detaillierte Datenfelder, in denen es zum Beispiel um den CO2-Ausstoß oder Bio-Zertifizierungen geht. Diese Datensammlungen beginnen gerade.
Und der zweite Bereich? Das sind die Drittpartner – hier ist die Entwicklung rasant: Es gibt schon jetzt sehr starke Bewegungen in das Green-Bond-Segment. Ist es kein grüner Bond, fordert der Markt von uns ein Nachhaltigkeitsrating, damit Investoren noch willens sind, Finanzierungen zur Verfügung zu stellen. Wir sind also angehalten, mittelfristig nur Projekte zu finanzieren, die nachhaltig sind oder zur Nachhaltigkeit beitragen. Es geht darum, grüne Technologien zu fördern bzw. den Umstieg auf solche zu ermöglichen. Hier stellt sich die Frage, was eine grüne und was eine braune Ökonomie ist.
Da ist vieles neu, auch für Unternehmen, die um Kredite ansuchen. Welche Unsicherheiten haben sie? Banken brauchen jetzt vom Kunden Informationen, die bisher für die Kreditwürdigkeit nicht relevant waren. Er hat aber bestimmte Informationen gar nicht und weiß zum Beispiel nicht, wie hoch sein CO2-Ausstoß ist. Viele Unternehmen versuchen zu verstehen, was hier in Zukunft gefordert ist. Unsere Kunden sind vor allem KMU und wir merken, dass es für Kleinbetriebe besonders herausfordernd ist, diese Dinge zu erheben. Hier wird die Wirtschaft eine fundamentale Veränderung erfahren: Wir werden dorthin transformieren, wo man als Unternehmer nicht nur seine betriebswirtschaftlichen Ziffern, sondern auch seine Nachhaltigkeits-Ziffern kennen muss.
Was wird aus denen, die Nachhaltigkeit nicht ausreichend belegen können? Die, die es ganz verschlafen, werden sich irgendwann nicht mehr refinanzieren können. Andererseits bin ich überzeugt, dass Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeit nachweisen können, nicht nur leichter, sondern auch billiger Finanzierungen oder Eigenkapital bekommen, also einen monetären Vorteil haben werden.