Der Druck steigt, die Chancen auch
Potenzielle Mitarbeiter, Investoren, Partner, Kunden und Banken fragen immer öfter kritisch bei Betrieben nach: Wie steht es eigentlich um die Nachhaltigkeit? Eine Entwicklung, auf die allerdings noch bei Weitem nicht alle KMU ausreichend vorbereitet sind. Weder im Selbstverständnis, noch was die geforderten Daten anbelangt, die zunehmend benötigt werden. Denn immer intensiver wird sich die Frage stellen, wie sich ESG-Maßnahmen (Abkürzung für Standards rund um Environment, Social und Governance) auf die Bonitätsbewertung auswirken und was Nachhaltigkeit für den Zugang zu Finanzmitteln bedeutet.
Nachhaltigkeit ist längst nicht bei allen KMU angekommen.
Dass es sich bei dieser Überlegung nicht um graue Theorie handelt, beweist das Beispiel der heimischen Kreditversicherung Acredia. Die Versicherung ist, was komplexe Regulatorik anbelangt, durchaus leidgeprüft und entsprechend erfahren. Doch auch Vorständin Gudrun Meierschitz und ihr Team mussten sich erst einen Überblick zu vielen neuen Regelungen verschaffen. Erstens, um der eigenen Berichtspflicht nachzukommen. Und zweitens, um Kunden zeitgerecht einen Überblick zu neuen Anforderungen vermitteln zu können. So wurde für das ganze Haus eine Schulungsreihe aufgesetzt und auch eine ESG-Strategie erarbeitet. Die wesentlichen Learnings will Meierschitz nun mit ihren Kunden teilen. Immer mit der Frage im Zentrum: Was können die Betriebe konkret beitragen und welche Auswirkungen hat ESG auf ihren Zugang zum Finanzmarkt? Dass sie damit Eulen nach Athen trägt, kann Meierschitz ausschließen. „Nein, das Thema Nachhaltigkeit ist längst nicht bei allen KMU angekommen!“, sagt sie.
Im Gegensatz zu allen größeren Unternehmen, wo zum Teil sogar bereits Kreislaufwirtschaft gelebte Praxis ist, wo seit Jahren Nachhaltigkeitsberichte erstellt werden müssen und wo auch die feste Überzeugung herrscht: Nachhaltigkeit ist wichtig und gekommen, um zu bleiben.
CSR? Hääääääää?
Bei vielen kleineren Betrieben sieht die Lage dagegen anders aus. Schon die Abkürzungen ESG und CSR (Corporate Social Responsibility) hören sich für viele Spanisch an. Doch Unwissen schützt vor Strafe nicht und auch nicht vor neuen gesetzlichen Auflagen. Werden doch bereits 2026 zwanzigmal so viele Unternehmen ein Nachhaltigkeitsreporting erstellen müssen wie heute. 2024 sind es in Österreich noch 120 Unternehmen, ab 2025 stehen 2.500 in der Pflicht und ab 2026 kommen auch noch alle börsennotierten KMU dazu.
Eine Tatsache, die sich auch direkt auf unzählige kleinere Unternehmen auswirken wird, die dann als Lieferanten und Partner ebenfalls im Sinne der Nachhaltigkeit durchleuchtet werden müssen. Zudem werden die Banken die Ratingkriterien, die bereits für berichtspflichtige Unternehmen gelten, sukzessive auch auf ihre restlichen Kunden ausrollen, prognostiziert Gudrun Meierschitz.
Fakt ist: ESG-Ratings und Nachhaltigkeitsberichte werden nicht nur von immer mehr Unternehmen gesetzlich verlangt werden, sie werden auch die Entscheidungen von Investoren, Kreditgebern, Geschäftspartnern und Kunden beeinflussen.
Super, schon wieder neue Pflichten!
Nun ist die wirtschaftliche Lage ohnedies angespannt und viele Betriebe suchen händeringend nach neuen Angestellten, während sie versuchen der Digitalisierung Herr zu werden und mit der Teuerung klarzukommen. Sich nun auch noch mit Haut und Haar der Nachhaltigkeit verschreiben zu müssen, sorgt vermutlich nicht gerade ausschließlich für Begeisterung.
Wie sollen sie jetzt auch noch dafür Ressourcen schaffen? Gudrun Meierschitz bestätigt: „Die Belastung kann für KMU groß sein. Trotzdem sollten sie rasch ein grundlegendes Verständnis entwickeln, worum es geht.“ Und: Wer selbst neu verpflichtet wird, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, tue sicher gut daran, Experten an Bord zu holen, die wissen, wie es geht. „Wir kennen uns gut aus mit Regulatorik, Gesetzen, Finanzen, und auch für uns war es nicht trivial“, gibt Meierschitz unumwunden zu. „Wenn man damit nicht auf Du und Du ist, wird es schwer.“ Dass mit dem Thema nur weitere unnötige, bürokratische Belastungen auf die Unternehmen zukommen, sieht die Vorständin anders.
„Die Regulatorik ist das richtige Mittel zum Zweck“, meint Meierschitz. Ohne ginge es nicht. Dass sich der Klimawandel schon von selbst regeln wird, wäre doch ein wenig blauäugig. Die neuen Anforderungen sind aus Sicht von Acredia wichtig. Nicht zuletzt, weil Europa dadurch die Chance bekäme, eine Vorreiterrolle einzunehmen. „Wenn wir sie ergreifen und auf hohem Niveau starten, können wir uns einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten“, sagt Meierschitz.
Umso mehr rät sie dazu, das Thema von Anfang an ganz oben im Unternehmen zu verankern und eine positive Grundeinstellung zu schaffen. Schließlich gehe es nicht bloß um noch ein Gesetz, sondern um eine grundlegende Veränderung für uns alle. Womit das S in ESG angesprochen wäre, die soziale und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen.
Über die Bande gespielt
Fest steht wohl auch, dass die Gesetzgebung in den kommenden Jahren immer stärker auf nachhaltiges Verhalten und Emissionsreduktion bei Unternehmen drängen und dazu auch Banken in die Pflicht nehmen wird. So wird auch Acredia in Zukunft intensiver prüfen, welche Kunden sie annehmen kann. Und auch welche nicht, wenn die Geschäftstätigkeit nicht ESG-konform ist. Zudem sollten sich Betriebe deren Geschäftstätigkeit hinsichtlich Nachhaltigkeit Fragen aufwirft, auf schlechtere Konditionen am Kapitalmarkt gefasst machen. Auch bei der Risiko- und Bonitätsbewertung werden Nachhaltigkeitsaspekte eine immer größere Rolle spielen. Ist die Branche beziehungsweise das Unternehmen zukunftsfit? Sind Gesetze geplant, die das Unternehmen negativ beeinflussen? Muss am Ende das Geschäftsmodell angepasst werden? Verbunden damit stellt sich für die Finanzbranche derzeit die zentrale Frage, auf welche Weise Daten zur Verfügung gestellt werden und wie man sie vergleichbar und bewertbar machen kann.
Aktuell liegt der Fokus zwar noch auf den klassischen Finanzkennzahlen, doch die Segel in Richtung ESG sind gesetzt. In diesem Sinne empfiehlt Meierschitz KMU dringend, nicht zuzuwarten, sondern rechtzeitig damit zu beginnen, alle relevanten Informationen inklusive Strategie und KPIs zu sammeln und strukturiert aufzuarbeiten. Denn: Wenn die Banken solche Daten erst einmal auswerten müssen, ist es zu spät, um mühselige Erhebungen zu starten. Wie rasch sich der Wind drehen kann, musste beispielsweise die Automobilindustie erleben, die heute strikten CO2-Zielen unterliegt.
Das Glas ist halb voll
Wer trotzdem vorwiegend einen Riesenhaufen Arbeit vor sich sieht, dem könnten diese Argumente vielleicht doch noch ein wenig Enthusiasmus abringen. Erstens: Eine intakte Umwelt bildet unser aller Lebens- und Wirtschaftsgrundlage. Zweitens: Unternehmen, die ESG-Maßnahmen umsetzen, werden einen besseren Zugang zu Finanzierungen und Kapital erhalten. Drittens: Sie werden auch attraktiver für potenzielle Mitarbeiter, für Konsumenten und steigen im öffentlichen Ansehen. Viertens: Sie sind auf zukünftige Gesetze vorbereitet und müssen keine Angst vor dem Vorwurf, Greenwashing zu betreiben, haben. Herz, was willst du mehr?