Interview
Über uns: Langweilig!
Die Unternehmensgeschichte ist besonders gut geeignet, um Vertrauen bei Kunden aufzubauen, die eigene Marke zu stärken und neue Mitarbeitende anzusprechen. Davon ist Friederike Hehle überzeugt. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens Historizing, einer Agentur für Geschichte. Ihr Ziel: Unternehmen sollen das Potential ihrer Geschichte erkennen und heben, um sie im Marketing gezielt zu verwenden.
Die Wirtschaft: Frau Hehle, was hat Sie zur Gründung des Unternehmens Historizing inspiriert?
Friederike Hehle: Zur Gründung inspiriert hat mich das Firmenjubiläum des Unternehmens meiner Eltern bzw. Schwestern, die es in zweiter Generation führen: Das ist das Vorarlberger Busunternehmen Hehle-Reisen. Schon lange bestand in der Familie der Wunsch, endlich einmal die Firmengeschichte und die Storys dahinter festzuhalten und vor dem Vergessen zu bewahren. Als ich 2011 in Karenz war, habe ich dieses Vorhaben voller Vorfreude in Angriff genommen. Als studierte Kunsthistorikerin bzw. Betriebswirtin mit langjähriger Berufserfahrung im Marketing habe ich mir diese Aufgabe zugetraut und sofort großes Gefallen am Forschen und Schreiben gefunden.
Welche Rolle spielt die Unternehmensgeschichte Ihrer Meinung nach in der modernen Markenbildung und im Employer Branding?
Viele KMU kämpfen mit der Austauschbarkeit der von ihnen angebotenen Produkte. Deshalb braucht es Alleinstellungsmerkmale – und die finden sich in der eigenen Geschichte. Weil jede Unternehmensgeschichte einzigartig ist und nicht von Mitbewerbern kopiert werden kann. Weil immer andere Menschen und deren individuelle Handlungsweisen und Entscheidungen involviert sind. Insofern macht sie eine Marke unverwechselbar und zahlt wesentlich auf die Bildung einer starken Marke ein.
Die eigene Geschichte kann wesentlich dazu beitragen, das Selbstbewusstsein und den Stolz der Mitarbeitenden zu fördern, weil sie einem starken und erfolgreichen Unternehmen angehören. Und sie hilft auch dabei, das eigene Unternehmen gegenüber Mitbewerbern zu profilieren und somit attraktiv für potenzielle Mitarbeitende zu machen. Eine lange Geschichte zeigt auch, dass das Unternehmen krisenresistent ist und sich lange am Markt behauptet. Das ist insbesondere für Unternehmen, die von einem hohen Fachkräftemangel betroffen sind – wie etwa die Gastronomie oder Hotellerie – ein möglicher Lösungsansatz.
Wie gehen Sie bei der Erforschung und Aufbereitung der Unternehmensgeschichten vor, und welche Methoden verwenden Sie dabei?
Zunächst sammeln wir die Fakten zur Geschichte: in den Unterlagen, die uns das Unternehmen zur Verfügung stellt, beziehungsweise in öffentlichen Archiven wie dem Gemeinde-, Stadt- oder Landesarchiv. Immer lesen wir uns auch in fachbezogene Literatur zur Branche ein. Wichtige Einsichten liefert auch Oral History: Indem wir Zeitzeugen befragen, also (ehemalige) Mitarbeitende, Kunden oder Partner des Unternehmens, bekommen wir weitere Einblicke und spannende Geschichten geliefert. Danach geht es an die Auswertung des Gelesenen und Gehörten und ans Niederschreiben unserer Forschungsergebnisse. Der Kunde entscheidet dabei über das Format, also ob ein Buch, eine Broschüre, ein Film, Social Media Beiträge oder überhaupt nur ein intern zu verwendendes Dokument entstehen soll.
Wie gehen Sie mit problematischen Phasen (NS-Zeit, Schicksalsschläge, Krisen) in der Unternehmensgeschichte um? Begleiten Sie auch Aufarbeitung der NS-Zeit?
Ich rate zu einem proaktiven Umgang mit problematischen Phasen der eigenen Unternehmensgeschichte, um - insbesondere im Jubiläumsjahr - nicht von Fragen zu „heiklen Themen“ ahnungslos überrumpelt zu werden. Für Unternehmen ist es enorm wichtig zu wissen, was war, um die Deutungshoheit über die eigene Geschichte zu behalten. Dabei empfiehlt sich die Aufarbeitung dieser „dunklen Kapitel“ durch externe Experten wie Historiker und Recherchen, vor allem in öffentlichen Archiven. Damit schaffen Unternehmen die Grundlage, um adäquat mit entsprechenden Fragen - beispielsweise zur Rolle der eigenen Firma im Nationalsozialismus oder zu Schicksalsschlägen - umgehen zu können.
Können Sie ein Beispiel für ein besonders erfolgreiches Projekt nennen, bei dem Sie einer Firma geholfen haben, ihre Geschichte spannend zu erzählen?
Bei der Bäckerei Mangold war anfangs nicht klar, wann genau das Unternehmen gegründet worden war – die Eigentümer vermuteten „vor über 100 Jahren“. Unsere Archiv-Recherchen brachten dann die Klarheit, dass das Unternehmen bereits 1850 gegründet worden war und deshalb 2020 sein 170-jähriges Jubiläum feiern konnte. Damit war auch klar, dass die Bäckerei eine der ältesten bestehenden in Vorarlberg ist. Unsere Forschungserkenntnisse flossen direkt in den Markenbildungsprozess ein, denn das neu entwickelte Logo trägt heute den Claim „Von Hand seit 1850“. Gleichzeitig konnten wir die recherchierten Geschichten in einer umfassenden Firmenchronik festhalten. Sie liegt bis heute in vielen Filialen mit angeschlossenen Cafés auf und lädt die Kunden zum Schmökern im Buch ein. Der vielfach abgegriffene Einband ist der beste Beweis, wie oft Kunden im Buch blättern, während sie einen Kaffee oder ein Gebäck vor Ort in der Filiale genießen.
Wie reagieren Ihre Kundinnen und Kunden in der Regel auf die erarbeiteten Geschichten und welche Vorteile haben sie dadurch erfahren?
Kunden reagieren regelmäßig sehr erfreut über die abgeschlossenen Projekte. Besonders gut sichtbar ist ihre Freude bei physischen Produkten wie Büchern oder Broschüren, weil die Geschichte damit im wahrsten Sinne des Wortes greifbar wird – auch für kommende Generationen. Oft erfahren unsere Kunden durch unsere Recherchen Neues über ihre Firma, das ihnen bisher unbekannt war oder es erschließen sich Zusammenhänge, die unklar waren. Die Geschichten, die wir dabei sammeln, nützen den Unternehmen auf vielfältige Art und Weise: als Inhalte für Social Media und die Mitarbeiterzeitung, bei Präsentationen, im Newsletter, Blog, im Employer Branding, Onboarding etc. Das gilt gleichsam für den Hotelbetrieb mit mehreren Dutzend Angestellten wie für den Installationsbetrieb oder die Autowerkstätte mit einer Handvoll Mitarbeitenden.
Welche Tipps würden Sie Unternehmen geben, die ihre "Über uns"-Seite verbessern möchten, um das volle Potenzial ihrer Geschichte auszuschöpfen?
Unternehmen rate ich unbedingt dazu, ihrer Geschichte auf ihrer „Über-uns-Seite“ Platz einzuräumen, weil sie ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal ist. Jedes Unternehmen, egal ob es 5 Jahre oder 100 Jahre am Markt ist, hat mindestens eine Geschichte zu erzählen, das ist die Gründungsgeschichte. Sie ist besonders kraftvoll, weil sie viel über die Identität des Unternehmens aussagt. Gerade für KMU ist sie eine großartige Chance, die Menschen hinter dem Unternehmen zu zeigen und zu erzählen, mit welchen Wünschen und Absichten die Gründerin oder der Gründer am Markt angetreten ist und wie ihre Persönlichkeit bzw. ihre Werte das Unternehmen bis heute prägen. Storytelling ist dabei besonders wichtig!
Interessant sind auch wichtige Meilensteine der eigenen Geschichte, die mithilfe von aussagekräftigen Bildern die Entwicklung des Unternehmens nachzeichnen. Aber gerade hier machen viele Unternehmen den Fehler, dass sie die Besucher ihrer Über-uns-Seite mit vielen Jahreszahlen und trockenen Daten und Fakten langweilen. Oft sehe ich hier auch, dass sich Unternehmen in unwichtigen Details verlieren. Meistens fehlen auch gute und vor allem aussagekräftige Fotos, die diese Meilensteine illustrieren. Das geht definitiv besser, wie wir in unserer Anleitung für die Über-uns-Seite anhand zahlreicher Best-Practice-Beispielen zeigen.