Traditionelles Handwerk
Die Suche nach dem perfekten Klang
Die Erfolgsformel, wie man einen Betrieb über 400 Jahre lang als florierendes Familienunternehmen führt, klingt einfach: „Wir haben das Glück, dass wir immer die richtigen Frauen geheiratet haben und auch Glück mit unseren Kindern“, bringt es Christof Grassmayr mit einem Augenzwinkern auf den Punkt. Auch er hatte offensichtlich Glück, denn seine beiden Söhne Johannes und Peter sind 1990 ebenfalls ins Unternehmen eingestiegen.
Alle 10 Jahre bleibt bei uns kein Stein auf dem anderen. Es ist viel Arbeit und man muss immer dranbleiben.
„Alle 10 Jahre bleibt bei uns kein Stein auf dem anderen. Es ist viel Arbeit und man muss immer dranbleiben“, präzisiert Johannes Grassmayr ein Erfolgsrezept, das schon ernsthafter klingt.
Weltweiter Export
Über 15 Generationen hat die Familie in Innsbruck das Handwerk des Glockengießens laufend weiterentwickelt und sich damit international einen Namen gemacht. Die Grassmayr-Glocken hängen mittlerweile auf allen Kontinenten - mit Ausnahme der Antarktis. Auf dem Areal der Glockengießerei ist laut eigenen Angaben 2016 sogar eine der größten schwingenden Kirchenglocken der Welt gegossen worden. Sie wiegt 25 Tonnen, ist über drei Meter hoch und ertönt heute in einer Kathedrale in Bukarest.
Unikat in Österreich
Trotz dieser Erfolge ist das Unternehmen laut Grassmayr „nie zu groß geworden“. Ein klarer Vorteil, denn so sei man immer flexibel geblieben. Und hat damit im Laufe der Jahrhunderte nicht nur Seuchen und Kriege überstanden, sondern auch Herausforderungen überwunden, mit denen fast jedes Unternehmen kämpft. Denn von den acht größeren Gießereien, die es nach dem 2. Weltkrieg in Österreich noch gegeben hat, ist nur Grassmayr übriggeblieben.
„In Westeuropa haben sich die Gießereien in den vergangenen 20 Jahren halbiert“, so der Unternehmer. Denn nach der Ostöffnung sind viele Glocken dort gegossen worden. Heute entstehen viele günstig produzierende Gießereien noch weiter ostwärts in Vietnam oder auf den Philippinen. Gleichzeitig ist der Glockenmarkt kein einfacher. Denn die Glocken sind ein langlebiges Produkt – sind sie aus Bronze gefertigt, überdauern sie Jahrhunderte. Logischerweise sinkt die Nachfrage in Österreich.
Die Stradivari unter den Glocken
Die Lösung? Noch billiger als die Konkurrenz zu produzieren, ist natürlich keine Alternative. „Die einzige Chance, um zu überleben ist es, die Besten zu sein und uns die Pole Position in unserer Branche zu holen“, sagt Grassmayr. Seine Vision: „Wir wollen die Stradivari unter den Glocken bauen“. Das bedeutet, sich immer wieder neu zu erfinden, ständig besser zu werden und viel zu experimentieren. „Wir probieren laufend neue Werkzeuge aus, wie Simulationen und Lasertechnik. Und wir schauen uns in anderen Branchen um und lernen davon“, so der Unternehmer. In enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten und Forschenden wurden Klang, Optik und das Verfahren zur Berechnung der Glockenform perfektioniert. So weit, dass heute alle 50 Töne einer Glocke auf ein Hundertstel eines Halbtons genau berechnet werden kann. Das Geheimnis dieser Glockenberechnungen wird jedoch sorgfältig gehütet.
Gleichzeitig ist die Glockengießerei bestrebt, ihr Kundenportfolio zu erweitern. „Bei meinem Unternehmenseintritt hatten wir nur katholische Kirchen als Kunden. Mittlerweile produzieren wir die Hälfte aller Glocken für profane Zwecke“, erklärt Grassmayr. So wurde zuletzt ein Orchesterglocken für das Gewandhaus in Leipzig und ein Glockenspiel mit 48 Glocken und 3 Schalen für das Rathaus in St. Pölten hergestellt. Auch die Palette an Religionsgemeinschaften hat sich erweitert. Neben den verschiedenen christlichen Konfessionen bestellen nun auch Hinduisten oder Buddhisten bei den Tiroler Glockengießern.
Als Glockenklinik etabliert
Gleichzeitig erschließen sich die Unternehmer auch neue Geschäftsfelder. „Wir haben zehn Jahre lang geforscht und sind damit seit fünf Jahren am Markt“, sagt Grassmayr. Die Rede ist vom Restaurieren historischer Glocken, die beispielsweise einen Sprung haben oder denen ein Teil fehlt. „Im Vorjahr haben wir eine 900 Jahre alte Glocke wieder zum Klingen gebracht. Wir haben uns neben der Glockengießerei auch als „Glockenklinik“ etabliert und Glocken in 14 europäischen Ländern restauriert“, so der Unternehmer.
Auch sonst setzen die traditionellen Handwerker auf Innovationen. Viel wird in die Forschung investiert, bei der Planung der Glocken kommen Computermodelle zum Einsatz. Und man ist bei Neuerungen sofort auf der Höhe der Zeit. Am gleichen Tag, als die Rechnungslegung per E-Mail rechtlich möglich war, stellt das Unternehmen darauf um.
Museum als Besuchermagnet
Mitarbeiter zu finden, ist für das Unternehmen nicht schwer. Erst im Vorjahr sind vier neue Beschäftigte dazugekommen, das Team besteht derzeit aus rund 20 Leuten. Darüber hinaus zieht der Betrieb auch in einem anderen Bereich Interessierte an. Über 20.000 Besucher im Jahr sind fasziniert vom Hauch des Handwerks, das man laut Grassmayr im hauseigenen Glockenmuseum erleben kann. Dieses stellt eine Kombination aus Glockengießerei, Glockenmuseum und Klangraum dar. Oft ist es der Seniorchef Christof Grassmayr selbst, der die Besucher durch das Museum führt.
Die Nachfolge in der Glockengießerei ist schon geregelt. „Die nächste Generation gießt schon mit. Die Übergabe ist bereits schrittweise geplant“, sagt Johannes Grassmayr.