Senat der Wirtschaft fordert FlexCo
„Digitalisierung, Ökologisierung und soziale Herausforderungen erhöhen den Veränderungsdruck auf unsere Gesellschaft. In Österreich und Europa tragen dabei die Mittelständischen Unternehmen eine besondere Verantwortung. Sie sind gefordert, die Veränderungen umzusetzen und gleichzeitig im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Dies können sie aber nur, wenn die Standortbedingungen es wieder zulassen. Neben einer drastischen Senkung von Steuerlast und Lohnnebenkosten, der Modernisierung des Finanzplatzes, der Entdiskriminierung von Eigenkapital gegenüber Fremdkapital, einem generellen Bürokratieabbau und dem Vorantreiben von Infrastrukturprojekten fordert der Senat der Wirtschaft insbesondere auch die Modernisierung des Gesellschaftsrechts. Die Abschaffung der Notariatspflicht für Urkunden, Vereinbarungen, Erklärungen, Beschlussfassungen und Anmeldungen zum Firmenbuch muss hiervon ein wesentlicher Bestandteil sein“, so Hans Harrer, Vorstandsvorsitzender des Senat der Wirtschaft.
„Eine neue schon im Regierungsprogramm angekündigte Gesellschaftsform ist längst in Planung. Um den Standort zu stärken, soll das österreichische Gesellschaftsrecht wieder an internationale Standards heranrücken. Diese dringend nötige Reform muss nun endlich beschlossen werden, um wachsenden KMU die Einbeziehung von Partnern zu ermöglichen, Betriebsübergaben ebenso wie Ausgründungen von den Universitäten zu erleichtern und generell den Standort für Gründer:innen und Investor:innen attraktiver zu machen. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung gibt es weitgehende Übereinstimmung unter den Regierungsparteien, den Wissenschaftler:innen und sonstigen Stakeholder:innen. Bei der Entbürokratisierung scheiden sich aber die Geister: Die dringend nötige Aufhebung der Notariatspflicht wird ebenso wie die Reform des Firmenbuchs durch Teile der Justiz blockiert. Sie nehmen dadurch die ganze österreichische Wirtschaft, insbesondere deren tragende Säule, den Mittelstand, in Geiselhaft", betont Johannes Linhart, Geschäftsführer im Senat der Wirtschaft.
Wozu eine neue Gesellschaftsform
Österreich liegt in Rankings zur Attraktivität als Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld. Zahlreiche Studien weisen auf Hürden und Hindernisse durch Bürokratie und finanzielle Belastungen für die Gründung eines innovativen Unternehmens oder die Übergabe von Unternehmen in Österreich hin. Im Teilindex „Starting a Business“ des „Ease of doing business“ Index der Weltbank etwa belegt Österreich im Jahr 2020 den 127. Platz unter 190 Nationen, am vorletzten Platz in der EU. All dies sind Gründe für die geringere Bedeutung Österreichs im globalen Startup-Ökosystem.
Um dem entgegenzuwirken, bedarf es einer neuen Kapitalgesellschaftsform, um die Attraktivität des heimischen Wirtschaftsstandortes für innovative und Early Stage-Startups, wie auch für wachstumsorientierte Unternehmen oder Unternehmen in einer Nachfolgesituation zu steigern.
Welche Art der Rechtsform benötigt wird
Folgende Neuerungen sollten dabei gemäß den Vorschlägen des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und dem vom BMDW beauftragten Gutachten von CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH und Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH berücksichtigt werden:
- Der Entfall der verpflichtenden notariellen Einbindung (insbesondere bei Kapitalerhöhungen oder Anteilsübertragungen)
- Eine international wettbewerbsfähige Form der Mitarbeiter:innenbeteiligung
- Eine unbürokratische und digitale Möglichkeit zur Unternehmensgründung auch jenseits von Ein-Personen-Unternehmen
- Die Entbürokratisierung der Prüfpflichten am Firmenbuchgericht
- Eine freie Ausgestaltung von Anteilsklassen
- Die Möglichkeit, einen rein englischsprachigen Gesellschaftsvertrag zu nutzen
Justiz nimmt die Wirtschaft in Geiselhaft
Der Rohentwurf für eine neue flexiblere Rechtsform der Kapitalgesellschaften scheint im Justizministerium bereitzuliegen. Die Eckpunkte decken laut Die Presse (Christine Kary „Viel Wirbel um die flexible Kapitalgesellschaft“ 19.5.22) einen offenkundigen Teil der notwendigen Reformen ab:
- Das Schaffen von bedingtem und genehmigtem Kapital (unter strengen Voraussetzungen)
- Der Erwerb und Halten von eigenen, auch teilbaren, Gesellschaftsanteilen
- Durchführung virtueller Generalversammlungen (unter strengen Voraussetzungen)
- Split-Voting sowie digitale Umlaufbeschlüsse (unter strengen Voraussetzungen)
- Eine Umwandlung in andere Kapitalgesellschaftsformen
Was im Rahmen der neuen Gesellschaftsform nicht angedacht ist:
- Die Abschaffung der Notariatspflicht scheint nicht geplant zu sein
- Es sind keine Erleichterungen im Firmenbuchverfahren vorgesehen
- Es sind keine Erleichterungen bei der Gründung vorgesehen (lediglich nur die online-Ein-Personen-Gründung bei Mindestsatzung von der GmbH wurde übernommen)
- Es ist keine Flexibilität für die Gestaltung von Mitarbeiter:innenbeteiligungen vorgesehen
- Es ist keinerlei Verwendung der englischen Sprache vorgesehen
- Der Wegfall der Veröffentlichungspflicht in der Wiener Zeitung ist immer noch nicht vorgesehen
Senats-Vorsitzender Harrer zusammenfassend: „Die Diskussionen um den Abbau der bürokratischen Hürden werden sehr emotional geführt. Von Seiten der Wissenschaft und Wirtschaft ist das Urteil aber klar: Die Notariatspflicht und die Bürokratie am Firmenbuch sind wesentliche Hemmnisse für eine Modernisierung des österreichischen Wirtschaftsstandortes. Die Notariatskammer stellt sich quer und findet dabei einige Unterstützer:innen im Justizministerium selbst oder der Arbeiterkammer. Die Argumente der Rechtssicherheit sind sowohl von der Wissenschaft als auch angesichts der in anderen Ländern herrschenden Praxis längst widerlegt. Es ist Zeit, dass die Regierung durchgreift und im Sinne der eindeutigen Gutachten entscheidet. Wir können nicht länger auf eine echte moderne flexible Kapitalgesellschaftsform warten, denn der österreichische Mittelstand braucht sie jetzt!“.