Kapitalmarktrecht
EU will Unternehmen an Börse locken
Immer mehr europäische Unternehmen, darunter BioNTech, CureVac und Birkenstock, wählen für ihren Börsengang US-Börsen. Die Abgeordneten im EU-Parlament machen das komplizierte Kapitalmarktrecht der EU für diesen Trend verantwortlich. Um dem entgegenzuwirken, hat der Rat nun den Listing Act verabschiedet. Diese Reform, bestehend aus einer Verordnung und zwei Richtlinien, soll den Börsengang in der EU attraktiver machen. Ein Beispiel: An der Wiener Börse gab es seit 2020 jedes Jahr mehr Delistings als neue Notierungen.
Erleichterungen bei Prospekten
Bisher war die Veröffentlichung eines von der Aufsichtsbehörde genehmigten Prospekts erforderlich, wenn ein Unternehmen an die Börse ging oder Wertpapiere anbot. Der Listing Act ermöglicht nun, dass Unternehmen Kapitalerhöhungen bis zu dreißig Prozent des bestehenden Aktienkapitals innerhalb eines Jahres ohne Prospekt durchführen können. Es reicht ein maximal elf Seiten langes Dokument.
Sebastian Sieder von Müller Partner Rechtsanwälte betont, dass die kürzere Frist zur Prospektveröffentlichung – nun drei statt sechs Tage vor Ende des Angebots – Börsengänge beschleunigt. Dadurch können Unternehmen in einem volatilen Marktumfeld flexibler agieren.
Lockerung der Ad-hoc-Pflicht
Der Listing Act bringt auch Erleichterungen bei der Kapitalmarkt-Compliance. Bisher mussten börsennotierte Unternehmen Insiderinformationen sofort veröffentlichen, auch bei Zwischenschritten. Künftig gilt die Veröffentlichungspflicht erst für das Endereignis. Das bedeutet zum Beispiel bei M&A-Transaktionen, dass erst das Signing des Deals veröffentlicht werden muss.
Neu ist auch die Möglichkeit, Mehrstimmrechtsaktien auszugeben. Diese sollen es vor allem Start-ups ermöglichen, trotz Börsennotierung die Kontrolle über das Unternehmen zu behalten. In den USA haben Gründer wie Larry Page oder Mark Zuckerberg Mehrstimmrechtsaktien erfolgreich genutzt.
Ausblick
Die Verordnung des Listing Acts tritt bald in Kraft, während die Mitgliedsstaaten 18 bis 24 Monate Zeit haben, die Richtlinien umzusetzen. Sieder lobt die Reform, weist aber darauf hin, dass der wahre Umschwung an den EU-Börsen noch aussteht. Christoph Boschan, Chef der Wiener Börse, fordert zusätzlich einen Ausbau der betrieblichen und privaten Pensionsvorsorge, um die Nachfrage nach Aktien zu stärken.