Zaubermittel Sales-Funnel?

13.08.2019

"Webseite war gestern. Heute ist Funnel.“ Mit solchen Sprüchen versuchen manche Online-Marketing-Berater Marketing- und Sales-Funnels als Zaubermittel zu verkaufen. Dabei sind diese ein alter Hut. Was die "Trichter" wirklich können und was nicht. Ein Überblick.

Um das Thema Marketing- und Sales-Funnel machen aktuell einige Online-Marketer ein ebenso großes Tratra wie in den zurückliegenden Jahren zunächst um die Themen Blogs, Guerilla-Marketing, Social-Media, Videos,  Content-Marketing, Landingpages usw.,,, und wie die vorgenannten Themen versuchen sie auch dieses als das Zaubermittel bzw. Non-plus-Ultra im Marketing und Vertrieb zu verkaufen.

Dabei sind „Sales-Funnel“  bzw. „Marketing-Funnel“ ein alter Hut, den

  • jeder Vertriebler unter dem Namen „Vertriebs-“ oder „Verkaufstrichter“ kennt und
  • der letztlich das Maßnahmen-Bündel bezeichnet, mit dem eine Organisation oder ein Verkäufer zunächst die Aufmerksamkeit und das Interesse der Zielkunden weckt und das dann Schritt für Schritt zur Kaufentscheidung führt.

Das Wort „Funnel‘“ klingt aber chicer oder moderner als das Wort „Trichter“; also lässt es sich auch besser vermarkten. 

Die AIDA-Formel: die Basis aller Sales- und Marketing-Funnel

Jedem Vertriebs- und Verkaufstrichter bzw. Funnel liegt letztlich die altbekannte AIDA-Formel für den Verkauf insbesondere von komplexen, erklärungsbedürftigen Produkten und Dienstleistungen zugrunde, die keine sogenannten „Schnelldreher“ sind – also Produkte, die ein potenzieller Kunde mal eben so spontan wie ein Eis kauft, weil er gerade Lust darauf hat.

Der AIDA-Formel zufolge durchläuft jeder Kunde, bevor er ein Produkt kauft, mehrere Stufen der Kaufentscheidung. Diese sind:

  • Stufe 1: Attention (Aufmerksamkeit)
  • Stufe 2: Interest (Interesse)
  • Stufe 3: Desire (Kauf-Wunsch)
  • Stufe 4: Action (Kauf-Aktion)

Und dafür, dass der (potenzielle) Kunde diesen Prozess durchläuft, sollte jeder Anbieter sorgen.

Nicht die Maßnahme, das System ist entscheidend

Denn es nutzt zum Beispiel dem Besitzer eines Ladengeschäfts wenig, wenn dieses zwar viele Besucher, sogenannte „Schaukunden“, aber kaum „Kaufkunden“ hat – zum Beispiel, weil das Geschäft die falschen Produkte anbietet oder diese schlecht präsentiert. Am Abend ist seine Kasse leer. Ebenso wenig nutzt es jedoch einem Ladenbesitzer, wenn er in seinem Geschäft eine Top-Ware für seine Zielkunden anbietet und diese 1A-präsentiert, es ihm aber nicht gelingt, ausreichend Interessenten hierfür in seinen Laden zu ziehen. Dann stehen er und seine Mitarbeiter allein im Laden, und am Abend ist die Kasse ebenfalls leer – weil das Gesamtsystem nicht stimmt.

Auch Webseiten brauchen eine zielführende Struktur

Ähnlich verhält es sich mit Webseiten. Es nutzt Selbstständigen wenig, wenn ihre Webseite, weil sie gut im Netz gefunden wird, zwar viele Besucher hat, (er also eine hohe Aufmerksamkeit hat), diese jedoch rasch wieder verschwinden, weil die Inhalte der Webseite weder ihr Interesse, noch einen Kauf-Wunsch bei ihnen wecken. Umgekehrt nutzt es einem Selbständigen jedoch auch wenig, wenn die Produkte auf seiner Webseite für seine Zielkunden zwar hochinteressant wären, diese aber kaum Besucher hat – zum Beispiel, weil sie bei der Suche im Netz nicht gefunden wird. In beiden Fällen generiert der Anbieter (zumindest über seine Webseite) keine Anfragen und Aufträge. Das heißt, er ist erfolglos.

Also sollte sich jeder Freiberufler und Selbstständige, wie alle Unternehmer, überlegen, wie er seine Kunden Schritt für Schritt zur Kaufentscheidung führen. Oder anders formuliert: Er sollte eine Marketing- und Vertriebsstrategie für seine Unternehmung entwerfen, die seine verschiedenen Off- und Online-Marketing- und -Vertriebsaktivitäten zu einem zielführenden System zusammen bindet.

Viele Online-Marketer sind keine Lösungsverkäufer

Soweit so gut. Was aber an dem aktuellen Sales-Funnel-Geschwätz nervt, ist, dass die Online-Marketer den Selbstständigen oftmals dreierlei suggerieren.

  1. Marketing- und Sales-Funnel seien der neuste Schrei. Nein, sie sind ein alter Hut. Das einzige, was neu ist: Einige Online-Marketer haben endlich auch entdeckt, dass neben der Webseite auch die sonstigen (Online-)Marketing-Aktivitäten ihrer Kunden kein Selbstzweck sind, sondern eine (Teil-)Funktion in deren Marketing- und Vertriebssystem erfüllen müssen.
  2. Die Selbstständigen müssten in ihre Webseite einen extra Marketing- und Sales-Funnel integrieren. Dabei ist jede Webseite, die letztlich nicht wie ein Marketing- und Verkaufstrichter funktioniert, also die Zielkunden in ihrem Kaufentscheidungsprozess zwei, drei Schrittchen weiterführt, schlicht falsch konzipiert.
  3. Wenn Selbstständige in ihre Webseite und in ihr Online-Marketing einen Sales-Funnel integrieren, dann generieren sie automatisch Aufträge. Die Aufträge fliegen ihnen dann sozusagen wie gebratene Täubchen in den Mund.

Komplexe Leistungen lassen sich fast nie online verkaufen

Letzteres ist Quatsch bzw. ein reines Wunschdenken, denn dies ist nur bei Produkten bzw. Dienstleistungen möglich, die mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllen.

  1. Die bestellten Waren können jederzeit, wie zum Beispiel die Schuhe bei Zalando, zurückgegeben werden. Das ist bei den Leistungen solcher Freiberufler wie Unternehmensberatern, Rechtanwälten oder Architekten sowie Selbstständigen wie Handwerkern nie der Fall.
  2. Sie sind aus Kundensicht billig bzw. extrem preiswert, so dass der Kunde denkt „Macht nix, wenn ich die drei, vier Euro in den Wind schreiben muss“, und ihr Besitz hat für die Kunden keine Relevanz, so dass sie denken: „Schadet nix, wenn ich einen Fehlkauf tätige“. Beides ist bei vorgenannten Leistungen, die aus Kundensicht meist teuer sind und mit denen die Kunden oft ein akutes Problem von sich lösen möchten, ebenfalls fast nie der Fall.

Der Verkauf erfolgt im persönlichen Kontakt

Deshalb lässt  sich für die meisten komplexen sowie erklärungsbedürftigen Produkte und Dienstleistungen mit der Webseite und den Online-Marketing-Aktivitäten maximal das Interesse der Zielkunden wecken. Gelingt dies, dann kontaktieren sie den Anbieter. Und danach beginnt erst der eigentliche Verkauf und zwar im Dialog zwischen dem Anbieter und seinem potenziellen Kunden. Dass sich via Marketing- und Sales-Funnel keine komplexen Produkte und Dienstleistungen verkaufen lassen, ist anscheinend auch den meisten Marketing- und Sales-Funnel-„Spezialisten“ unter den Online-Marketern bewusst. Liest man nämlich ihre Werbetexte genauer, dann merkt man rasch: Letztlich geht es eigentlich stets nur um das Thema Marketing und nicht um die Themen Verkauf oder Vertrieb.

Viele Funnel sind reine Marketing-Funnel

Viele der von ihnen konzipierten Marketing- und Sales-Funnel zielen denn auch nur darauf ab, dass potenzielle Kunden zum Beispiel einen Newsletter abonnieren. Und die Zahl der neuen gewonnenen Abonnenten? Sie wird als Beleg für das Funktionieren des Marketing- und Sales-Funnel verkauft. Die hinzugewonnene Zahl von Newsletter-Abonnenten oder die gestiegene Follower-Zahl in den Social Media mag ja erfreulich sein. Doch verkauft hat der Selbstständige deshalb noch nichts. Er hat nur mehr „Schaukunden“ (die meist nix kaufen), die er jedoch fortan regelmäßig beglücken und bespaßen muss.

Zum Autor: Bernhard Kuntz ist Autor u.a. der Bücher „Die Katze im Sack verkaufen“, „Fette Beute für Trainer und Berater“ und „Warum kennt den jeder?“. 

 

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