Vertraue der Suppe
Geld trennt die Menschen, nur das bedingungslose Schenken vereint, wie das Kunstprojekt „Bärensuppe“ zeigen will. Ohne es zu ahnen, üben wir tagtäglich diese Bedingungslosigkeit.
„Geld ist der zentrale Punkt unserer Trennung. Geld trennt uns.“ Die französische Künstlerin Bilbo Calvez wird energisch. „Ich gebe dir Geld und wir sind quitt. Du kannst gehen. Wir vergleichen Dinge über Geld. Immer geht es nur um den Wert einer Sache oder eines Menschen.“ Ich frage sie, ob die Bewertung über Geld nicht auch für Klarheit sorgt. Nein, meint sie, bloß für Willkür. Jeder investiert etwas in das große gemeinsame Ganze. Jeder gibt sein Bestes. „Aber es gibt keine zwei gleichen Äpfel. Wir können uns nicht vergleichen. Immer diese blöde Zählerei und Vergleicherei. Und immer die Frage: Wie bekomme ich mehr als die anderen?“
Bilbo Calvez tourt durch Deutschland mit ihrem Projekt „Bärensuppe“ und hat auch zwei Stationen in Österreich abgehalten. Wo auch immer sie hinkommt, wird Suppe gekocht. Herd und riesengroße Töpfe hat sie in ihrem Van. Alles andere sollen die Leute mitbringen. Und die Leute kommen. Zwischen ein Dutzend und 120 Personen haben schon gemeinsam Suppe gekocht. Verderben viele Köche nicht den Brei? Das wäre eine Entscheidung, welche die Leute zu treffen haben. Sie selbst mischt sich nicht ein. Jeder bringt etwas oder auch nicht. Jeder übernimmt eine Aufgabe, um zum Gelingen der Suppe beizutragen oder auch nicht. „Nach 40 Suppen kann ich sagen: Es ist fantastisch. Jede Suppe ist anders. Das gemeinsame Kochen funktioniert immer! Die Leute nehmen von selbst Aufgaben wahr. Und vor allem: Sie bringen immer Zutaten im Überfluss“, freut sich Calvez, „dabei mag ich gar keine Suppe.“
Aber die Metapher der Suppe mag sie. Jeder bringt und jeder gibt. Es ist genug für alle da. Darum geht es ihr: Geben, ohne etwas zu wollen. „Vertraue der Suppe!“, sagt sie. Wir wären alle Teil einer großen Suppe. Und wenn jemand irgendwo Schmerz erzeugt oder Bomben wirft, dann ist das wie vergiftetes Gemüse, das jemand in die große Seelensuppe wirft. „Wir spucken in die große Suppe und tun so, als würde uns das hier nichts angehen“, moniert sie.
Sie selbst hat erst Vertrauen lernen müssen. Am Anfang wollte sie das Suppemachen unbedingt dirigieren – von den Zutaten bis zu den Gewürzen, klare Suppe oder püriert? Sie hatte auch Angst, dass es nicht funktioniert. Dass die Leute streiten oder nicht genug da ist. „Immer diese Angst“, wundert sie sich, „Geld bedient unsere Angst. Wir hoffen, dass Geld uns unsere Angst nimmt. Je größer die Angst, umso mehr Geld brauchen wir. Dabei ist das Unfug. Die Leute können lieben. Die Leute können geben. Bedingungslos geben.“
Was bei Calvez ein künstlerisches Statement ist, kennt man auch als Schenk-Ökonomie. Dabei werden Güter und Dienstleistungen ohne direkt erkennbare Gegenleistung weitergegeben. Die Reziprozität ergibt sich über Umwege. Schenken im Vertrauen ist etwas anders als Tauschhandel. Es gibt kein Quid pro quo. Die völlige Loslösung von Leistung und Gegenleistung könnte wieder Moral und Ökonomie zusammenführen, wie Émile Durkheim, der Begründer der empirischen soziologischen Wissenschaft, mutmaßte.
Ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein, üben wir diese Art von Schenk-Ökonomie Tag für Tag unser Leben lang – einfach, indem wir Trinkgeld geben. Trinkgeld ist ökonomischer Unfug. Die Leistung ist bereits erbracht, es steht kein zusätzlicher Vorteil zu erwarten. In 80 % aller Fälle sieht der Geber den Empfänger von Trinkgeld nie wieder. Und doch geben wir täglich Trinkgeld. Vielleicht ist das unsere heimliche Übung in Liebe, unser Vertrauen in die große Suppe.