Spielend neue Leute finden
Was ist die größte Sorge der heimischen mittelständischen Unternehmen? 67 Prozent betrachten die schwierige Suche nach qualifiziertem Personal als größtes Risiko für den eigenen Geschäftserfolg. Damit ist der Fachkräftemangel wie im Vorjahr auch heuer wieder der größte Stolperstein für den eigenen Betrieb, wie eine Studie der Unternehmensberatung EY belegt. Der Arbeitsmarkt hat sich massiv gewandelt. Wer seine besten Mitarbeiter halten und junge Talente gewinnen will, muss daher neue, innovative Wege gehen. Eine herkömmliche Stellenanzeige aufzugeben und auf Bewerber zu warten funktioniert heute nicht mehr.
FIFA-Turnier lockt Bewerber an
Wieso also nicht einmal ein eigenes FIFA-Turnier veranstalten und so eine völlig neue Zielgruppe ansprechen? Klingt unrealistisch und für KMU nicht leistbar? „Mit 10.000 Euro ist es in Österreich möglich, Sponsor für eine Turnierserie zu sein. Das ist ein Riesenmagnet“, erklärt Max Ratzenböck, Digital-Business- Consultant bei der Contentmarketing-Agentur COPE Group. Die Rede ist hier natürlich nicht von klassischen Fußball-Turnieren, sondern von der Gaming- und eSports-Szene. „Gamer sind intelligent und sehr empfänglich für Werbung, wenn sie gut gemacht ist“, sagt Ratzenböck. Und sie sind eine interessante Zielgruppe, die nur wenige Marketing- und Recruiting-Verantwortliche in Österreich am Radar haben. Dabei sit Gaming längst in der breiten Masse angekommen. Rund 5,3 Millionen Österreicher spielen digital, die Szene besteht etwa zur Hälfte aus Frauen. Nahezu jede Altersgruppe und Bildungsschicht ist vertreten. Wichtig sei laut Ratzenböck, die Gamer dort abzuholen, wo sie sind: „Unternehmen können zum Beispiel Employer-Branding auf Twitch betreiben, der weltweit größten Livestreaming-Plattform, die zur Übertragung von Videospielen genutzt wird.“
IT-Abteilung verdoppelt
Doch auch die klassischen Social-Media-Kanäle wie Facebook oder LinkedIn bieten noch viele ungenutzte Potenziale, um Bewerber zielgerichtet anzusprechen. Wie das funktionieren kann, hat der steirische Onlinehändler Niceshops eindrucksvoll gezeigt. „Wir haben ein IT-Recruiting-Projekt gestartet mit dem Ziel, unsere IT-Abteilung innerhalb von ein bis zwei Jahren zu verdoppeln. Das ist uns auch gelungen“, sagt Lena Höhsl, verantwortlich für Recruiting und Employer-Branding. Entscheidend für diesen außergewöhnlichen Erfolg war, dass das Unternehmen nicht einfach nur die Jobs ausgeschrieben, sondern ein Lebensgefühl vermarktet hat. Und zwar mit einer eigenen Landingpage namens Nice Code Valley, die ein „Coding-Paradies“ bewirbt. „Wir haben die Lebenswelten und Bedürfnisse von IT-Fachkräften erkannt und ihnen vermittelt, welche Unternehmenskultur sie bei uns erwartet. Ganz nach dem Motto ‚Raus aus dem Hamsterrad. Und rein ins Coding-Paradies‘“, erklärt Höhsl. Dazu gab es noch weitere Maßnahmen wie ein Erklärvideo auf YouTube und Werbungen, die dazu auf den Social-Media-Kanälen geschaltet wurden. Darüber hinaus hat Niceshops auch bestehende IT-Mitarbeiter vorgestellt, die über ihre Arbeit im Nice Code Valley berichteten.
Authentischer Eindruck zählt
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg dieser Art von Recruiting ist auch die Authentizität. „Das, was beworben wird, muss auch der Realität im Unternehmen entsprechen. Uns war wichtig, den Bewerbern einen authentischen Eindruck hinter die Kulissen zu geben“, so Höhsl.
Diese Ansicht teilt auch Andreas Mittelmeier, Social-Media-Experte und selbstständiger Berater für digitale Kommunikation: „Den größten Fehler, den Unternehmen machen können, ist, auf Social Media etwas zu versprechen, das sie nicht halten können. Es muss einfach alles Hand und Fuß haben.“ Als geeignetsten Kanal für Social Recruiting empfiehlt er LinkedIn – mit immerhin zwei Millionen Accounts nach Facebook und Instagram die drittgrößte Social-Media-Plattform in Österreich.
70 Prozent suchen über soziale Kanäle
Denn genau dort informieren sich 70 Prozent der heimischen Studierenden über ihre zukünftigen Arbeitgeber, wie eine Studie der Jobplattform Stepstone ergeben hat. Die wichtigsten Themen, über die Studierende auf Social Media lesen möchten: Gehalt und Benefits, Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen sowie Training und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. „Diese Digital Natives sind auf LinkedIn sehr aktiv. Wenn ein Unternehmen sie als Zielgruppe hat, kann es sich auf LinkedIn als Arbeitgeber präsentieren und ein Netzwerk an zukünftigen potenziellen Mitarbeitern aufbauen“, meint Mittelmeier.
Große Unternehmen wie A1, die ÖBB oder die Wiener Linien würden diese Möglichkeiten laut dem Experten schon sehr gut nutzen. „KMU können sich in diesem Bereich auch viel von Start-ups abschauen. Sie haben meist keine Kommunikationsabteilung, da kommuniziert die Geschäftsführung selbst“, sagt Mittelmeier. Und der menschliche Faktor sei auch auf Social Media besonders wichtig: „Man muss den Bewerbern zeigen, wer die Menschen sind, die im Unternehmen arbeiten.“
Bei Recruiting im Gaming-Bereich rate ich, sich einen Berater zu holen, der sich in der Szene auskennt.
Absage an Perfektion
Und wenn ein Unternehmen jetzt erst damit beginnen will, Talente über Social Media anzusprechen? „Im Gaming-Bereich rate ich, sich einen Berater zu holen, der sich in der Szene auskennt“, sagt Ratzenböck. Auf jeden Fall sei es wichtig, schnell aktiv zu werden. „In ein paar Jahren wird es um Themen wie das Metaverse und Blockchains gehen.
Wer als Unternehmen jetzt nicht einsteigt, verliert diese Zielgruppe“, so Ratzenböck. Wer auch in den sozialen Netzwerken authentisch bleibt, müsse keine Angst vor diesem Schritt haben, wie auch Höhsl bestätigt: „Man muss sich nicht davor fürchten, etwas nicht perfekt zu machen – denn auch das ist menschlich. Wenn der Auftritt authentisch zur Unternehmensmarke passt, dann ist es unschlagbar.“