Ressourcen sparen

Urban Mining

Baustoffrecycling
22.12.2023

Jedes Gebäude ist eine Schatzgrube. Anstatt Häuser abzureißen, kann man sie recyceln. Zwei Wiener ­Firmen zeigen, wie es geht.
abgerissene Ziegelsteine zur wiederverwertung gesammelt

Vor vierzig Jahren schon haben die Baufirmen bei Abbruch eines Hauses alles mitgenommen, was wertvoll schien, und haben es dann woanders eingebaut“, lacht Architekt Gerhard Nickl aus dem oberösterreichischen Lambach. „Wir hatten einmal schöne alte Teile und der Bauherr hat gesagt: plant mein Haus rundherum. Das war ein Glücksfall. Wäre schön, wenn man so eine Wiederverwertung heute konsequent sauber aufsetzen könnte.“
Genau das machen die Materialnomaden und das BauKarussell, zwei österreichische Firmen, die sich als erste in Europa dem professionellen Urban Mining verschrieben haben. Die Stadt wird als Lager für wertvolle Ressourcen gesehen. Wenn Gebäude rückgebaut werden, sollen sie nicht einfach von einer Abrissbirne zertrümmert, sondern sorgsam zerlegt werden. Denn im Baukörper verbergen sich wahre Schätze.

Wir scheitern oft an ­gelöteten Schraub­verbindungen.

Irene Schanda, Baukarussell

Irene Schanda, Baukarussell
Irene Schanda, Baukarussell

Bei der Vorklinik in Graz konnte das BauKarussell altes medizinisches Mobilar retten, die Bestuhlung vom Wiener Audimax wurde wiederverwertet, „bei einem Projekt in Linz haben wir Aufzugstüren aus den 70er Jahren ausgebaut und die sind privat verkauft und als Eingangstüren verwendet worden“, erzählt Irene Schanda vom BauKarussell. Besonderes Highlight war der Rückbau des Ferry-Dusika-Stadions in Wien-Leopoldstadt. Auf die sorgsam ausgebauten Tribünenstühle fand ein regelrechter Run statt: Innerhalb kürzester Zeit wurden 1.100 Stühle an zahlreiche private und gewerbliche Abnehmer*innen vermittelt. So gingen etwa 100 Stühle an ein Start-up-Unternehmen, das sie als Outdoor-Bestuhlung für ein „fliegendes Klassenzimmer“ eingesetzt hat. „Unsere KundInnen haben viele kreative Ideen – vom Garderobensitz fürs Vorzimmer bis zu Balkonstühlen. Das Dusika-Stadion lebt also an vielen Orten weiter“, so Roman Borszki, Re-Use-Experte bei BauKarussell. Man muss den Menschen nur die Chance geben, an Materialien heranzukommen, auch wenn „ich gerade eine Stagnation erlebe“, so Bauingenieur Peter Kneidinger von den Materialnomaden, „die kaufende Kundschaft ist gerade rar, aber es gibt Awareness.“

Arbeiter im Rückbauprojekt Ferry-Dusika-Stadion
Erfolgreiches Rückbauprojekt: Ferry-Dusika-Stadion.

Rückschritt in den 70ern

„Wenn man sich Gründerzeitgebäude anschaut, muss man sagen: rückbaubarer geht es nicht“, so Kneidinger. Dann aber gab es einen baulichen Rückschritt. Ab den 70er Jahren wurden Häuser zunehmend mit Verbundmaterialien gebaut. Da ist alles verklebt und kann nicht mehr getrennt werden. Viele urbane Bauten der letzten vierzig Jahre sind also Sondermüll. „Wir scheitern oft an gelöteten Schraubverbindungen“, so Schanda. Daher braucht es „ein Umdenken in der Baubranche, was den ganzen Lebenszyklus von Gebäuden betrifft.“, sagt Markus Meissner, Leiter des BauKarussell.

Druck auf die Bauherren

In Zukunft braucht es die Weiterentwicklung von guten Datenverarbeitungssystemen, etwa von digitalen Pässen für Gebäuderessourcen, die gleich beim Bau erstellt werden. „Diese Tools gibt es schon“, so Kneidinger, „den Willen erkenne ich auch, aber es braucht Bekanntheit und Schulung.“ Irene Schanda registriert viele Anfragen aus dem Ausland für Vorträge. Das Interesse ist da. Die Taxonomie und das Lieferkettengesetz der EU erzeugen Druck auf die Bauherren. „Dramatisch ist allerdings aus meiner Sicht die weitgehend ausbleibende Initiative zu Klima und Nachhaltigkeit im Städtebau, wo eigentlich die Weichen gestellt werden“, sagt der Wiener Architekt Thomas Matthias Romm, „hier verstehen die Akteure einfach nicht, was in ihrer Verantwortung liegt: Schwammstädte (Anm: Städte, die Regenwasser aufsaugen und speichern können), Bodenschutz, Aufforstung.“

Die Akteure verstehen nicht, was in ihrer ­Verantwortung liegt.

Thomas Matthias Romm, Architekt

Thomas Matthias Romm, Architekt
Thomas Matthias Romm, Architekt

Natürlich funktioniert das Urban Mining bei großen Playern am besten. Die Materialnomaden begleiten und beraten seit 2022 die Stadt Dornbirn in der Entwicklung zirkulärer Prozesse (anhand des Demonstrationsprojektes CampusVäre), die ÖBB oder die Bundesimmobiliengesellschaft mit großem Portfolio sind ideale und aktiv tätige Urban Miner. „Wir brauchen aber auch die kleineren Player“, wünscht sich Kneidinger. Etwa KMU mit ihren Bürogebäuden und Lagerhallen. Dazu gibt es etwa die harvest MAP. Die Wiener Genossenschaft zur Vermittlung von re:use Bauteilen bietet nach holländischem Vorbild eine Plattform zum Austausch von Baumaterial.

Planung ist entscheidend

Das allerwichtigste beim Urban Mining ist Planung. „Manchmal heißt es, wir reißen nächsten Monat ein Haus ab, könnt Ihr kommen?“, sagt Schanda. Das ist eindeutig zu knapp bemessen. Denn es braucht zuerst eine Potentialanalyse. Dazu gehört einmal die Sichtung der für ein Gebäude vorhandenen Pläne – vom Grundriss über Stromkreisläufe bis zu Materialien. Dann kommt es zu einer Begehung. Das Urban Mining muss dann dezidiert vom Bauherrn beauftragt werden. Dann kann ein gezielter Rückbau stattfinden, allerdings auch erst nach erfolgreicher Re-Use-Vermittlung „Wir können nicht auf Verdacht arbeiten“, sagt Schanda, „zuerst werden Materialien vermittelt, dann werden sie ausgebaut.“ Peter Kneidinger ergänzt: „Die Sachen werden uns ja nicht geschenkt. Und es braucht Lagerung, die man finanzieren muss.“

Gebäude wird rückgebaut
Wenn Gebäude rückgebaut werden, sollen sie nicht einfach von einer Abrissbirne zertrümmert, sondern sorgsam zerlegt werden.

Jetzt schon werden Beratungsstunden für recyclingfähiges Bauen im Rahmen des ÖkoBusiness, eines Umweltservice für Unternehmen der Stadt Wien, gefördert. „Die Bemühungen zur Transformation müssen belohnt werden“, fodert Kneidinger. Die Förderlandschaft ist noch nicht ganz beim Urban Mining angekommen, findet Architekt Gerhard Nickl: „Damit man eine Förderung bekommt, muss man hochwertig dämmern und dann pickt man eben Styropor an die Wand, um die U-Werte zu verbessern. Wir hängen uns ein grünes Mäntelchen um, aber belohnen den Einsatz von Sondermüll.“

Zuversicht

Irene Schanda bleibt zuversichtlich. Am Ende jedes Projektes gibt es für sie mutmachende Zahlen, auch deshalb, weil das Baukarussell die Rückbauarbeiten in Kooperation mit lokalen sozialwirtschaftlichen Partnern durchführt, somit also Menschen über 50 und Langzeitarbeitslose unterstützt. In Summe sind seit den ersten Rückbauprojekten durch das BauKarussell 33.000 Stunden sozialwirtschaftliche Arbeit geleistet worden, 1.474 Tonnen Materialien siind durch die Hände der Rückbauteams gegangen. Davon konnte etwa die Hälfte – über 600 Tonnen – in die Wiederverwendung vermittelt werden. Das entspricht mehr als 16.000 wieder verwendeten Einheiten.